Leipzig ist mitten im Veranstaltungsfieber: Gerade laufen das Stadtfest und das Wave Gotik Treffen, da wirft schon die 16. Jüdische Woche ihre Schatten voraus. Vom 15. bis 22. Juni erwartet alle interessierten Besucherinnen und Besucher ein buntes Festival mit über 100 Programmpunkten, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des reichen jüdischen Lebens in der alten Messestadt Leipzig miteinander verbinden.
Dieses hatte vor Ort seit jeher eine große Rolle gespielt und kurz vor der NS-„Machtergreifung“ seinen Zenit erreicht, wobei sich Leipzig historisch durch eine besondere Konstellation auszeichnete: Lange Zeit gab es den „Normalzustand“ mit keinen oder später sehr wenigen hier ansässigen Juden für den Großteil des Jahres, während das jüdische Leben zu den Messezeiten regelrecht boomte. Jüdische Kaufleute von nah und fern strömten dann trotz diskriminierender Auflagen in riesiger Zahl nach Leipzig, tätigten Geschäfte und trugen erheblich zum Wohlstand der Stadt bei.
Gedenktafel auf dem Leipziger Brühl, Ecke Nikolaistraße an „Gloecks Haus“ („Felsenstein-Haus“ Winckelmann Pelz & Markt v. 4. September 1998) an den auch durch jüdische Rauchwarenhändler geprägten Pelzhandel rund um den Brühl in Leipzig: Der Brühl war jahrhundertelang Zentrum des internationalen Rauchwarenhandels, geprägt auch durch jüdische Händler. 575 Jahre Kürschnerinnung Leipzig 1998. Foto: Frank Vincentz, GFDL / CC-BY-SA-3.0 de
Nach einer wahrscheinlichen Vertreibung im ausgehenden Mittelalter durften allerdings erst seit 1710 nachweislich wieder einige Juden mit Konzession dauerhaft hier wohnen, über deren Leben und Alltag wir bis heute nur wenig wissen. Einen nennenswerten Zuwachs jüdischer Familien in Leipzig gab es im 19. Jahrhundert, die staatlich anerkannte Gemeinde gründete sich 1847.
Besonders der Brühl, dessen östlicher Teil im Volksmund als „Judenbrühl“ bekannt war, entwickelte sich als Wohnort und Schwerpunkt des Pelz- und Rauchwarenhandels zum lokalen Zentrum jüdischen Lebens. Verbunden ist er mit so klangvollen Namen wie Harmelin, Ariowitsch oder Eitingon.
Buntes Programm für ein Miteinander und gegen Klischees
Da liegt es nahe, dass die Jüdische Woche 2025 am Sonntag, dem 15. Juni, in den Höfen am Brühl eröffnet wird. Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) und der Vorstandsvorsitzende der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig, Küf Kaufmann, werden die Festwoche vor geladenen Gästen einläuten, dazu gibt es Musik vom Orchester „Klänge der Hoffnung“ gemeinsam mit der in Polen geborenen Sängerin Karolina Trybała.
Ab 17 Uhr ist am Standort der 1938 von den Nationalsozialisten zerstörten Synagoge in der Gottschedstraße ein öffentliches Gedenken an die Holocaust-Überlebende und Leipziger Ehrenbürgerin Channa Gildoni (1923–2023) geplant. Für eine Woche erwartet die Menschen dann ein reichhaltiges Programm aus Workshops, Lesungen, Führungen, Konzerten, Ausstellungen, Vorträgen, Gesprächsrunden. Insgesamt sind es über 100 Veranstaltungen, etwa 60 Institutionen und Vereine sagten ihre Beteiligung zu. Hier finden Sie das komplette Programmheft.
Die Auswahl an Themenfeldern dort ist enorm vielseitig. Ob Friedhöfe und Bestattungskultur, Literatur, Architektur, Musik, Biografien, Theater oder queeres jüdisches Leben der Gegenwart: Gerade in Zeiten von Nahostkrieg, Antisemitismus und zunehmender Übergriffe auf jüdische Menschen scheinen das Aufräumen mit Klischees, die Handreichung und das gelebte Miteinander wichtiger denn je.
In diesem Sinne gibt es dann auch am Sonntag, dem 22. Juni, einen interreligiösen Bring-In-Brunch im Rosental mit anschließender Radtour, bei der Stationen des jüdischen Lebens in Leipzig aufgesucht werden.
Jüdische Gemeinde in Leipzig ist heute präsent und voller Leben
Das Kultur- und Begegnungszentrum Ariowitsch-Haus in der Hinrichsenstraße wird wieder einen der Veranstaltungsorte für die Jüdische Woche 2025 bilden. Hier zeige sich, „dass die jüdische Gemeinde zu Leipzig auch gegenwärtig präsent und voller Leben ist“, teilt die Stadt mit, deren Kulturamt gemeinsam mit dem Kultur- und Begegnungszentrum Ariowitsch-Haus e.V. die Jüdische Woche alle zwei Jahre ausrichtet.
Nach der verbrecherischen Massenermordung im Nationalsozialismus und dem Zusammenbruch der DDR hatte das so wechselvolle jüdische Leben Leipzigs durch vermehrten Zuzug seit den 90er-Jahren eine Art Renaissance erfahren.
Heute beheimatet die Messestadt laut offiziellen Angaben die größte jüdische Gemeinde Ostdeutschlands nach Berlin. Ende 2023 zählte die Israelitische Religionsgemeinde zu Leipzig 1.076 Mitglieder.