Die Staatsanwaltschaft leitete ein weiteres Ermittlungsverfahren gegen den Solinger ein. Liegt bei den Ermittlungen noch mehr im Argen?
Im Prozess um den Brandanschlag an der Grünewalder Straße kommt auf die Staatsanwaltschaft Wuppertal noch einiges an Arbeit zu. So sah sich deren Vertreter Heribert Kaune-Gebhardt am Mittwoch veranlasst, ein weiteres Ermittlungsverfahren gegen den 40-jährigen Angeklagten aus Solingen einzuleiten. Er soll unter anderem das Feuer in einem Mehrfamilienhaus in Höhscheid im März 2024 gelegt haben.
Zündelte der Beschuldigte etwa auch in einem von Migranten bewohnten Mietshaus in Wuppertal? Diese Möglichkeit erscheint nach den Ausführungen eines Zeugen in dem Prozess vor dem Landgericht Wuppertal zumindest plausibel. Hintergrund der Aussage war ein Brand an der Normannenstraße in Wuppertal Anfang Januar 2022. Zwei Personen hatte die Feuerwehr laut Medienberichten mit einer Drehleiter retten müssen.
Lebensgefährtin des Angeklagten wohnte früher dort
Szenen, die den Prozessbeteiligten in dem Verfahren schmerzlich bekannt vorkommen dürften. Bei der Tat an der Grünewalder Straße in Solingen waren vier Menschen – ein junges, türkisch-bulgarisches Elternpaar mit zwei kleinen Töchtern – in den Flammen ums Leben gekommen. Zahlreiche weitere wurden verletzt. Der Beschuldigte räumte ein, das Feuer gelegt zu haben. Ebenso gab er eine weitere Brandstiftung im selben Haus zu, dessen Mieter der Angeklagte früher war, sowie einen Machetenangriff auf einen Bekannten und eine Brandstiftung an der Josefstraße.
Wie passt nun der Brand in Wuppertal in das Solinger Verfahren? Die Lebensgefährtin des Angeklagten wohnte früher in dem betroffenen Haus an der Normannenstraße, zu dem Feuer kam es kurz nach ihrem Auszug.
Ein Bewohner des Gebäudes, ein 55-jähriger Mann mit marokkanischen Wurzeln, beschrieb mehrere Streitsituationen mit dem Angeklagten vor dem Brand. Der soll seine Familie mit lauter Musik schikaniert haben und ihm aggressiv begegnet sein. Einmal habe der Angeklagte ihm Pfefferspray ins Gesicht gesprüht.
„Meine kleine Tochter hatte Angst vor ihm“, gab der Zeuge an. Er habe sich vom Solinger beobachtet gefühlt. Zudem habe er mehrfach eine dickflüssige, vermutlich brennbare Substanz unter der Fußmatte zu seiner Wohnung vorgefunden – womöglich Öl.
Auffällige Postdiebstähle in Brandhäusern
Unmittelbar in die Zeit dieses Konflikts fiel laut Angaben des Zeugen der Brand an der Normannenstraße. Ursprünglich war das Feuer im Keller des Gebäudes ausgebrochen, wie Fotos von verkohlten Holzpaneelen dokumentieren.
Auffällig auf dem Bildmaterial: In einem frei zugänglichen Hauseingang, wo die Mülltonnen deponiert werden, stehen zum Zeitpunkt des Brandes zwei große Gasflaschen. Die hätten sich sonst nicht dort befunden, so der Zeuge.
Eine weitere Parallele zu dem Solinger Verfahren: Der Angeklagte könnte an der Normannenstraße in Wuppertal Post der Bewohner gestohlen haben. So schilderte der Zeuge, dass er ein Schreiben seiner Bank mit seiner PIN-Nummer nicht erhalten habe und daraufhin Abbuchungen von seinem Konto für Lottospiele getätigt wurden. Schaden: circa 600 Euro.
Auch an der Josefstraße, wo der Angeklagte mutmaßlich im Februar 2024 einen Brand gelegt hat, wurde Post der Anwohner gestohlen. Man fand sie später bei einer Hausdurchsuchung bei dem Beschuldigten.
„Es könnte sein, dass Sie da Ihre Finger im Spiel hatten“, wandte sich der Vorsitzende Richter Jochen Kötter an den Angeklagten. Mit dem Angebot einer Einlassung zu dem neuen Vorwurf: „Und wenn es ist, um Ihr Gewissen zu erleichtern.“
Verteidiger Marc Françoise kündigte an, zunächst die Auswertung des nun beauftragten Brandsachverständigen abzuwarten, bevor sein Mandant eventuell Angaben zu der Sache mache.
Weitere Hinweise auf rechtsextremes Motiv?
Staatsanwalt Heribert Kaune-Gebhardt sprach in einer Verhandlungspause von „bemerkenswerten Parallelen“ zu den Vorfällen in Solingen. „Es kann allerdings Wochen und Monate dauern, das zu ermitteln.“ Sollte sich der Anfangsverdacht in Bezug auf den Wuppertaler Brand erhärten, könne auch hier der Vorwurf des versuchten Mordes im Raum stehen.
Die Angehörigen der Verstorbenen dürfte vor allem die unbeantwortete Frage nach dem Warum umtreiben. Gab es doch ein rechtsextremes Motiv? Einschlägiges Bildmaterial mit Nazi-Propaganda auf einer Festplatte konnte dem Angeklagten nicht zweifelsfrei zugeordnet werden. Werke wie Hitlers „Mein Kampf” hatten die Ermittler dem Vater zugeordnet, dem das durchsuchte Gebäude gehört.
Der Angeklagte soll laut Ausführungen der Nebenklage-Anwältin Seda Başay-Yıldız gezielt nach dem marokkanischen Bewohner des Hauses in Wuppertal, nach dessen Geburtstag sowie nach dem Brand in der Normannenstraße im Netz gesucht haben. In engem zeitlichen Zusammenhang mit der Tat in Wuppertal. Ihr Eindruck bezüglich eines womöglich rechtsextremen Motivs: „Für mich hat sich das heute erhärtet.“