Trotz des Eklats im Oval Office appelliert Wolodymyr Selenskyj weiter an den US-Präsidenten. Wladimir Putin verstehe „nichts außer Stärke – und Amerika hat diese Stärke“, sagte er dieser Tage im Interview mit Paul Ronzheimer. „Ich wünsche mir sehr, dass Amerika das sieht und versteht.“ Ein mögliches Kriegsende rücke nur dann in greifbare Nähe, wenn Donald Trump harte Sanktionen einführe. Und immerhin dürfe es für diesen „historisch gesehen nichts Wichtigeres geben“, als „den Frieden in der Welt wiederherzustellen“, versicherte der ukrainische Präsident.
Über den aktuellen Stand der russischen Invasion, kommende Sanktionspakete sowie Deutschlands künftige Rolle in Europa und der Nato sprach am Donnerstag auch Maybrit Illner. „Putins Rache, Trumps Spiel – kann Europa die Ukraine retten?“, fragte die ZDF-Moderatorin den Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), den CDU-Politiker und Oberst außer Dienst, Roderich Kiesewetter, den Militärexperten Carlo Masala, den CNN-Journalisten Fred Pleitgen und Cathryn Clüver Ashbrook, Leiterin des deutsch-amerikanischen Zukunftsforums der Bertelsmann Stiftung.
Ob der US-Präsident noch ein Partner des Westens sei? „An einem Tag ja, am anderen dann wieder nein“, antwortete Boris Pistorius. Die vom US-Verteidigungsminister Pete Hegseth angekündigte Kürzung der Ukraine-Hilfen bezeichnete sein deutsches Pendant als „Schlag“. Zugleich lobte er, dass die Vereinigten Staaten ihre Unterstützung nicht gänzlich einstellten oder sich gar gegen die Ukraine wendeten. Er setze darauf, die US-Amerikaner im Boot zu behalten. Zugleich konzentriere er sich darauf, wie Europa die Ukraine weiter unterstützen könne, erläuterte der aus Kiew zugeschaltete Bundesverteidigungsminister.
Das führte Illner zur anhaltenden Debatte um das „T-Wort“, wie sie den von Merz tabuisierten Taurus abkürzte. Auch nachdem Selenskyj gegenüber Ronzheimer den Wunsch nach der Lieferung erneuert hatte, blieb Pistorius wortkarg. „Es gibt dazu keinen neuen Sachstand.“ Stattdessen kündigte er eine Aufstockung der bewilligten Hilfen von 7 auf 8,9 Milliarden Euro an, mit der Deutschland dem überfallenen Staat helfen wolle, weitreichende Raketen „anderer Bauart“ zu produzieren. Der Taurus bleibe außen vor, was nichts mit der Haltung der SPD zu tun habe, sondern mit Gründen, über die er öffentlich nicht reden könne.
Und doch regt sich Widerstand in seiner Partei, wie das am Vortag veröffentlichte Manifest von SPD-Mitgliedern wie Ralf Stegner und Rolf Mützenich veranschaulicht hat. Darin bezeichneten sie die Erhöhung der Verteidigungsausgaben als „irrational“ und forderten die „Zusammenarbeit mit Russland“. Pistorius stellte sich deutlich gegen seine Genossen. „Wie man sich in dieser Phase eine engere Zusammenarbeit mit Russland auch nur vorstellen kann, ist völlig befremdlich.“ Es sei „völlig eindeutig“, dass Putin der Aggressor sei. Gleichzeitig blickte er gelassen auf den Parteitag. „Ich habe großes Vertrauen in meine SPD.“
„Wir wissen alle, dass die SPD vergleichsweise gespalten ist“, erklärte Roderich Kiesewetter im Hinblick auf den Koalitionspartner seiner Partei. Das Manifest sei für ihn somit „keine Überraschung“, einzig der Zeitpunkt der Veröffentlichung sei für ihn unerwartet gewesen. Es untergrabe die Geschlossenheit der Bundesregierung und die Klarheit für die Nachbarstaaten, die sich dank Friedrich Merz gerade wieder verstärkt an Deutschland orientierten. Das nun vermittelte „Bild der Zerrissenheit“ sei zwar unglücklich, gestand der CDU-Sicherheitspolitiker, doch es bleibe „eine Petitesse, eine Sommersprosse“.
Auch mit seiner eigenen Partei ging Kiesewetter ins Gericht. „Wir müssen unsere Russland-Vergangenheit aufarbeiten – zu viel Moskau-Connection“, sagte der CDU-Politiker. Er pflege etwa ein „besonderes Verhältnis“ zum sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer, der zuletzt vorgeschlagen hatte, die Nord-Strean-Pipelines wiederzubeleben. Auch im Wahlkampf habe das „intensive Grünen-Bashing“ in der Union vor allem dazu gedient, die Partei als Koalitionspartner auszuschließen. „Wir müssen die Ukraine in euro-atlantische Sicherheitsstrukturen einbringen“, forderte er. „Das gefällt nicht allen.“
Der Beweis dessen war unlängst dadurch erbracht worden, dass Friedrich Merz seinen Parteikollegen aus dem parlamentarischen Kontrollgremium entfernt hatte. „Unser Verhältnis ist großartig“, versicherte der CDU-Politiker zunächst Illner, um harte Kritik am Bundeskanzler und dessen Abstimmung über das Zustrombegrenzungsgesetz im Wahlkampf folgen zu lassen. „Wir stehen an der Seite Israels und des jüdischen Volkes“, betonte Kiesewetter, „und deswegen stimme ich nicht am Holocaust-Gedenktag mit der AfD für eine schwierige Migrationspolitik.“ Seine Degradierung sei der „Preis für meine Haltung“.
Trump im selben Team wie Jinping und Putin
Noch weniger hielt er von Donald Trump, der für Multipolarität stehe und damit zum selben Team gehöre wie Xi Jinping und Wladimir Putin. „Wir vertreten die regelbasierte Ordnung“ von der Europäischen Union bis zu den Zentralbanken, erläuterte Kiesewetter, „all das ist vom Tisch gewischt“. Europa dürfe sich daran nicht beteiligen, da es wegen Staaten wie Ungarn nicht geeint sei und sich somit zum „Spielball“ entwickeln würde. Carlo Masala bestätigte seinen Vorredner. Falls Trump die Sanktionen lockere, würde sich Europa „zerlegen“ und Putin könne vor allem Osteuropa politisch und ökonomisch dominieren. „Das war’s dann.“
Die Diskussion um Sanktionen zeige, „wie schlecht die Amerikaner strategisch aufgestellt“ seien und „wie wenig tatsächliche Russland-Expertise im Weißen Haus“ existiere, sagte Ashbrook. Zwar gebe es einen stabilen Ukraine-Rückhalt im Senat und der Bevölkerung, doch faktisch werde dieser nicht ausgestaltet. Dahinter steckten jene, die eine Reindustrialisierung der Vereinigten Staaten im Sinn hätten, die nur über neue Absatzmärkte funktioniere. Da die US-Regierung aber an der Zollpolitik und am Haushaltsgesetz scheitere und zugleich Universitäten ausschließe, entwickele sich Russland zur „fast noch einzigen Option“.
Dominik Lippe berichtet für WELT regelmäßig über die abendlichen Polit-Talkshows. Der studierte Biologe ist Absolvent der Axel Springer Academy of Journalism & Technology.