VorlesenNews folgenArtikel teilen
Robert Müller ist Bundeswehr-Veteran und wurde im Einsatz schwer traumatisiert. Er brauchte lange, um sich sein eigenes Leid einzugestehen, nun kämpft er für Sichtbarkeit und Anerkennung.
Der ehemalige Fallschirmjäger Robert Müller lebt in Stade bei Hamburg und ist Einsatzveteran und Kriegsversehrter. Er kämpft seit Jahren für die Anerkennung und Versorgung traumatisierter Soldaten. Anlässlich des ersten deutschen Veteranentags spricht er offen über die psychischen Folgen seiner Einsätze, den politischen Umgang mit Veteranen – und einen Moment, der ihn endgültig zum Umdenken brachte.
t-online: Herr Müller, wann war Ihnen klar, dass Sie Hilfe brauchen?
Robert Müller: Das war ein Schlüsselmoment. Ich war Hundeführer, hatte eine Einzelstube mit meinem Hund. Ich saß auf dem Bett, war gedanklich völlig weg – wieder im Kosovo, wieder in Afghanistan. Mein Hund stupste mich an, wollte gestreichelt werden. Ich habe ihn weggeschubst. Dann wollte ich ihn sogar wegschleudern. Da hat er sich umgedreht und mir kräftig in den Daumen gebissen – ich trage davon noch heute eine Narbe. Für mich war das ein deutliches Signal: In einem Rudel würde der unterlegene Wolf nie den Leitwolf beißen – es sei denn, der ist krank oder schwach. Da habe ich verstanden: Mit mir stimmt etwas nicht.
Wie haben Sie sich in den Einsätzen verändert?
Im Kosovo 1999 habe ich als junger Soldat viele traumatisierende Erlebnisse gehabt: Ich sah Leichen, verstümmelte Kameraden, geriet selbst in ein Minenfeld. Ich kam verändert zurück – aber ich konnte das nicht einordnen. Ich wurde gefühlskalt, ein Stück weit aggressiver. Der Alkohol war ein Ventil. Das war damals „normal“.
Und dann kam Afghanistan?
Ja, 2002 wurde ich dort schwer verwundet. Kameraden hatten aus Versehen Sprengstoff in alten russischen Raketen zur Explosion gebracht – genau dort, wo ich mit meinem Spürhund trainieren wollte. Danach hatte ich Flashbacks, Albträume, Platzangst. Ich konnte Menschenmengen nicht mehr ertragen. Ich war schreckhaft, innerlich aufgewühlt, wurde immer aggressiver. Psychisch ging es einfach nicht mehr.
Wie hat die Bundeswehr damals reagiert?
Ein Oberfeldarzt hat mir nach dem Einsatz eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) diagnostiziert – aber mich nicht in Therapie geschickt. Er sagte: „Am besten gehen Sie noch mal in den Einsatz.“ Das war der medizinische Ansatz damals. So bin ich 2003 und 2005 wieder nach Afghanistan. 2005 hatte ich erneut mit Sprengstoff zu tun – das war retraumatisierend. Heute weiß man, dass das völlig falsch war. Damals wusste man nicht, wie man mit PTBS umgehen soll.
Sind Sie heute wütend auf den Arzt?
Nein, nicht auf ihn. Meine Wut richtet sich mehr gegen die Politik. Sie hat uns in diese Einsätze geschickt – ohne zu wissen, was danach passieren soll. Nach den Erlebnissen des Zweiten Weltkriegs wusste man, wie viele Verwundete und Traumatisierte heimkehren. Die Bundeswehr hatte kein Konzept, was mit seelisch Verletzten passiert. Das Einsatzversorgungsgesetz von 2010 hat nicht wirklich geholfen. Wer ein Bein verlor, bekam Unterstützung. Wer psychisch krank wurde, fiel durchs Raster.
Hat sich daran etwas geändert?
Ja, aber nur, weil wir Druck gemacht haben – öffentlich, in den Medien, als Betroffene. Von sich aus hat niemand etwas getan, weder das Verteidigungsministerium noch die Politik. Ich weiß heute, was politische Lippenbekenntnisse sind. Die Verbesserungen wurden erkämpft.
Der Bundeswehr-Einsatzveteran und Buchautor Robert Müller. (Quelle: imago stock&people)
Robert Müller ging 1998 als Wehrpflichtiger zu den Fallschirmjägern der Bundeswehr. Er nahm an Auslandseinsätzen im Kosovo und in Afghanistan teil. Während eines Einsatzes wurde er schwer traumatisiert und leidet seither an PTBS. Er blieb über 20 Jahre bei der Bundeswehr und schrieb das Buch „Soldatenglück“ (2012) über seine Erfahrungen. Er lebt in Stade bei Hamburg und setzt sich für die Belange von Einsatzveteranen ein.
Sie selbst haben sich lange nicht geöffnet. Warum?
Ich war Fallschirmjäger. Da spricht man nicht über Schwäche. Unser Leitspruch war: „Klagt nicht, kämpft.“ Wenn man psychische Probleme hatte, ging man nicht in die FU-6 – die psychiatrische Abteilung. Das war „nur was für Kriegsdienstverweigerer oder Drogenabhängige“. Für jemanden mit Kommandolehrgängen war das eine Demütigung. Ich habe das lange versteckt – mit allen Konsequenzen.
Was bedeutete das für Ihr Privatleben?
Meine Ehe ging in die Brüche. Ich habe den Kontakt zu meinen zwei älteren Töchtern verloren – und das tut weh. Ich wollte ein guter Vater sein, habe es aber nicht geschafft. Ich funktioniere nicht in allen Lebenslagen. Und dafür trage ich die Verantwortung.