Im Kampf gegen den Echten Mehltau nutzten viele Weinbauern jahrzehntelang ein simples Mittel: Natriumhydrogencarbonat, bekannt als Backpulver. Preiswert, umweltverträglich und leicht zu handhaben – dieser Grundstoff galt im Weinbau als bewährte Lösung. Die EU entzog nun überraschend die Zulassung dieses Hausmittels. Stattdessen dürfen Landwirte nur noch ein Industrieprodukt mit identischem Wirkstoff einsetzen – zum sechsmal höheren Preis (topagrar: 01.06.25).

Neue Regeln, alte Wirkstoffe – und massive Mehrkosten

Das Unternehmen Biofa aus Münsingen erhielt kürzlich die Zulassung für ein Pflanzenschutzmittel namens „Natrisan“, das fast ausschließlich aus Hydrogencarbonat besteht. Damit verliert Backpulver automatisch den Status als sogenannter Grundstoff. Denn laut EU-Regelung darf ein Wirkstoff nicht gleichzeitig als einfach zugänglicher Grundstoff und als kommerzielles Pflanzenschutzmittel gelten. Für Winzer bedeutet das: Der Griff zum günstigen Bäckerei-Zulieferer entfällt, stattdessen drohen hohe Zusatzkosten durch die Agrarindustrie.

EU verbietet Backpulver im Weinbau – teures Ersatzmittel sorgt für Proteste und massive Mehrkosten bei Winzern in ganz EuropaEU verbietet Backpulver im Weinbau – teures Ersatzmittel sorgt für Proteste und massive Mehrkosten bei Winzern in ganz Europa

Ein Winzer aus Rheinland-Pfalz beziffert die jährlichen Mehrausgaben für seinen Betrieb auf rund 5.000 Euro. Der Verein „Land schafft Verbindung Rheinland-Pfalz“ geht von einem Preisvervielfachung aus. Das Unverständnis in der Branche ist groß. Die Entscheidung löse nicht nur wirtschaftlichen Frust aus, sondern zerstöre auch Vertrauen in die politische Regulierung.

Kritik an Biofa – Boykott und Erklärungsversuche

Biofa sieht sich massiven Protesten ausgesetzt. Landwirte äußern in sozialen Netzwerken und Verbandsforen offene Kritik, einige rufen zum Boykott auf. Das Unternehmen reagierte mit einer dreiseitigen Stellungnahme auf der eigenen Homepage. Darin betont der Hersteller, keinesfalls aus Profitgier zu handeln und den Betrieben keine zusätzlichen Kosten aufbürden zu wollen.

Zugleich verweist Biofa auf einen anderen Konflikt: Die EU-Kommission habe in früheren Verfahren unrechtmäßig auf unternehmenseigene Studiendaten zurückgegriffen, ohne Entschädigung. Laut Biofa sei genau diese Nutzung Grundlage für die damalige Genehmigung von Backpulver als Grundstoff gewesen. Die Kommission selbst habe anschließend zur formellen Zulassung von „Natrisan“ geraten.

Rechtlich zulässig, aber ökonomisch fragwürdig

Der Deutsche Weinbauverband erkennt die Rechtslage an, zeigt sich aber besorgt über die Auswirkungen auf die Weinwirtschaft. Dass ein Unternehmen, das ein Pflanzenschutzmittel entwickle, auch ökonomische Interessen verfolge, sei nachvollziehbar. Dennoch sei es problematisch, wenn rechtliche Grauzonen zulasten landwirtschaftlicher Betriebe ausgenutzt würden. Der Verband spricht von einer „rechtlich eindeutigen Situation“, für die derzeit keine kurzfristige Lösung in Sicht sei.

Politische Intervention bleibt aus, denn juristisch scheint die Entscheidung unangreifbar. Die betroffenen Landwirte fühlen sich allein gelassen. Viele sehen darin ein Beispiel, wie überregulierte Verfahren und wirtschaftliche Interessen am Ende auf dem Rücken kleiner und mittlerer Betriebe ausgetragen werden.

Wirtschaftliche Schieflage statt Pflanzenschutzinnovation

Für die Winzer stellt sich die Lage klar dar: Der Wirkstoff bleibt derselbe, doch der Preis steigt dramatisch. Das bisherige Mittel – ökologisch bewährt und betrieblich erprobt – ist nicht mehr legal einsetzbar. Statt Innovation erleben viele Landwirte ein Bürokratieprodukt mit fatalen Folgen für ihre Rentabilität. Eine einfache, wirksame Lösung verschwindet – und wird durch eine teure Industrievariante ersetzt.

Der politische Wille zur Entlastung fehlt bisher. Ob sich das ändert, bleibt offen. Sicher ist nur: Die europäische Landwirtschaft steht erneut vor einer Belastungsprobe, bei der Praxisnähe und wirtschaftlicher Verstand zu kurz kommen.

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