In einem Spiel wie die Fahrt auf einer gigantischen Schiffschaukel hat Carlos Alcaraz gegen Jannik Sinner seinen Grand-Slam-Titel bei den French Open verteidigt. Der Spanier besiegte am Sonntag in einem an Qualität kaum zu überbietenden Finale der French Open den Spanier 4:6, 6:7 (4:7), 6:4, 7:6 (7:3) und 7:6 (10:2). Nach dem Erfolg beim ATP-Turnier in Rom ist es der zweite Finalsieg Alcaraz‘ gegen die Nummer eins der Weltrangliste in Folge. Es war das mit Abstand längste French-Open-Finale aller Zeiten.
Der Südtiroler Sinner holte sich nach mehr als einer Stunde Spielzeit Satz Nummer eins. Der zweite dauerte sogar neun Minuten länger und ging wieder an Sinner. Doch Alcaraz nahm Schwung und sicherte sich den dritten Satz. Die Partie stand dann bei drei Matchbällen für den Italiener im vierten Satz bereits kurz vor der Entscheidung. Doch der junge Spanier erkämpfte sich den Gewinn des vierten Satzes. Erst der Match-Tie-Break im fünften Satz brachte die Entscheidung zugunsten von Alcaraz.
Hochkarätig vom ersten Aufschlag an
Der erste Durchgang entwickelte sich schnell zu einem unglaublichen Abnutzungskampf. Das erste Aufschlagspiel dauerte gefühlt ewig, erst nach zwölf Minuten hatte Sinner mehrere Breakbälle des Spaniers abgewehrt und auf 1:0 gestellt.
Beim Spielstand von 2:2 nutzte Sinner seine erste Breakchance, aber Alcaraz konterte umgehend und knöpfte dem Gegner sein Aufschlagspiel ab. Beim Stand von 4:5 musste sich der 22-jährige Spanier am Auge behandeln lassen – und schnell breakte Sinner Alcaraz zum Satzgewinn.
Sinner extrem konstant
Leisteten sich beide Spieler in der ersten Hälfte des Satzes eine ganze Reihe von Leichtsinns-Fehlern, stabilsierte sich Sinner schneller – und hängte so Alcaraz ab. Dies setzte sich auch zu Beginn des zweiten Satzes fort, schnell führte der 23 Jahre alte Italiener mit 3:0. Aber Alcaraz zeigte nun seine Qualitäten.
Mit einer leichten Taktikumstellung – Alcaraz spielte jetzt sein Topspins etwas höher und damit tiefer ins Feld – und mit einer mental bärenstarken kämpferischen Einstellung arbeitete sich der Spanier zurück in die Partie.
Zuschauer machen Alcaraz stark
Die Zuschauer auf dem Court Philippe-Chatrier spürten, dass das Pendel nun deutlich stärker in Richtung von Alcaraz ausschlug und feuerten ihn immer stärker an. Seine Spielgewinne bejubelten die Fans wie den Finalsieg, und „Carlito“ ließ sich mit erhobener Faust feiern, als er zum 5:5 aufschlug.
Doch Sinner, das Pokerface der Tennisszene schlechthin, zeigte keine emotionalen Reaktionen, dafür aber seine fast schon sagenhafte Abgeklärtheit. Unbeeindruckt spielte er auf hohem Niveau weiter und nutzte das Momentum. Den zweiten Satz holte er sich im Tiebreak mit 7:4. Es war Sinners erster Satzverlust im gesamten Turnier.
Achterbahnfahrt geht immer weiter
Alcaraz aber gab sich nicht auf. Zwar gab er nach dem Satzverlust sofort seinen Aufschlag ab, breakte aber zweimal zurück und schlug schließlich zum Satzgewinn auf. Das Stadion in Paris feierte inzwischen beide Spieler, die jeweils nicht nur immer wieder zurück in die Partie kämpften, sondern zusätzlich beide begannen, ihre Krafteinsätze zu dosieren.
Beide Spieler bewiesen in unzähligen Momenten ihre Vormachtstellung im Tennissport und zeigten abwechselnd Weltklasse- und Extraklasse-Tennis. Alcaraz bestach durch mutige Angriffsschläge und variables Spiel, in Sachen Laufarbeit stand der deutlich größere Sinner als hervorragender Skifahrer in nichts nach. Mit fast schon permanent gebeugten Knien schob sich der Italiener blitzschnell über den Platz und produzierte deutlich weniger „unforced errors“. Nicht ein einziger Doppelfehler beim Aufschlag unterlief dem Primus bis Mitte des vierten Satzes.
Entscheidung vertagt
Sinner dominierte das Spiel ab Mitte des vierten Satzes. Der Italiener zeigte keine Nerven, er spielte weiter mit unglaublicher Konstanz. Carlos Alcaraz aber wehrte bei eigenem Service drei Matchbälle gegen sich ab, verzückte Zuschauerinnen und Zuschauer und brachte mit fünf Punkten in Folge sein Aufschlagspiel durch.
Und noch immer gab sich keiner der Spieler ein Blöße. Sinner brachte beim Stand von 5:4 zwei Schmetterbälle noch nichts ins Ziel, machte den Punkt dann mit einem gefühlvollen Stopp hinters Netz. Aber noch immer sollte die Entscheidung nicht fallen. Denn Alcaraz servierte zu Null und übernahm nach vier Stunden Spielzeit die Satzführung zum 6:5. Und Alcaraz marschierte sogar durch zum 7:6-Satzgewinn.
Alcaraz läuft und läuft und läuft
Noch nie hatte der Spanier ein Match nach einem Zwei-Satz-Rückstand gewonnen. Und er ließ zu Beginn des fünften Satzes keinen Zweifel daran, dass er diese Serie beenden wollte. Er breakte Sinner und wehrte Chancen zum Rebreak ab. Aber eins blieb in der Partie immer gleich: Wenn es so aussah, als ob Jannik Sinner die Oberhand hätte, dann kam Alcatraz zurück.
Sinner probierte alles, leistete sich weiter wenig Fehler, aber Alcaraz erlief auch nach mehr als viereinhalb Stunden Spielzeit die schwierigsten Bälle. Den Fans in Paris stockte der Atem, als Alcaraz bei einem Volleystop ausrutschte und mit der Schlaghand auf der roten Asche entlangschlidderte. Zum Glück konnte der Mann aus El Palmar unbeschadet weiterspielen.
Bisherige Rekordmarke fällt
Die längst zum Nervenkrimi avancierte Partie ging in die entscheidende Phase. Die bisherige Rekordmarke von 4 Stunden 42 Minuten Spieldauer des längsten Finals der French Open war längst gefallen, als Alcaraz zum Matchgewinn servierte, Sinner aber mit einem Break die Partie komplett offen hielt. Abwechselnd feuerten die euphorisierten Fans die beiden Spieler an, die sich bei Ballgewinnen beide mit erhobenen Fäusten zum Publikum drehten.
Auch weit nach der Fünf-Stunden-Marke zeigten beide Athleten weiter ihr Ausnahmekönnen. Unmögliche Bälle wurden noch zurückgespielt, die Zuschauerinnen und Zuschauer sprangen nach vielen Ballwechseln von ihren Sitzen und spendeten Beifall.
Match-Tie-Break bringt die Entscheidung
Im sogenannten Match-Tie-Break ging Alcaraz mit Mini-Breaks mit 5:0 in Führung. Und Alcaraz machte immer weiter. Beim 7:0 gelangen Sinner noch zwei Punkte, aber dann machte Alcaraz den Sieg perfekt. Ein wahrlich episches und historisches Finale war zu Ende.
Sinner und Alcaraz auch: große Sportsmänner
Bemerkenswert: Beide Spieler spielten nicht nur Tennis auf allerhöchstem Niveau, sondern erwiesen sich als große Sportsmänner: In kritischen Situationen überstimmten beide jeweils die Linienrichter zugunsten ihres Gegners und sprachen so den Punktgewinn des Kontrahenten zu. Vorbilder par excellence.