Am 23. Mai kommt bei einem israelischen Angriff im Gazastreifen beinahe die ganze Familie von Adam al-Najjar ums Leben. Er selbst wird schwer verletzt, als seine neun Geschwister sterben. Zusammen mit seiner Mutter wird er nun in Italien behandelt.
Es ist schon nach 23 Uhr, als die Maschine im Militärbereich des Mailänder Flughafens Linate landet. Auch Italiens Außenminister Antonio Tajani ist an diesem Mittwochabend anwesend und hat einen Ball als Geschenk mitgebracht. Die Maschine, eine C-130 der italienischen Luftwaffe, war vom israelischen Flughafen von Eliat-Ramon gestartet und hatte ganz besondere Passagiere an Bord. Einige liegen auf Tragen, andere können selbstständig gehen, haben aber dicke Verbände am Kopf, an den Armen oder an den Beinen. Unter den Passagieren sind auch fünf Kinder, zwei Mädchen und drei Jungen, alle schwer verletzt.
Der bekannteste unter diesen kleinen Patienten ist der elfjährige Adam. Dass er so viel Aufmerksamkeit auf sich zieht, hat mit seinem Schicksal zu tun. Bei einem Bombenangriff der Israel Defence Forces (IDF) am 23. Mai kamen in Chan Junis seine neun Geschwister, zwischen drei und zwölf Jahren alt, ums Leben.
Sein Vater wurde schwer verletzt, für eine kurze Zeit gab es Hoffnung, dass er überleben würde, doch auch er erlag eine Woche später den schweren inneren und Hirn-Verletzungen. Adams Mutter Alaa al-Najjar war zum Zeitpunkt des Angriffs nicht zu Hause. Die Kinderärztin hatte Dienst im Nasser-Krankenhaus, ihr Mann hatte sie am Morgen noch zur Arbeit gebracht. Später erzählte sie, dass sie nur eines ihrer toten Kinder wiedererkannt hatte. Bei den anderen waren die Brandwunden zu verheerend.
Neuanfang in Italien?
Als die Geschichte der Familie al-Najjar international für Schlagzeilen sorgte, erklärte sich Italien sofort bereit, Adam nach Italien zu holen, um die nötige ärztliche Betreuung zu übernehmen. Italien ist in medizinischen Evakuierungsmissionen erfahren. Aus dem Gazastreifen wurden mittlerweile schon 133 junge Patienten geholt und auf Krankenhäuser hierzulande verteilt. Rechnet man die Erwachsenen hinzu, wurden bis heute 150 Patienten und 450 Angehörige eingeflogen. Italien liegt damit weltweit auf dem vierten Platz der Länder, die Evakuierungen aus dem Gazastreifen organisiert haben.
Wie das Außenministerium in einer Pressemitteilung schreibt, landeten allein am Mittwoch insgesamt drei Flüge mit palästinensischen Patientinnen und Patienten in Italien. An Bord waren dieses Mal 17 Schwerverletzte und 53 Angehörige.
Diese Evakuierungsmissionen seien dank intensiver diplomatischer Arbeit möglich, heißt es vom Außenministerium. Neben der italienischen Botschaft in Tel Aviv waren demnach auch das Generalkonsulat in Jerusalem und Beamte des Ministerratspräsidiums involviert. Auch der Zivilschutz der EU und die Weltgesundheitsorganisation, sowie Italiens Innenministerium und Verteidigungsministerium haben mitgearbeitet. Außenminister Tajani sagte nach Ankunft der C-130: „Italien wird Kinder aus Kriegsgegenden, wo immer diese sich auch befinden sollten, stets aufnehmen und versorgen.“
Gleich nach der Ankunft wurden die Patientinnen und Patienten je nach Art der Verletzung und Gesundheitszustand auf verschiedene Krankenhäuser in Italien verlegt. Jedes dieser Krankenhäuser sorgt auch für die Unterkunft der Begleiter und stellt einen Dolmetscher zur Verfügung.
Brandwunden an 60 Prozent des Körpers
Adam kam in das Mailänder Krankenhaus Niguarda. Als er nach dem Angriff auf sein Haus in Chan Junis schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert worden war, hieß es, er habe Brandwunden auf 60 Prozent des Körpers. Deswegen wurde er in das Mailänder Krankenhaus gebracht, das über ein neues Fachzentrum für Verbrennungen verfügt. Außerdem nimmt dieses Krankenhaus seit Jahrzehnten Kinder aus Kriegsregionen auf. Das heißt, es verfügt auch über eine psychologische Betreuung für Kinder, die aus solchen Krisenregionen kommen und Schreckliches gesehen und erlebt haben. Um diese Betreuung für ihren Sohn hatte auch die Mutter gebeten.
In einem Interview mit der italienischen Zeitung „La Repubblica“, das vor der Evakuierung veröffentlicht wurde, sagte Alaa, Adams Zustand sei stabil, aber „sein linker Arm ist in einem schlechten Zustand, die Knochen sind gebrochen und die Nerven sind beschädigt“. Nach Ansicht der Mediziner sind weitere Operationen unumgänglich. Adam selbst sagte der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu: „Die Verletzung betrifft meine linke Hand, es gibt ein Problem mit den Nerven, ich habe kein Gefühl in meinen Fingern. Ich habe immer noch starke Schmerzen.“ Wie es inzwischen um die Brandwunden des Jungen steht, wurde nicht gesagt.
Adams Mutter bedankte sich bei Tajani und den Italienern dafür, weit weg vom Krieg sein zu können, vor allem aber dafür, dass ihr Sohn die nötige ärztliche Versorgung bekommt. Kurz vor dem Abflug nach Mailand sagte sie in einem TV-Interview mit dem italienischen Sender RAI, es täte ihr leid, Gaza zu verlassen: „Hier sind so viele Menschen, denen es schlecht geht“. Doch die Genesung und das Wohlergehen des einzigen Kindes, das ihr geblieben ist, habe jetzt für sie jetzt Vorrang. „Ich hoffe, man wird mir verzeihen.“