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Griechenlands Staatsanleihen gelten plötzlich als sichere Wette. Deutsche Papiere verlieren dagegen massiv an Wert. Das könnte erst der Anfang sein. (Leserdebatte)

In einer überraschenden Wendung auf den globalen Anleihemärkten gehören ausgerechnet Griechenland und Italien zu den großen Gewinnern, während Deutschland zu den Verlierern zählt. Dieser Trend dürfte sich in nächster Zeit noch verstärken – mit potenziell weitreichenden Folgen auch für deutsche Anleger.

Noch vor wenigen Jahren wäre es undenkbar gewesen: Inmitten von Turbulenzen auf den Anleihemärkten aufgrund von Sorgen um explodierende Staatsschulden legten ausgerechnet die Anleihen von Italien, Griechenland und Spanien im vergangenen Monat zu.

Lange galten diese Länder als notorische Schuldensünder mit aufgeblähten Staatshaushalten – und ihre Anleihen wären in solch einer Situation als erste unter die Räder gekommen. Doch die Zeiten haben sich geändert.

„Der gesamte Rahmen für die Peripherie ist günstiger“, sagt Patrick Barbe, Senior Portfolio Manager bei Neuberger Berman, dessen Team festverzinsliche Wertpapiere im Wert von sechs Milliarden USDollar verwaltet. „Sie haben die Erwartungen an ihre Haushalts- und Defizitziele übertroffen und von einem höheren Wachstum als viele Kernländer profitiert.“ Er erwartet, dass sich die Outperformance italienischer Anleihen fortsetzen wird.

Unterdessen sind die Renditen zehnjähriger französischer Staatsanleihen über die von Spanien gestiegen und liegen nur noch drei Basispunkte unter denen Griechenlands. Noch vor kurzem war die Wette auf eine Konvergenz der Staatsanleiherenditen in Europa ein Verlustgeschäft, das nur dank der Bereitschaft der Europäischen Zentralbank am Leben erhalten wurde, ärmere Volkswirtschaften mit Zinssätzen nahe null und einer Flut von billigem Geld zu stützen. Jetzt brummt die Strategie, und das hat mehr Gründe als nur die EZB.

Griechenland und Italien holen auf, Deutschland fällt zurück

Die Entwicklung ist besonders deutlich in Italien. Das Land, das lange mit chaotischer Politik, schwachem Wachstum, verschwenderischer Politik und volatilen Anleihen in Verbindung gebracht wurde, hat sich zu einem Liebling des Marktes gemausert – zumindest im Vergleich zu einigen Alternativen.

Der Spread zwischen italienischen und deutschen Anleihen, der das Risiko misst, Geld an Rom statt an Berlin zu verleihen, ist auf 0,92 Prozentpunkte gesunken. Zum Vergleich: Auf dem Höhepunkt der Schuldenkrise 2011, die den damaligen italienischen Premierminister zu Fall brachte, war er auf über fünf Prozentpunkte angestiegen. Die rapide Verengung hat dazu beigetragen, dass Italien seit Anfang letzten Jahres Rekord-Auslandsinvestitionen verzeichnen konnte.

Demgegenüber gerät der deutsche Anleihemarkt zunehmend unter Druck. Unter der neuen Regierung von Friedrich Merz hat Deutschland die Haushaltsdisziplin über Bord geworfen, um Ausgaben für Verteidigung und Infrastruktur zu finanzieren.

Japanische Investoren, die lange zu den treuesten Käufern deutscher Staatsanleihen gehörten, haben im April deutsche Staatsanleihen im Wert von 10,2 Milliarden Dollar verkauft – der größte Betrag seit einem Jahrzehnt. Das war auch der größte Abfluss unter den zwölf von Japans Finanzministerium verfolgten Staatsanleihemärkten.

„Die Renditen sind Anfang März so abrupt gestiegen, dass viele japanische Anleger nicht aus deutschen Anleihen herauskamen“, sagt Hideo Shimomura, leitender Portfoliomanager bei Fivestar Asset Management Co. in Tokio. „Ich stelle mir vor, dass man die Risikoexposition reduzieren wollte, sobald die Renditen zu sinken begannen, unter der Annahme, dass sich die Änderung der deutschen Fiskalpolitik fortsetzen würde.“

Warnsignal aus der Schweiz

Neben Deutschland könnten bald auch andere Länder in Europa mit einem Wiederaufleben der Deflationsgefahren konfrontiert werden. Die Schweiz, die oft als Frühindikator für die Eurozone gilt, verzeichnete im Mai bereits einen leichten Rückgang der Verbraucherpreise um 0,1 Prozent.

Die Schweizerische Nationalbank dürfte daher auf ihrer Sitzung am 19. Juni den Leitzins um 25 Basispunkte auf null senken – mit der Möglichkeit weiterer Senkungen in den negativen Bereich. SNB-Präsident Martin Schlegel hat angedeutet, dass negative Zinsen eine Option seien, auch wenn sie „niemand mag“.

Auch die EZB sollte hellhörig werden. Im Euroraum fiel die Inflation im Mai auf 1,9 Prozent und damit unter das EZB-Ziel von 2 Prozent. Besonders ausgeprägt war der Rückgang bei den Dienstleistungen, wo die Teuerung von 4,0 auf 3,2 Prozent sank. Die Kerninflation ist mit 0,6 Prozent noch deutlich niedriger.

Das passt zu dem drastischen Rückgang der gemeldeten Lohnabschlüsse im ersten Quartal auf 2,4 Prozent, nach 4,1 Prozent im letzten Quartal 2024. EZB-Chefvolkswirt Philip Lane betonte, der Ausblick für die Löhne sei sogar noch günstiger. Die hartnäckige Restinflation wird in der Eurozone schnell abgebaut, was erklärt, warum die EZB ihren Leitzins am Donnerstag zum achten Mal auf 2 Prozent gesenkt hat und damit den Richtwert innerhalb eines Jahres halbiert hat.

Die große Frage für den Sommer ist, ob die EZB die Geldpolitik auf Pause stellen kann, mit dem Risiko, dass die Verbraucherpreise nicht nur langsamer steigen, sondern zu sinken beginnen – was die Eurozone in die gleiche Zwickmühle bringen würde, in der sie nach der Eurokrise ein Jahrzehnt lang steckte.

Folgen für Anleger

Für deutsche Anleger ergeben sich aus diesen Entwicklungen mehrere Konsequenzen:

Zum einen könnten Anleihen aus Ländern wie Italien und Griechenland, die lange als riskant galten, attraktiver werden. Ihre Renditeaufschläge gegenüber deutschen Bundesanleihen sind deutlich geschrumpft, während sich ihre Fundamentaldaten verbessert haben. Allerdings bleibt das Risiko höherer Zinszahlungen aufgrund der nach wie vor hohen Schuldenstände.

Zum anderen geraten sichere Häfen wie deutsche oder auch US-Staatsanleihen unter Druck. Die Renditen zehnjähriger US-Treasuries stiegen im Mai erstmals seit 2023 wieder über 5 Prozent. Demgegenüber sind die Renditen 30-jähriger italienischer Anleihen seit ihrem 16-Monats-Hoch im April um etwa 50 Basispunkte auf 4,3 Prozent gefallen.

Insgesamt zeigen die Verwerfungen, wie schwierig es derzeit ist, in einem von hoher Unsicherheit geprägten Marktumfeld die richtigen Anlageentscheidungen zu treffen. Eine breite Streuung über verschiedene Anlageklassen und Regionen hinweg bleibt für die meisten Anleger der beste Weg, um die Risiken zu begrenzen und die Chancen zu nutzen, die sich aus den Umbrüchen ergeben.