Der Druck auf Unionsfraktionschef Jens Spahn wegen der Maskendeals zu Beginn der Corona-Pandemie nimmt weiter zu. Wie der „Spiegel“ berichtet, habe er in seinem früheren Amt als Gesundheitsminister eigenhändig die Basis dafür gelegt, dass eine Klage in dreistelliger Millionenhöhe gegen den Bund vorliegt. Das geht demnach aus dem bislang zurückgehaltenen Bericht der Sonderermittlerin für die Maskengeschäfte, Margaretha Sudhof, hervor.

Den Bericht hatte Sudhof im Auftrag des Gesundheitsministeriums erstellt. Die gegenwärtige Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) hatte diese Woche zugesichert, dem Haushaltsausschuss des Bundestages alle Informationen daraus zugänglich zu machen.

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Der „Spiegel“ zitiert nun aus E-Mails, die aus dem Bericht stammen. Den Angaben nach soll sich Spahn zu Beginn der Coronakrise ab dem 8. März 2020 persönlich in laufende Gespräche zwischen seinem Haus und dem Hamburger Maskenhändler „Pure Fashion Agency“ eingeschaltet haben. Die Firma hatte dem Ministerium Schutzartikel angeboten. Spahn schrieb laut Bericht: „Jetzt will ich erst mal rechtlich verbindlich das Zeug… praktischen Rest mit meinen Leuten klären.“

Teure Vergleiche mit Lieferanten

Wenige Tage danach hatte das Ministerium die Gespräche mit dem Hamburger Händler abgebrochen. Die Firma wertet jedoch diese und andere Mails von Spahn sowie seinen früheren Mitarbeitern anders als der Bund als Tatbestand einer verbindlichen Zusage. Vor dem Bonner Landgericht klagt der Maskenhändler auf die Zahlung von rund 287 Millionen Euro.

Durch schnelle, mutige und unbürokratische Entscheidungen im Frühjahr 2020 wurden hunderttausende Menschen geschützt und Leben gerettet.

Dirk Heinrich, Vorsitzender des Virchowbunds

Wie die Chancen darauf stehen, dass der Bund zur Kasse gebeten wird, dazu macht Sudhof in ihrem Bericht laut „Spiegel“ keine Angaben. Spahn bestreitet derweil, dass er verbindliche Zusagen gegeben hat. Er habe in keinem Fall „rechtlich bindende Vertragsabschlüsse getätigt“, teilte er dem Nachrichtenmagazin mit.

Kritik habe Sudhof derweil in ihrem Bericht an einem Vergleich geübt, den der Bund im Mai 2020 mit einer weiteren Maskenfirma geschlossen hat. Dabei geht es um einen Deal des Bundes mit der Schweizer Firma „Emix Trading“, die damals von unionsnahen Kreisen vermittelt wurde. Die Firma hatte dem Ministerium seinerzeit Schutzmaterial für nicht ganz eine Milliarde Euro verkauft. In dem ausgehandelten Vergleich schrumpfte der Wert der Bestellmenge auf 749 Millionen Euro.

Sudhof schreibt demnach: „Es bleibt festzuhalten, dass der Vergleich die in den Ausgangsverträgen aufgerufenen Preise fortschrieb.“ Diese hätten damals mit 5,95 Euro und 5,40 Euro pro Maske deutlich über den Marktpreisen gelegen.

Der Bund habe außerdem der Position von „Emix Trading“ zugestimmt, wonach die Mängelquote geringer sei als vom Bund zunächst festgestellt. Eine Abwägung von Risiken und Chancen habe bisher nicht aufgefunden werden können, wird Sudhof zitiert. Eine solche habe es einem Ministeriumsberater, den Sudhof befragt habe, auch nicht gegeben. Weder Spahn noch das Gesundheitsministerium oder Emix hätten sich dazu auf Anfrage geäußert, schreibt der „Spiegel“ weiter.

Fehler in Scholz’ Finanzministerium?

Auch die „FAZ“ berichtet mit Verweis auf den bisher nicht veröffentlichten Sudhof-Bericht über weitere Unregelmäßigkeiten. So schloss das Gesundheitsministerium Vergleiche mit mehreren Maskenlieferanten, deren Ware eine ihr unterstehende Behörde als ungenügend eingestuft hatte, ohne dass das Bundesfinanzministerium (BMF) wie vorgesehen den Zahlungen zustimmte.

Laut der Zeitung kritisiert Sudhof in ihrem Bericht auch die Abläufe im Haus des damaligen Finanzministers Olaf Scholz (SPD). Als Spahns Ministerium ohne erforderliche Zustimmung sehr teure Vergleiche abschloss, habe das BMF diese lediglich zu den Akten genommen und nicht protestiert.

Unionsminister stützen Spahn

Aus der Union erhielt Spahn am Donnerstag Rückendeckung. „Jeder, der damals Verantwortung getragen hat“, sagte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann, „war in einer ganz anderen Situation“. Es sei leicht, darüber heute zu urteilen, so Laumann weiter, aber damals habe es „über alle Parteikonstellationen hinweg eine sehr vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Spahn gegeben“.

Alle Ressortverantwortlichen in den Ländern seien nach seiner Wahrnehmung zu Beginn der Pandemie „sehr dankbar gewesen“, dass Spahn binnen kürzester Zeit „relativ viel Schutzbekleidung“ besorgt habe. Laumann war wie heute schon zu Pandemiezeiten Gesundheitsminister in NRW.

Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) betonte bei der Gesundheitsministerkonferenz in Weimar, dass die Sonderermittlerin Margaretha Sudhof auf Initiative des Ex-Gesundheitsministers Karl Lauterbach tätig wurde. Warum die Arbeitsergebnisse Sudhofs von Lauterbach nicht wie gefordert dem Haushaltsausschuss bis Mitte Januar vorgelegt wurden, „kann ich nicht sagen“, so Warken.

Sie machte erneut deutlich, dass der Bericht selbst nicht dem Ausschuss vorgelegt werden könne, weil dies laufende Prozesse betreffe, zudem personenbezogene Daten. Man werde dem Haushaltsausschuss aber einen eigenen Bericht vorlegen, in den die Erkenntnisse Sudhoffs Eingang finden sollen.

Auch die Unionsfraktion, deren Chef Spahn ist, verstärkt nun ihre Verteidigungslinie: Den Abgeordneten wurde gestern eine vier Seiten umfassende Argumentationshilfe zur Verfügung gestellt, die darlegen soll, warum die Vorwürfe gegen Spahn unbegründet seien.

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In dem Schreiben, das dem Tagesspiegel vorliegt, heißt es unter anderem, der Bericht Sudhofs sei „parteipolitisch motiviert“, mit „dem klaren Ziel, der Union und Jens Spahn im Wahlkampf zu schaden“. Die Vorwürfe seien „haltlos“, nicht neu, würden „der damaligen Notlage nicht gerecht“, es fände auch keine Geheimhaltung statt.

Verteidigt wurde Spahn am Donnerstag auch vom Virchowbund, dem Verband der niedergelassenen Ärzte. „Durch schnelle, mutige und unbürokratische Entscheidungen im Frühjahr 2020 wurden hunderttausende Menschen geschützt und Leben gerettet“, erklärte der Vorsitzende Dirk Heinrich. Dafür sei er Spahn und anderen Entscheidern bis „heute noch sehr dankbar“.