Von Bob Hanning

Mannheim, Pfingstsonntag, 15.52 Uhr, Halbzeitpause.

Gedankenverloren tigere ich durch die Katakomben der SAP-Arena. Die erste Meisterschaft. Unser aller Traum! Ich sah ihn platzen wie eine Seifenblase.

Wir liegen hinten, und ich überlege schon, wie ich ein mögliches Scheitern moderiere, als ich die vielleicht entscheidenden Wortfetzen aufschnappe.

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Mathias Gidsel hockt in der Kabine und hat Nils (Lichtlein) und Lasse (Andersson) um sich geschart. Dann spricht unser Welthandballer die wohl entscheidenden Worte: „Dann nehmen wir eben den schwereren Weg.“ Der Rest ist Geschichte.

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Nach einer miserablen ersten Halbzeit fegen wir wie ein Orkan über die Rhein-Neckar Löwen hinweg. 38:33. Wir sind am Ziel! Die Füchse Berlin sind Deutscher Meister – und mein Kopf fährt Achterbahn.

Im Moment des größten Erfolgs unserer Vereinsgeschichte schießen mir die alten Bilder in den Sinn. Von vor 20 Jahren, als alles mit einem Schuhkarton in den Niederungen der 2. Liga begann.

Von Begeisterung oder gar Euphorie war rund um den Klub seinerzeit nichts zu spüren. In der alten Geschäftsstelle stand lediglich ein alter Schuhkarton, darin unbezahlte Rechnungen, das war alles.

Bob Hanning (57) mit Moderator Matthias Killing (45) bei der Feier auf dem Badeschiff in Berlin

Bob Hanning (57) mit Moderator Matthias Killing (45) bei der Meisterfeier auf dem Badeschiff in Berlin

Foto: City-Press via Getty Images

Doch wir hatten die Vision von einem Handball-Klub, der um Titel und Triumphe kämpft, der genauso ein Zuhause für die weltbesten Sportler bietet wie für vereinseigene Talente. Und es gab diese Stadt, Berlin, die mit ihrer Offenheit, ihrer Spontaneität und ihrer Unangepasstheit für all diese Träumereien einen perfekten Rahmen bot.

Jetzt, zwei Dekaden später, liest sich unsere Geschichte wie ein postmodernes Sport-Märchen. Wir haben auf unserem Weg den Supercup gewonnen und den DHB-Pokal, den Weltpokal und den Europacup, wir wurden 13 Mal Jugendmeister und nun auch Deutscher Meister.

Und wissen Sie was? Wir sind noch immer nicht satt!

Unser Fokus ist es nun, das Panini-Album vollzumachen. Es fehlt noch dieser eine, letzte Aufkleber. Der Aufkleber für den Champions-League-Sieg. Angesichts der wilden Feierei der Jungs habe ich zwar noch keine Idee, wie unser Büchlein am nächsten Wochenende gefüllt werden kann. Aber, glauben Sie mir, unser Trainer wird das schon machen. Wenn es einer schaffen kann, dann Jaron (Siewert).

Mathias Gidsel (26) streckt die Meisterschale in die Höhe

Mathias Gidsel (26) streckt die Meisterschale in die Höhe

Foto: picture alliance/dpa

Jaron war gerade 18 Jahre alt und träumte von der Nationalmannschaft, als ich ihm nahelegte, mit dem Handball aufzuhören, weil seine analytischen Fähigkeiten seine sportlichen weit überschritten. „Werde Trainer“, sagte ich zu ihm, „und Du wirst ein Großer“.

Jaron hörte das nicht gern – und befolgte den Ratschlag trotzdem. Heute, 13 Jahre später, ist er der jüngste Meistertrainer in der Bundesliga-Geschichte. Und das mit (nicht immer leichten) Charakteren wie Kretzsche und mir an der Seite… Chapeau!

Füchse-Trainer Jaron Siewert (31) mit der Schale

Füchse-Trainer Jaron Siewert (31) mit der Schale

Foto: Eden/City-Press

Als ich vor sechs Jahren Stefan Kretzschmar von unserem Projekt überzeugte, entschlossen wir uns, den Klub nochmal auf ein neues Level zu heben. Die Verpflichtung von Kretzsche, das spürte ich sofort, war der Anfang von etwas ganz Großem. Mit Kretzsche kam die Gidsel-Idee – und schnell keimte in uns der Gedanke: In dieser Kombination geht noch viel mehr.

Den Handballer Mathias Gidsel mit Worten zu beschreiben, können andere noch viel besser. Ich möchte ihn aber auch und vor allem als Mensch würdigen. Mathias strahlt eine Lebensfreude aus, die einzigartig ist.

Er führt durch bedingungsloses Vorbild und hat uns im Klub so alle auf ein neues Niveau gehoben. Allein die Tatsache, dass er sich gegen das Establishment und für die Füchse Berlin, gegen das ganz große Geld und für uns entschieden hat, spricht Bände.

Mathias will Titel gewinnen – und zwar als Erster. Diese Option wird der nächste Gidsel bei uns nun nicht mehr bekommen …

Absolutes Traumtor!: Italien-Legende trifft vom MittelpunktTeaser-Bild

Quelle: X: Alfredo Pedulla09.06.2025

Aber: Wenn ein Matthes Langhoff am Sonntag nicht ab der 40. Minute unsere Deckungszentrale dicht gemacht hätte und den Löwen damit den Stecker gezogen hätte und wenn Fabi Wiede nicht so eine unfassbare Rückrunde gespielt hätte, wäre auch ein Mathias Gidsel nicht Deutscher Meister geworden.

Der Einzelne kann einen besser machen, doch am Ende kann nur das Team gewinnen.