Stand: 13.06.2025 06:00 Uhr

Tamar Noorts Roman „Der Schlaf der Anderen“ thematisiert das leidvolle Dasein zweier schlafgestörter Frauen, die durch neue Begegnungen den Mut finden, aus ihren festgefahrenen Strukturen auszubrechen.

von Maren Ahring

Guter, erholsamer Schlaf ist für Autorin Tamar Noort: „Ein Grundbedürfnis, das eigentlich den gleichen Stellenwert haben müsste wie Essen oder Trinken.“ Doch leider sieht die Realität anders aus: Schlafstörungen – besonders bei Frauen – nehmen zu.

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Mann schläft mit offenem Mund in einem Bett © Colourbox Foto: Pressmaster

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Wenn Schlaflosigkeit zum Begleiter wird

Wie es sich anfühlt, wenn man über Wochen, Monate, Jahre schlecht schläft, beschreibt Tamar Noort sehr eindrücklich auf der ersten Seite ihres neuen Romans:

Der Schlaf gebietet über meinen Körper. Ich verabscheue ihn dafür, aber gleichzeitig sehne ich ihn herbei. Denn er erreicht seine Macht über mich mit einem einfachen Schachzug: mit seiner Abwesenheit. Wenn er fehlt, verblassen alle Prioritäten. Meine Würde ist auf einmal optional. Für eine einzige erholsame Nacht würde ich Überzeugungen aufgeben und mich selbst verraten.
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Der Leidensdruck ist also hoch bei Sina, einer der beiden Hauptfiguren im Buch. Sie funktioniert mehr, als dass sie lebt. Neben ihrer Vollzeitstelle als Kunstlehrerin schmeißt sie nebenbei den Haushalt und organisiert das Familienleben für Mann und Kinder.

Weil Sina nicht schlafen kann, soll sie eine Nacht im Schlaflabor verbringen. So lernt sie Janis kennen, die dort arbeitet. Ein Setting, das Tamar Noort vertraut ist. Als Studentin hat sie in einem Schlaflabor gejobbt: „In einem Schlaflabor zu arbeiten, also als Nachtwache die ganze Nacht über jemanden buchstäblich zu wachen, der schläft, das ist eine ganz intime Situation eigentlich.“

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Ein Mann sitzt auf einem Bücherstapel und liest ein rotes Buch. © Imago Images Shotshop

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Befreiung aus dem Hamsterrad

Janis sieht, wie Sina die erste Hürde nimmt. Wie die dichten, eng getakteten Linien heller, langsamer, ausschweifender werden, nach oben und unten. (…) Sina driftet gerade weg, ihr Geist schweift aus, und für Janis fühlt es sich an wie eine Einladung. Als dürfte sie mitkommen auf die Reise, die Sina jetzt antritt.

Diese Nacht ist einer der Wendepunkte der Geschichte: Nichts wird danach mehr sein, wie es war. Denn Sina wird die Nacht nicht bis zum Ende im Bett des Schlaflabors verbringen. Die beiden Frauen verlassen gemeinsam das Krankenhaus und brechen aus ihren festgefahrenen Strukturen aus. Janis, die Schlaflabor-Nachtwache, führte bedingt durch ihre Arbeitszeiten ihr Leben ziemlich allein, quasi an der Gesellschaft vorbei. Nun möchte sie sich langsam wieder „einfädeln“, soziale Kontakte aufbauen – wie zu ihrer alten Nachbarin.

Am ersten Tag des neuen Jahres steht Frau Decker vor meiner Tür. Sie lädt mich zum Backen ein, allerdings in meiner eigenen Küche (…) Also backe ich Neujahrskuchen mit meiner Nachbarin. In den letzten Wochen habe ich jede Nacht sechs Stunden am Stück geschlafen, und zwar zu normalen Zeiten. (…) Ich feiere meinen neuen Rhythmus wie einen Triumph. Frau Decker ist wenig beeindruckt. Sechs Stunden, das ist Seniorenpensum, sagt sie.
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Spielkartenstapel mit Fragezeichensymbol © Fotolia Foto: Brian Jackson

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Ein leichter Roman, trotz des schweren Themas

Diese kleinen Szenen machen die Seele des Romans aus: Sie sind gut beobachtet, glaubwürdig beschrieben und immer mit einer guten Prise Humor gewürzt. Die Frage, ob wir die richtigen Entscheidungen im Leben getroffen haben oder vielleicht auch noch mal umsatteln können, schwingt immer lässig mit – ohne aufdringlich zu sein. Das macht den Roman leicht – trotz des schweren Grundthemas.

Dank der Bücher von Melanie Raabe oder Theresia Enzensberger und jetzt von Tamar Noort finden der Schlaf oder die Schlaflosigkeit langsam Einzug in die Literatur. Völlig logisch, meint die Autorin: „Schlaflosigkeit nimmt zu. Wir werden zunehmend eine schlaflose Gesellschaft. Es gibt immer mehr Menschen, die unter Schlaflosigkeit leiden. Und damit wird natürlich der Leidensdruck größer und auch der Wunsch, das literarisch zu verarbeiten.“

Vielleicht trägt dieser richtig gute Roman „Der Schlaf der Anderen“ dazu bei, das Thema weiter zu enttabuisieren. Unbedingt lesenswert – nicht nur für Schlafgestörte.

Das NDR Buch des Monats im Programm

Die NDR Kultur Redaktionen von Radio, Fernsehen und Online wählen jeden Monat ein belletristisches Buch aus, das besonders gut zu Norddeutschland passt. NDR Kultur sendet die Rezension am 13. Juni 2025, 12.40 Uhr, NDR Info um 8.55 Uhr. NDR Kultur – Das Journal im Fernsehen berichtet über das Buch ebenfalls am 16. Juni 2025, 22.45 Uhr.

Der Schlaf der Anderen

von Tamar Noort

Seitenzahl:
320 Seiten
Genre:
Roman
Verlag:
Rowohlt
Bestellnummer:
978-3-463-00062-6
Preis:
24 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur |
Der Morgen |
13.06.2025 | 12:40 Uhr

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Romane

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