Am Anfang war Pelé. Mit ihm begann der Fußball in Nordamerika.

Streng genommen ist das so nicht ganz korrekt. Denn als Edson Arantes do Nascimento, kurz Pelé, vor exakt 50 Jahren seinen Vertrag bei Cosmos New York (eigentlich New York Cosmos) unterschrieb, da existierte die North American Soccer League immerhin schon sieben Jahre.

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Die NASL führte allerdings eine ziemlich armselige Existenz. Vegetierte trifft es vermutlich besser.

Die Geschichte der nordamerikanischen Profiliga, 1968 gegründet und 1985 nach nur 17 Spielzeiten wieder eingestellt, lässt sich in zwei Phasen unterteilen: in die Zeit vor Pelés Ankunft und in die Zeit danach. „Wenn man sich die Geschichte der meisten Sportarten anschaut, passiert nichts ohne eine Art Urknall“, sagt Charles Cuttone, der Ende der Siebziger in der PR-Abteilung von Cosmos gearbeitet hat. „Pelés Vertragsunterschrift war der Urknall des Fußballs.“

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Sie können die Botschaft in die Welt verbreiten: Fußball ist endlich in den Vereinigten Staaten angekommen.

Pelé nach seiner Vertragsunterschrift bei Cosmos

Dass die USA mit der am Wochenende beginnenden Klub-Weltmeisterschaft (14. Juni bis 13. Juli) und der WM-Endrunde im kommenden Sommer jetzt so etwas wie der Hotspot des internationalen Fußballs sind, das wäre vor 50 Jahren schlicht undenkbar gewesen. Aber auch in den Vereinigten Staaten hat die größte Sportart der Welt längst Wurzeln geschlagen. Nicht zuletzt dank Pelé, dem besten Fußballer seiner Zeit und wirkmächtigsten aller Pioniere für den Fußball in den USA.

Pelé löste in seiner Zeit in New York einen Fußballboom in den USA aus.

© imago/Colorsport/imago/Colorsport

„Pelés Einfluss war noch größer, als alle erwartet hatten“, sagt Clark Hunt, der Besitzer des FC Dallas aus der Major League Soccer, der heutigen US-Profiliga. „Pelé hat den Fußball in Amerika cool gemacht.“ Erst durch ihn nahm der Rest der Welt zur Kenntnis, dass dieser Sport auch in den Vereinigten Staaten mehr oder weniger professionell betrieben wurde.

„Pelé hob den Fußball in den USA auf ein bis dahin unerreichtes Niveau“, hat Jimmy Carter, der damalige US-Präsident, einmal gesagt. „Nur Pelé konnte das schaffen, mit seinem Namen, seinem unvergleichlichen Talent und seiner Leidenschaft.“

Der Big Bang für den Fußball in den USA ereignete sich am 10. Juni 1975, an diesem Dienstag vor exakt 50 Jahren also. Cosmos hatte zu einer Pressekonferenz in den Club 21 geladen, ein Prominentenlokal in Midtown Manhattan. Vor laufenden Kameras unterschrieb Pelé den Vertrag, der ihn nicht nur für drei Spielzeiten an Cosmos band, sondern auch an den Eigentümer des Klubs, den Unterhaltungskonzern Warner Communications.

„Sie können die Botschaft in die Welt verbreiten: Fußball ist endlich in den Vereinigten Staaten angekommen“, sagte der bald 35 Jahre alte Brasilianer nach seiner Unterschrift.

Pelé bei seinem Abschiedsspiel am 1. Oktober 1977 im vollbesetzen Giants Stadium.

© imago sportfotodienst/imago sportfotodienst

„The Hunt“ hieß der Raum, in dem sich bei der Präsentation des dreimaligen Fußball-Weltmeisters rund 300 Journalisten knubbelten und die Fotografen buchstäblich über Tische und Stühle kletterten, um den besten Blick auf den internationalen Superstar zu erhaschen.

„Es ist geschafft!“, sagte Clive Toye, General Manager von Cosmos, nachdem Pelé den Deal mit seiner Unterschrift besiegelt hatte. „Der Fußball in diesem Land wird die Kluft von der Steinzeit zum Jet-Zeitalter überspringen.“ Die Jagd konnte beginnen.

Toye, ein früherer Sportjournalist aus England und einer der Männer der ersten Stunde in der NASL, hat immer für sich in Anspruch genommen, Pelé zu Cosmos geholt zu haben. Zumindest hat er dessen Verpflichtung über Jahre hinweg mit großer Beharrlichkeit betrieben.

Wenn du zu Real oder Juventus wechselst, kannst du nur eine weitere Meisterschaft gewinnen. Wenn du zu uns kommst, kannst du ein ganzes Land gewinnen.

Clive Toye, General Manager von Cosmos, zu Pelé

Bereits 1971 waren sie sich erstmals begegnet, als Pelé mit dem FC Santos auf Jamaika weilte. Toye bot ihm bei dieser Gelegenheit gleich einen Vertrag bei Cosmos an, doch Pelé entgegnete lediglich, dass das wohl ein Spaß sein solle. „Wir werden nicht aufgeben“, prophezeite der Manager von Cosmos. „Vielleicht ändern Sie eines Tages Ihre Meinung.“

Tatsächlich blieb Clive Toye hartnäckig, selbst als deutlich namhaftere Klubs um den Brasilianer warben, Real Madrid und Juventus Turin zum Beispiel. Bei Real und Juve könne er nur eine weitere Meisterschaft gewinnen, sagte Toye zu Pelé. „Wenn du zu uns kommst, kannst du ein ganzes Land gewinnen.“

Pelé wurde zum bestbezahlten Sportler der Welt

Vielleicht war es am Ende aber auch nur das Geld von Cosmos-Eigentümer Warner, das Pelé von einem Neuanfang in den Vereinigten Staaten überzeugte, nachdem er ein Dreivierteljahr zuvor seine Karriere eigentlich schon beendet hatte. Aber weil Pelé mit seinen geschäftlichen Unternehmungen eine Menge Geld verloren hatte, erwies er sich letztlich doch noch empfänglich für das Angebot aus New York. Warner machte ihn immerhin zum bestbezahlten Sportler jener Zeit.

Und selbst der bemitleidenswerte Zustand der NASL konnte Pelé offenbar nicht mehr abschrecken. Zwei Wochen vor der Vertragsunterschrift hatte er erstmals ein Ligaspiel seines künftigen Vereins besucht. Das Cosmos-Team spielte im Downing Stadium, seiner damaligen Heimstätte direkt unterhalb der Triborough Bridge, gegen die Vancouver Whitecaps.

Das arg heruntergerockte Stadion, in dem schon Jesse Owens gelaufen war und sich für die Olympischen Spiele 1936 qualifiziert hatte, lag auf Randall’s Island, einer ehemaligen Gefängnisinsel zwischen Manhattan und Queens; im Volksmund auch Vandals‘ Island genannt: die Insel der Vandalen.

Mit Pelé gewann Cosmos 1977 nach fünf Jahren erstmals wieder die US-Meisterschaft.

© imago/WEREK/imago sportfotodienst

Werner Roth, deutschstämmiger Kapitän von Cosmos, hat die erste Begegnung mit Pelé im Podcast „Good Seats are still available“ im Stile einer Marienerscheinung geschildert. Der Mannschaft war vor dem Spiel gegen Vancouver ein besonderer Gast angekündigt worden. Wer das sein würde, das wussten die Spieler nicht.

„Nach den Mannschaftsaufstellungen richtete sich unsere Aufmerksamkeit auf das offene Ende des Downing Stadiums, zum East River und der Skyline von Manhattan“, hat Roth erzählt. „Ein dunkelblauer Helikopter näherte sich, er wurde größer und größer.“ Nach der Landung öffnete sich die Tür, Pelé, im weißen Anzug, sprang heraus und winkte in die Menge. Das Spiel gegen die Whitecaps verlor Cosmos anschließend mit 0:1.

Und trotzdem: „Als Pelé 1975 auf Randall’s Island aus dem Helikopter stieg, hat es Klick gemacht“, sagt Roth. In diesem Moment dachte er: „Okay, vielleicht wird das ja doch noch was.“

Pelés Debüt wurde live von CBS übertragen

Im Downing Stadium lief Pelé am 15. Juni 1975 auch erstmals für Cosmos auf – in einem Freundschaftsspiel, für das die Dallas Tornados als Gegner engagiert worden waren, obwohl sie noch tags zuvor in der Liga bei San Antonio Thunder angetreten waren. Pelés Debüt wurde von CBS live übertragen und in insgesamt 22 Ländern ausgestrahlt. Allein in den USA sollen zehn Millionen Menschen zugeschaut haben.

Pelé, der seit einem Dreivierteljahr nicht mehr gespielt hatte, bat seine Kollegen in der Pause, ihn nicht so oft anzuspielen, weil er bereits kaputt sei. Trotzdem bereitete der Brasilianer das Tor zum zwischenzeitlichen 1:2 vor; den Treffer zum 2:2-Endstand erzielte er selbst. Per Kopf.

Das ganze Ambiente war eines Superstars wie Pelé eigentlich unwürdig. Das Spielfeld, mehr Dreck als Rasen, noch dazu von Steinen und Glasscherben übersät, war vor der Partie eigens mit grüner Farbe übertüncht worden. Nach dem Abpfiff gab Pelé eine Pressekonferenz – auf dem Platz und per Megafon, weil im gesamten Stadion kein ausreichend großer Raum für die Masse an Journalisten zur Verfügung stand.

Nach drei Jahren bei Cosmos beendete Pelé endgültig seine Karriere.

© imago images/WEREK/imago sportfotodienst via www.imago-images.de

„Holt den Fußball raus aus Stadien wie diesem!“, sagte CBS-Reporter Jack Whitaker in der Übertragung des Spiels. „Raus aus der Dunkelheit ins Sonnenlicht!“

Und es wurde Licht. Cosmos zog schon in der darauffolgenden Saison von Randall’s Island unter der Triborough Bridge ins Giants Stadium nach New Jersey – dort, wo am 13. Juli, wenn auch in einer neu gebauten Arena, das Endspiel der Klub-WM und in einem Jahr das Finale der Weltmeisterschaft ausgetragen wird.

Dank Pelé explodierte in den USA das Interesse am Fußball. In den drei Jahren, in denen der Brasilianer für Cosmos spielte, wurde gleich fünfmal ein neuer Zuschauerrekord in der NASL aufgestellt: Die Bestmarke verbesserte sich von 24.093 Zuschauern bei einem Spiel der Philadelphia Atoms auf 77.691 im Play-off-Viertelfinale der Saison 1977, in dem Cosmos die Fort Lauderdale Strikers mit 8:3 deklassierte.

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Auch sportlich ging es für den Klub aus New York aufwärts. 1974 war Cosmos in der Liga von fünfzehn Teams Dreizehnter geworden. In der Saison darauf – inzwischen mit Pelé – verpasste die Mannschaft zum dritten Mal nacheinander und zum letzten Mal für viele Jahre die Play-offs. 1977 dann gewann Cosmos, erstmals seit 1972 wieder, den Meistertitel. Mit Pelé in seinem letzten Pflichtspiel überhaupt und mit Franz Beckenbauer, der im Mai vom FC Bayern München zu Cosmos gewechselt war.

Sechs Wochen später beendete Pelé zum zweiten Mal seine Karriere. Diesmal für immer. Bei seinem Abschiedsspiel am 1. Oktober 1977 lief er eine Halbzeit für Cosmos auf und eine für seinen Heimatverein FC Santos. Es regnete in Strömen. Trotzdem waren 75.000 Zuschauer ins Giants Stadium gekommen.