„Eigentlich geht’s den russischen Menschen gut hier“, erzählt Elena H. (Name liegt der Redaktion vor), Verkäuferin in einem Supermarkt in Dresden. „Anfangs“ – sie meint die Wochen nach Kriegsbeginn 2022 – „waren viele Gerüchte, dass die Deutschen gegen uns sind. Meine Tochter sagte, ich solle lieber schweigen statt Russisch zu sprechen. Sie hatte Angst um mich.“ Opernsängerin Anna Netrebko habe ja auch nicht singen dürfen – erst in New York nicht, dann auch nicht in Nowosibirsk, Tschaikowsky-Werke wurden nicht gespielt. Was sollte man denn da denken?

Sie habe auch befürchtet, ihre deutschen Nachbarn in Dresden würden „komisch reagieren“. Aber alle seien normal geblieben.

Gefühlte Stimmungen im Alltag

Jörg Eichler vom Sächsischen Flüchtlingsrat hört wenig aus der russischstämmigen Community in Dresden. Er sagt, Russen würden von einer „diffusen Stimmung“ berichten, von „gefühlten Stimmungen“ im Alltag. „Beispielsweise wechseln Russen, die schon länger hier sind, lieber ins Deutsche beim Sprechen. Mir sind aber keine direkten Attacken gegen Russen in Beratungsgesprächen zu Ohren gekommen.“

Die Supermarkt-Mitarbeiterin Stefanie L. (Name der Redaktion bekannt) sei einmal während der Arbeit von einem Kunden angepöbelt worden. „Er schrie, ob ich mich nicht schäme. Wofür sollte ich mich schämen? Ich kann ja nichts dafür“, erzählt die junge Frau, die in Dresden geboren ist. 2022 sei der Markt auch bei Facebook beschimpft und beleidigt worden. Einmal habe jemand die Eingangstür beschmiert. Doch es sei eine deutsche Nachbarin gekommen und habe das abgewischt.

Es ist unser Alltag. Ich lese keine Nachrichten über den Krieg.

Stefanie L.
Dresdnerin mit russischen Wurzeln

„Wir hatten das Gefühl, dass der Hass gegen Putin auf uns abgeladen wurde. Manche denken, ich habe die Telefonnummer zu Putin und kann mit dem reden. Was hat unser Laden mit dem Krieg zu tun?“

Früher warb der Mix-Markt damit, russische Lebensmittel zu verkaufen. Jetzt ist das ein „Supermarkt für osteuropäische Spezialitäten“. In den Regalen und Kühltruhen liegen auch Waren aus Moldawien, Rumänien, der Ukraine, Polen und Bulgarien. „An die typisch russische Schokolade kommen wir nicht mehr ran“, sagt die Verkäuferin mit Blick auf Einfuhrprobleme bei russischen Waren. Selbst die Matrjoschka-Puppen aus Russland könne man nicht bestellen, beklagt ihre Kollegin. Im Laden gebe es nur noch zwei echt russische. Die anderen Figürchen seien aus China. Ob die auch gut sind? Schulterzucken.

Ukrainer und Russen arbeiten gemeinsam

Andererseits habe es auch schon Streit mit ukrainischen Kunden gegeben, die beim Einkaufen nur Ukrainisch sprechen wollten. „Bei Diskussionen sagen wir nichts Persönliches, egal, wie der Kunde reagiert. Wir versuchen, alle zu beruhigen“, sagt Elena H. und winkt ab. „Propaganda ist doch auf beiden Seiten. Man darf auch nicht alles glauben. Manche Dinge passen mir auch nicht. Aber ich verstehe auch die Ukrainer, die Hass empfinden.“ Im Supermarkt arbeiten ebenfalls ukrainische Angestellte. „Es kommt manchmal Streit auf, aber wir reden nicht über Politik“, sagt Stefanie L. dazu.

Keine Politik in der russisch-orthodoxen Kirche

Politik bleibt auch für Priester Roman Bannack der russisch-orthodoxen Kirche in Dresden draußen. Auch fotografieren lassen will er sich nicht. Der für die Kirche zuständige orthodoxe Moskauer Patriarch Kyrill I. gilt als wichtiger Putin-Verbündeter und nennt den Krieg gegen die Ukraine „Heimatverteidigung“. Während des Gesprächs mit Bannack stehen weiter hinten vor einem Kreuz zwei Frauen und beten und weinen lautlos. Woher die ältere und die jüngere Frau vor dem Kerzentisch wohl sind: Russland oder Ukraine?

„Wenn man mich um ein Gebet für den Sohn bittet, der im Krieg ist, gibt mir das im Inneren zu denken: Auf welcher Seite des Krieges steht derjenige?“ Doch Politik werde in der Kirche nicht diskutiert. „Es geht auch nicht anders“, sagt der Priester. Zur Gemeinde gehören nach seinen Worten 50 Prozent Russen und 50 Prozent Ukrainer.

Die Menschen haben sich hier arrangiert.

Roman Bannack
Russisch-orthodoxer Priester in Dresden

„So lange wir an Christus glauben können, ist das Äußerliche egal“, sagt Bannack, denn Politik und Zustände wechselten. Am Freitag vor Pfingsten hat er mit 200 bis 300 orthodoxen Christen das 151. Kirchweihfest gefeiert. In all den Jahren habe es schon viele Zustände und Systeme gegeben, nur während des Ersten Weltkrieges sei die Kirche in der Fritz-Löffler-Straße in Dresden geschlossen geblieben.

Touristen aus Tschechien ersetzen kaufkräftiges russisches Publikum

Stichwort Veränderungen: Mittlerweile kommen immer weniger russische Staatsbürger nach Sachsen und Dresden. „In den letzten Jahren gab es aufgrund der Reisebeschränkungen kaum noch Kunden aus Russland in der Altmarkt-Galerie und dementsprechend auch keine werblichen Aktivitäten in diese Richtung“, sagt der Center-Manager Christian Polkow. Bis zu einem Viertel der Kundschaft im Einkaufszentrum seien Touristen. „Wir können sehr sicher sagen, dass aktuell die Tschechen, oft als Tagestouristen, die meiste Kaufkraft für den Einzelhandel mit nach Dresden bringen.“

Übernachtungszahlen eingebrochen

Knapp 90.000 Übernachtungen russischer Touristen zählten Sachsens Statistiker im Vor-Corona-Jahr 2019 im Freistaat. Voriges Jahr waren es weniger als 8.500. „In den ersten drei Monaten des Jahres 2025 ist die Zahl der Übernachtungen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um weitere 10,9 Prozent gesunken“, sagt Veronika Hiebl. Sie ist die Geschäftsführerin der Tourismus Marketing Gesellschaft Sachsen und weiß, was Auswärtige hierzulande interessiert.

„Die russischen Gäste waren hauptsächlich in den Städten Dresden und Leipzig unterwegs, mit Schwerpunkt Dresden. Sie haben sich vornehmlich für Kultur, Musik und Shopping (inklusive Luxus) interessiert und in 4- bis 5-Sterne-Hotels übernachtet, erklärt die TMGS-Geschäftsführerin Hiebl. Eine große Rolle habe auch der Medizintourismus gespielt. „Die Unikliniken in Dresden und Leipzig sowie die Herzzentren und orthopädische Kliniken waren stark gefragt.“

Fakt ist, dass, solange dieser fürchterliche russische Angriffskrieg dauert, wir in keinster Weise über Tourismus nachdenken brauchen und werden.

Veronika Hiebl
Geschäftsführerin der Tourismus Marketing Gesellschaft Sachsen

„Darüber, wie die Anreise heutzutage erfolgt, liegen uns keinen gesicherten Informationen vor. Möglicherweise über die Drehkreuze Istanbul und Dubai. Zu Bus- oder Zuganreisen gibt keine Statistiken“, so Veronika Hiebl.