Rolf Mützenich, Julian Nida-Rümelin und Hans Eichel
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Am Tag danach war Rolf Mützenich, der vormalige SPD-Fraktionschef, einigermaßen ratlos. Nicht mehr als „einen Denkanstoß“ hätten er und die Unterzeichner eines sechsseitigen Papiers zum Umgang mit Russland geben wollen, einen Beitrag zur Debatte um den weiteren Umgang mit dem kriegswilligen Wladimir Putin, sagte er gegenüber Table.Briefings. Die Herausforderungen für Sicherheit und Frieden seien umfassend und komplex. „Einfache Antworten werden den vielfältigen Aufgaben nicht gerecht.“ Es sei immer wieder aufs Neue notwendig, „über Wege zur Koexistenz und zu belastbaren Beziehungen nachzudenken“. Nicht zuletzt in den USA werde darüber eine breite Debatte geführt.
Doch statt der erhofften Debatte und Ergänzen hagelte es Kritik und Unverständnis – auch aus den eigenen Reihen. Putins Machtstreben richte sich eindeutig gegen die internationale Ordnung „und zwingt uns zur Erhöhung unserer Verteidigungsausgaben“, konterte der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Falko Droßmann gegenüber t-online. Von einem „inhaltlich in weiten Teilen fragwürdigen Papier“, sprach der außenpolitische Sprecher Adis Ahmetovic. Der innenpolitische Sprecher Sebastian Fiedler sagte sogar, er sei „irritiert, verstört und verärgert“.
Was war passiert? In einem sechsseitigen Papier („Manifest“) hatten mehrere Dutzende mehr oder weniger prominente SPD-Linke, darunter Rolf Mützenich, Ralf Stegner, Norbert Walter-Borjans und Julian Nida-Rümelin zwar eine verteidigungsfähige Bundeswehr und eine militärische Handlungsfähigkeit Europas angemahnt. Allerdings hieß es auch, das Ganze müsste „in eine Strategie der Deeskalation und schrittweisen Vertrauensbildung eingebettet“ sein. Immer noch seien die europäischen Nato-Mitglieder Russland „militärisch konventionell deutlich überlegen“. Jedenfalls schafften „militärische Alarmrhetorik und riesige Aufrüstungsprogramme nicht mehr Sicherheit für Deutschland und Europa, sondern führen zur Destabilisierung und zur Verstärkung der wechselseitigen Bedrohungswahrnehmung“.
Nun war an dem Papier inhaltlich erst einmal wenig neu. Denn so oder so ähnlich hatten SPD-Linke ihr Russland-Verständnis schon mehrfach zum Ausdruck gebracht. Allerdings passt der Vorstoß zu diesem Zeitpunkt so gar nicht zur Politik von Kanzler, Vizekanzler und SPD-Verteidigungsminister. Die SPD-Führung war von dem Papier vorab informiert worden, äußerte sich zunächst aber nicht. Natürlich kam ihr der Impuls gut zwei Wochen vor dem Parteitag, der ohnehin nicht in Feierlaune stattfinden wird, ungelegen. Nur Fraktionschef Matthias Miersch, selbst lange Sprecher der Parlamentarischen Linken, meldete sich – und gab vorsichtige Distanz zu erkennen. Debattenbeiträge, zumal in außenpolitischen Fragen, seien immer „legitim, auch wenn ich zentrale Grundannahmen ausdrücklich nicht teile“, sagte er in einem RND-Interview. Es gebe nun mal „eine reale Bedrohungslage, auf die wir mit klarer politischer Haltung und massiven Investitionen in unsere Verteidigungsfähigkeit reagieren“.
Auch aus den Ost-Landesverbänden – von SPD und CDU – blieben Kommentare zum Manifest der SPD-Linken auffällig rar. Dass die CDU-Landesverbände im Osten, etwa Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer, nicht viel übrig hat für die Russlandpolitik seines Kanzlers, ist bekannt. Kaum anders bei der SPD. Ob Manuela Schwesig, Dietmar Woidke oder die sozialdemokratische Kretschmer-Stellvertreterin Petra Köpping: Von einem Fünf-Prozent-Rüstungsziel und geräuschvoller militärischer Aufrüstung halten sie alle nicht viel. Überaus kritisch reagierten dafür Grünen-Abgeordnete. „Offenbar wollen die Autoren Deutschlands Unterstützung für die Ukraine künftig an die ‘berechtigten Interessen’ Russlands knüpfen“, empörte sich der Osteuropa-Experte Robin Wagener. Letztlich redeten die Autoren dem russischen Vormachtstreben das Wort: „Putin macht seit 2021 den Rückbau der NATO in Osteuropa zur Bedingung für ein Ende des Krieges“. Es sei „besorgniserregend, dass die konspirativen Baku-Reisen von Ralf Stegner ihren Weg in die Programmatik der SPD finden“.