„Waldhotel Sonnora“ – das klingt so verschroben wie aus der Zeit gefallen. Dabei ist das unaufgeregte Haus in Moselnähe DAS Mekka für Gourmets – und hat anders als viele Konkurrenten gar keine Probleme, die Tische vollzubekommen.
Beginnen wir mit dem Coup, der den Inhabern des Waldhotels Sonnora vor anderthalb Jahren gelungen ist: Da trat Magdalena Rambichler, selbst Sommelière, einen Schritt zurück, um den vielleicht besten Sommelier unseres Landes in ihr Restaurant zu locken. Nun ist Dreis, so der Name des Ortes unweit von Wittlich, nicht der Nabel der Welt, nein, wahrlich nicht, und doch ließ sich Marco Franzelin, Sommelier des Jahres in der Gourmetzeitschrift DER FEINSCHMECKER, hierherlocken. Und zwar aus dem sagenumwobenen Schloss Schauenstein von Koch Caminada im schweizerischen Graubünden, wo die Weinkeller so voll wie die Gehälter hoch sind.
Das allein zeigt schon, wie besonders dieses Waldhotel am Ende der Moselschleifen sein muss – wenn einer wie Franzelin sich überzeugen lässt, hier Dienst zu tun. Und wer einen Abend mit diesem Mann verbringen darf, der versteht schon nach dem ersten Glas, warum der Kerl so grandios ist.
Er ist keiner, der dem Gast mit erhobenem Zeigefinger erklären muss, wie viel er von Wein versteht. Auch keiner, der irgendwelche überkandidelten Weinempfehlungen von Romanée-Conti und Co. geben muss, für deren Flaschenpreis man den Erstgeborenen in Zahlung geben müsste. Und er ist gottlob auch kein Sommelier, der noch den zweiundzwanzigsten naturvergorenen Orangenwein empfehlen muss, der mit seiner maischevergorenen Brechstange noch die aromatischste Languste plattwalzen würde.
Keine Massenware
Nein, dieser Franzelin versteht es einfach, grandiose Präziosen zu entdecken und sie dann seinen Gästen zu empfehlen. In enger Zusammenarbeit mit seinem Chefkoch Clemens Rambichler, Magdalenas Ehemann, der, bevor er einen Gang erfindet, nachfragt, welcher Wein denn gut dazu passen könnte. Franzelin hat in der Champagne einige wunderbare kleine Produzenten, die zu den besten ihrer Zunft gehören, Flavien Novack zum Beispiel oder Clément Perseval. Die produzieren nur wenige Flaschen, aber sind in ihrem Handwerk so genau und dabei preiswert, dass sie für derlei Gourmetmenüs viel besser taugen als die Massenware von Moët und Co.
Das Ehepaar Rambichler, das den Laden mit drei Sternen unaufgeregt führt, stellt alten Tugenden junge Ideen gegenüber, die kreativ zur Vollendung gebracht werden.
(Foto: Alexander Oetker)
Auch bei französischen und italienischen Weinen hat Franzelin für die Weinbegleitung echte Raritäten auf Lager, die er wohltuend unprätentiös erklärt, genau wie die Fülle an Riesling und Weißburgunder, die der wunderbare Keller des Sonnora ohnehin bereithält. Da lässt sich auch mal ein echter Jahrhundertwein probieren, wie der 1997er Riesling vom Wachauer Nikolaihof.
Und all das macht dieser junge Mann mit seinem bubenhaften Grinsen, er ist schelmisch und sympathisch, nahbar und immer auf Augenhöhe, wahrscheinlich könnte er noch einen Scheich zu seinem ersten Vinho Verde verleiten.
Froschschenkel und Ferkel-Fuß
Doch damit ist nur der erste Glanzpunkt dieses Hauses gesetzt, das vor fast fünfzig Jahren in ebendiesem Dörfchen Dreis als Restaurant geboren wurde, von Helmut Thieltges, Verfechter der großen französischen Klassik in der Küche und Chefkoch des Hauses, der 2017 leider viel zu früh starb.
Im Sonnora kann man auch gleich ins Bett fallen, das ist praktisch.
(Foto: Alexander Oetker)
Das Ehepaar Rambichler übernahm Haus und Herd, Clemens gehörte hier schon sechs Jahre zum Team, nun trat er in die riesigen Fußstapfen und machte alles richtig: Weil er nicht mit den Traditionen brach, weil er dem Haus seine überschaubare Größe ließ und weil er die Signature-Gerichte seines Mentors auf der Karte ließ. Noch heute gibt es hier die Froschschenkel oder die Wachtel aus den Vogesen, Kalbszunge und Ferkel-Fuß.
Und die Torte vom Rindertatar mit Kaviar und Crème fraîche, geschichtet auf einen knusprigen Kartoffelrösti, über die mein Kollege Christoph Teuner hier vor Jahren eine Liebeserklärung schrieb.
Heute aber soll es um die Grandezza gehen, die Clemens Rambichler hier allabendlich in der Küche veranstaltet – ein Feuerwerk der Produkte, niemals um den schönen Schein bemüht, sondern immer nur um den großen Geschmack.
Das beginnt schon bei der Ouvertüre, die hier nicht aus kleinen Amuse-Bouches besteht und die alle gemeinsam an den Tisch kommen. Bachsaibling gibt es genau wie ein grandioses Tatar von Tomaten, ein Tartelette von Lachs und noch ein paar Präziosen, die alle punktgenau warm und perfekt serviert werden. Der Gast merkt gar nicht, dass er schon anderthalb Stunden hier sitzt, angeregt lacht und diskutiert und noch nicht einmal beim ersten Gang angekommen ist.
Auch für Anfänger geeignet …
(Foto: Alexander Oetker)
Dieser kommt dann in Form einer Gillardeau-Auster, die mit Kaviar, kleinen runden Tomaten und Gin aromatisiert ist. Und sie ist in Scheiben aufgeschnitten. Ein perfekter Schachzug, denn damit nimmt Rambichler jedem, der keine Austern mag, die Angst vor der Meeresfrucht. Es ist Gourmetküche für Anfänger und damit ein Ort, der die Schwellenangst nimmt, auch mal ausgefallene Dinge zu probieren. Genial.
Die Langoustine danach wird in ihrer Schale so anmutig präsentiert und dazu mit Zucchini, Tomaten und Olivenstückchen serviert – es ist eine Liebeserklärung an den Süden. Genau wie der Hummer, der fest und zutiefst aromatisch schmeckt; die Produktqualität im Sonnora ist wirklich tadellos. Rambichler aromatisiert den Hummer aus der Bretagne mit Curry und Lauchöl, ein gegrilltes Herz vom Romana-Salat bringt beides: Röstnoten und Leichtigkeit.
Die Liebe zum Detail macht, wie so oft, den Unterschied.
(Foto: Alexander Oetker)
Nach einem hervorragenden Rehrücken aus der Eifel kommt der Käsewagen. Nach dem Amuse gab es übrigens bereits den Brotwagen – welch‘ herrliche Idee, ein Wagen voller Leckerbissen, Sauerteig, Landbrot, Mohnbrötchen und klassisches Baguette, um nur vier der zwanzig Brotwaren zu erwähnen. Und auch hier fällt auf, wie souverän das Personal um Magdalena Rambichler und Marco Franzelin arbeitet, denn es wird tatsächlich jede der rund fünfzig Käsevarianten in aller Ruhe erklärt. Das ist nicht ermüdend, sondern richtig spannend. Anschließend wird die Auswahl dem Gast im Uhrzeigersinn so serviert, dass er mit dem leichtesten Käse starten und dann die aromatische Schraube anziehen kann, um mit dem wüsten Roquefort zu enden – so geht Gastfreundlichkeit bis ins kleinste Detail.
Dass die Nachspeise aus Walderdbeeren, Eiswein und Vanille-Eis so fabelhaft ist wie ein warmer Frühsommertag, braucht wahrscheinlich nicht mehr extra erwähnt zu werden. Und ja, das Menü im Sonnora ist mit 345 Euro nicht gerade günstig. Dennoch gibt es derzeit wohl kein Drei-Sternelokal in Deutschland, das so präzise und großzügig arbeitet, ohne dabei die Liebe zum Gast aus den Augen zu verlieren. Bodenhaftung, mehr Schein als Sein – wie sollte es sonst auch gehen, hier in der Eifel?