Berlin – Es ist eine parteipolitische Bombe und ein massiver Querschuss gegen SPD-Chef Lars Klingbeil (47) und die gesamte Ukraine-Politik der Bundesregierung!

Führende SPD-Politiker rufen in einem „Manifest“ zu Gesprächen mit Russland auf. In dem Papier (Titel: „Friedenssicherung in Europa durch Verteidigungsfähigkeit, Rüstungskontrolle und Verständigung“), über das zuerst der „Stern“ berichtete und das auch BILD vorliegt, verlangen die Verfasser Gespräche mit Russland und einen Stopp der Stationierung neuer US-Mittelstreckenraketen in Deutschland.

Unterschrieben wurde das Papier hauptsächlich von Partei-Linken aus dem „SPD-Friedenskreis“ – allen voran Außenpolitiker und Russland-Versteher Ralf Stegner (65), Ex-Parteichef Norbert Walter-Borjans (72), Ex-Fraktionschef Rolf Mützenich (65), aber auch vom eher konservativen Ex-Bundesfinanzminister Hans Eichel (83).

Ex-SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich ist einer der Initiatoren des „Manifests“

Ex-SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich ist einer der Initiatoren des „Manifests“

Foto: picture alliance / Flashpic

Ukraine-Botschafter spricht von „Kapitulationsmanifest“

Oleksii Makeiev (49), ukrainischer Botschafter in Berlin, lässt kein gutes Haar an der Initiative. Er zu BILD: „Zunächst dachte ich, es handele sich um eine erweiterte Neuauflage des alten Manifests von Wagenknecht und Schwarzer“, so der Botschafter. „Allerdings stimmten nicht alle Namen der Unterzeichner überein.“

Den Verfassern wirft der Botschafter des von Russland überfallenen Landes Realitätsverlust vor. „Bereits im ersten Satz wird behauptet, der Frieden in Europa sei 80 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg wieder bedroht. Dabei tobt längst ein Krieg in und gegen Europa – seit über zwei Jahren.“

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Makeiev kritisiert besonders den Vorschlag, die Unterstützung der Ukraine mit „den berechtigten Interessen aller in Europa“ zu verknüpfen. „Das ist eine Täter-Opfer-Umkehr. De facto wird vorgeschlagen, russische Forderungen zu akzeptieren. Das ist kein Neuanfang, sondern ein Versuch, mit eigener Schwäche Politik zu machen.“ Das Papier sei daher nicht weniger als ein „Kapitulationsmanifest“. Die historischen Vergleiche der Autoren weist er zurück: „Die Politiker, die sich mit Kennedy, Reagan und Brandt vergleichen, handeln eher wie Chamberlain. Sie landen aber nicht in Heston, sondern suchen in Baku nach einer Moskau-Flugverbindung.“

Historiker sieht Nähe zu AfD

Auch der Historiker Jan Claas Behrends (55) kritisiert das Papier in BILD scharf. „Die Verfasser leben geistig in den 1980er-Jahren. Damals war die Sowjetunion eine Status-quo-Macht, mit der man verhandeln konnte. Heute haben wir es mit Putins Russland zu tun – einer aggressiv-revisionistischen Macht.“ Behrends warnt vor einer Verharmlosung autoritärer Systeme: „Das Papier geht von der falschen Annahme aus, dass Russland und China dieselbe Vorstellung von Stabilität haben wie der Westen. Das ist nicht der Fall.“

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Er sieht in dem Manifest sogar eine inhaltliche Nähe zu extremen Parteien. „Warum sind die Verfasser noch in der SPD und haben diese Regierung gewählt? Ihre Positionen lesen sich eher wie Aussagen von BSW und AfD.“ „Dieses Papier normalisiert die Positionen von BSW und AfD. Neue Wähler wird die SPD damit nicht gewinnen. Wer die Nato ablehnt, wählt extreme Parteien.“ Behrends wirft Stegner und Mützenich vor, Putins Aggression jahrelang unterschätzt zu haben. „Wo Putin Schwäche wittert, schlägt er zu. Frieden wird es nur durch eine Stärkung der Ukraine geben.“

Und die SPD selbst? Fraktionschef Matthias Miersch (56) und seine Stellvertreterin, Siemtje Möller (41), ließen eine BILD-Anfrage bislang unbeantwortet. Parteichef Klingbeil will sich noch am Mittwoch äußern.

Zur Person

Jan Claas Behrends ist ausgewiesener Osteuropa-Experte und Geschichts-Professor an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder), der sich seit Jahren mit autoritären Regimen, Propaganda und Gesellschaften im postsowjetischen Raum beschäftigt.