Berlin – Die regierende CDU wollte den Autoverkehr beschleunigen – jetzt bremst sie ihn nachts sogar noch aus. Was ist geschehen?
Im Wahlprogramm 2023 versprach die Union, unnötige Blockaden für den motorisierten Individualverkehr aufzuheben. Dazu gehören Geschwindigkeitsbegrenzungen, die nicht eindeutig begründet sind. Im Koalitionsvertrag mit der SPD („Für Berlin das Beste“) vom April 2023 heißt es dementsprechend (Seite 55): „Es soll grundsätzlich Tempo 50 auf Hauptstraßen gelten und Tempo 30 auf Nebenstraßen – und dort, wo es sinnvoll ist.“
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Der Vorgängersenat hatte unter Federführung von Verkehrssenatorin Jarasch (Grüne) auf insgesamt 23 Hauptstraßen Tempo 30 angeordnet, ohne dass es eine Begründung dazu gab. Dort hätte die Tempobegrenzung also wieder auf 50 hinaufgesetzt werden müssen.
Es dauerte allerdings geschlagene zwei Jahre, bis CDU-Fraktionschef Stettner am 28. April tatsächlich ankündigte, dass die Temporeduzierung auf diesen 23 Hauptstraßen wieder aufgehoben wird, auch dort, wo „Luftreinhaltung“ als Begründung angegeben sei. Messungen hätten nämlich ergeben, dass für die Luftreinhaltung auf den meisten Strecken die Geschwindigkeit nicht mehr reduziert werden müsse. „Wir machen jetzt die grünen Verbotsphantasien rückgängig und kehren zur Straßenverkehrsordnung zurück“, sagte er.
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Doch die zuständige CDU-Verkehrssenatorin Ute Bonde ließ dieser Ankündigung keine Taten folgen und hob die Tempobegrenzung bisher nicht auf. Stattdessen kündigte sie an, dass demnächst weitere 230 Kilometer Hauptstraßen nachts auf Tempo 30 gesetzt werden. Das wolle sie am 17. Juni im Senat beschließen lassen.
Derzeit gilt die Tempobegrenzung auf Hauptstraßen nachts auf einer Länge von insgesamt 164 Kilometern. Und auch das ist neu: Bisher wurden Hauptstraßen abschnittsweise in 30-er-Zonen verwandelt, wenn eine Messung besonders viel Lärmbelastung ergeben hatte. Jetzt, so erklärte Bonde, würden ganze Straßenzüge beschildert – „aus Gesundheitsgründen“ – es werde keinen „Flickenteppich“ mehr geben. So sei es im „Lärmaktionsplan 2024-29“ festgelegt, den der Senat verabschieden wolle.
Die „Gesundheitsgründe“ werden von Frau Bonde nicht näher erläutert. Tatsächlich liegen kaum gesicherte Erkenntnisse vor, ob Tempo 30 den Straßenlärm wirksam reduziert. Das Umweltbundesamt (UBA) gibt an, dass „Simulationen in drei Beispielstädten“ ergeben hätten, dass „Tempo 30 die Lärmbelastung deutlich senken kann“. Mit „deutlich“ meint das UBA zwei bis drei Dezibel weniger Lärm und behauptet, dies entspreche einer Halbierung des Verkehrslärms.
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In den „Lärmschutzrichtlinien Straßenverkehr“ des Bundesverkehrsministeriums dagegen heißt es, dass erst ab einer „nachgewiesenen Pegelreduktion“ ab drei Dezibel „eine Lärmreduktion überhaupt wahrnehmbar ist“.
Als sicher kann es also keinesfalls gelten, dass Tempo-30 auf künftig insgesamt 394 Kilometern Hauptstraßen in Berlin angeordnet werden muss. Sicher ist aber, dass diese Einschränkung den Straßenverkehr deutlich einschränkt und zu längeren Fahrzeiten führt.
Die CDU sollte sich an ihr Wahlversprechen erinnern, dieses Versprechen einhalten. Stattdessen legt sie den Rückwärtsgang zu noch mehr Tempo 30 ein.
Hat Gunnar Schupelius recht? Schreiben Sie an: gunnar.schupelius@axelspringer.de