In Los Angeles
wird der Streit um Donald Trumps Migrationspolitik gerade zur
Machtprobe. Der US-Präsident mobilisiert Soldaten gegen den Protest, der sich
am verschärften Vorgehen der Einwanderungsbehörde ICE entzündet hatte. Die
zunehmenden Razzien und Festnahmen auf Baustellen oder in Betrieben schüren die
Angst bei allen, die ohne Papiere im Land leben. Und Trump dürften die Bilder
gefallen, die nur weiter zur Einschüchterung beitragen.
Ob er seinen
Zielen damit näherkommt, ist nicht ausgemacht. Aber Widerstand will er nicht
dulden, um seine großen Wahlkampfversprechen zu erfüllen: die „Grenze schließen“ und die
„Invasion von Illegalen in unser Land stoppen“. Gleich nach Amtsübernahme als Präsident sollte die größte Abschiebungsaktion
in der Geschichte der USA beginnen, angefangen mit „den Kriminellen“ – „und
dann machen wir mit anderen weiter“.
Allerdings: Die „anderen“ sind ganz schön
viele. Und Daten zeigen, dass sie nicht den US-Amerikanern die Jobs wegnehmen – wie Trump behauptet – und die US-Wirtschaft gefährden. Sondern das Gegenteil ist der Fall.
Unerlässliche Arbeitskräfte
Knapp 31 Millionen Einwanderinnen und Einwanderer arbeiten
in den USA. Das entspricht 19,2 Prozent der gesamten Arbeitskraft der USA, wie aus
aktuellen Daten des
US-Büros für Arbeitsmarktstatistik (PDF) für das Jahr 2024 hervorgeht.
© ZEIT ONLINE
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Nach Zahlen
des Pew Research Center, einem nicht staatlichen Meinungsforschungsinstitut, waren im Jahr 2022 rund 8,3
Millionen Arbeitskräfte sogenannte „unauthorized immigrants“. Das sind
Eingewanderte, die zum Beispiel über ihren zeitlich begrenzten Schutzstatus
hinaus im Land geblieben sind oder deren Asylantrag abgelehnt wurde. Viele von ihnen stammen aus Mexiko oder anderen mittel- und südamerikanischen Staaten. Und viele von ihnen arbeiten, obwohl sie keinen regulären Aufenthaltsstatus haben: Sie machen knapp
fünf Prozent der gesamten US-Arbeitskraft aus.
Mit ihrem Arbeitslohn tragen sie zur Kaufkraft des Landes bei – auch wenn Eingewanderte durchschnittlich weniger Geld zur Verfügung haben: Vollzeitkräfte aus dem Ausland verdienten vergangenes Jahr mit 1.001
US-Dollar rund 190 US-Dollar pro Woche weniger als im Inland geborene
Arbeitskräfte.
Das liegt zum einen am geringeren formalen Bildungsgrad:
Eingewanderte über 25 Jahre hatten 2024 fünfmal häufiger keinen Highschool-Abschluss
als im Inland geborene – wie die Daten der
US-Arbeitsmarktbehörde (PDF) zeigen. Die geringere formale Bildung beeinflusst, in welchen Branchen eingewanderte Arbeitskräfte unterkommen: eher in
Serviceberufen, auf dem Bau, als Handwerker, in der Produktion oder der
Logistik. In den USA geborene Arbeitskräfte hingegen arbeiten eher im
Management, dem Verkauf oder allgemein in Bürojobs.
Die Argumentation von US-Präsident Donald Trump: Einwanderung drücke die Löhne, da es mehr Konkurrenz – und damit Lohndumping gebe. Einige
Studien finden diesen Zusammenhang tatsächlich, vor allem im Niedriglohnsektor. Andere Untersuchungen widersprechen: Durch Einwanderung würden alle Löhne in den USA steigen – ein Fahrstuhleffekt sozusagen. Klar ist: US-Amerikanerinnen und -Amerikaner sind tendenziell besser ausgebildet als eingewanderte Arbeitskräfte, nur der geringere Teil steht also in direkter Konkurrenz zu eingewanderten Arbeiterinnen und Arbeitern.
Gefahr für das Wirtschaftswachstum
Eindeutiger ist der Effekt der Einwanderungspolitik auf die
US-Wirtschaft insgesamt. Während sich gerade alle auf die Zölle konzentrierten,
sei der Einbruch der Einwanderung „die eigentliche Story“, schrieb der Chef der Währungsforschung bei der Deutschen Bank, George Saravelos, in einer Mitteilung vergangenen Freitag: Hier liege die viel größere Gefahr für die US-Wirtschaft.
Eingewanderte stehen am Fließband, bewirten Gäste und geben
ihren Lohn für Miete, Energie und Lebensmittel aus – nach Berechnungen
der Haushaltsbehörde des Kongresses (PDF) eine Kaufkraft von insgesamt 254
Milliarden US-Dollar im Jahr 2022. Nach einer Untersuchung der American University tragen sie damit zu acht Prozent zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) der USA bei
– das entspräche fast dem gesamten BIP Kanadas aus dem Jahr 2022, schreibt
der Studienautor Ernesto Castaneda in einem Blogbeitrag. Und in einer Prognose der Haushaltsbehörde des US-Kongresses würde das Wirtschaftswachstum zwischen 2024 und 2034 jährlich um 0,2 Prozentpunkte von einer steigenden Nettozuwanderung profitieren.
Das Zutun der Eingewanderten zur US-Wirtschaft ist also
enorm – und steht mit Trumps restriktiver Migrationspolitik jetzt auf dem
Spiel. Denn die Verhaftungen und Abschiebungen könnten dazu
führen, dass Eingewanderte freiwillig ausreisen, in die Illegalität abtauchen oder andere die USA erst gar nicht als Zielland wählen.
Einbruch der Einwanderung
Anzeichen für einen Einbruch der Einwanderung gibt es
schon jetzt: Nach Daten der US-Grenzbehörde wurden im April rund 7.600 illegale
Einreisen an den US-Außengrenzen entdeckt. Im April des Vorjahres waren es noch
128.000 gewesen.
„Im Vergleich zu den Vorjahren ist die Zahl um mehr als 90 Prozent gesunken, was einer Verlangsamung des Arbeitskräftewachstums um mehr als 2 Millionen Menschen entspricht“, schreibt Deutsche-Bank-Analyst George Saravelos. „Dies stellt einen weitaus nachhaltigeren negativen Angebotsschock für die Wirtschaft dar als Zölle.“
Denn wie Deutschland sind die USA auf Einwanderung
angewiesen, um den demografischen Wandel auszugleichen. Werden illegale
Einreisen abgebunden und gleichzeitig nicht die legale Migration gefördert,
könnte sich der Fachkräftemangel in den
Branchen, in denen Eingewanderte vor allem arbeiten, verstärken – im Bau
oder der Montage etwa. Und genau darauf steuert Trumps Politik hin.
Gravierende Signalwirkung
Auch für den US-Haushalt wäre das fatal –
wegen der Steuern. Nach Berechnungen des
Thinktanks Institute on Taxation and Economic Policy (ITEP) summierte sich
das Steueraufkommen allein der Eingewanderten ohne gültigen Aufenthaltstitel im
Jahr 2022 auf knapp 97 Milliarden US-Dollar, etwa zwei Drittel davon an
Bundessteuern. Das wären immerhin fast zwei Prozent des gesamten
Steueraufkommens in den USA im selben Jahr.
Dem gegenüber stehen zwar auch Staatsausgaben – etwa für
Asylverfahren, Unterkünfte oder Sozialleistungen. Doch insgesamt, so die Haushaltsbehörde des US-Kongresses, würde eine steigende Nettoeinwanderung zwischen 2024
und 2034 das Staatsdefizit im gleichen Zeitraum um 897 Milliarden US-Dollar
verringern. Einfach, weil die Bevölkerung zunimmt.
Und das sind nur die Effekte, die sich beziffern lassen. Die längerfristige Signalwirkung von Trumps restriktiver Migrationspolitik lässt sich aktuell nur schwer vorhersagen – zum Beispiel auf touristische Reisen, Studierendenprogramme oder Investitionsentscheidungen ausländischer Unternehmen. Auch unter diesen indirekten Effekten könnte der Arbeitsmarkt leiden – und mit ihm die US-Wirtschaft.