Die gebürtige Sächsin schüttelt mit dem Kopf und sagt: „Ich bin aus dem Kinderheim weggelaufen. Das war mein Vergehen. Ich wollte mich nicht anpassen. Und mich nicht in eine Schublade stecken lassen. Ich hatte keinen Bock auf Sozialismus und FDJ-Hemd. Ich habe mich dagegen gewehrt. Und die ‚Belohnung‘ war dann die Venerologische Abteilung.“
Ich bin aus dem Kinderheim weggelaufen. Das war mein Vergehen. Ich wollte mich nicht anpassen.
Jana Mendes-Bogas
wurde vom DDR-Regime in „Tripper-Burgen“ misshandelt
Gerede über „asoziale Frauen“
Das Ziel war klar: Die Patientinnen sollten zu sozialistischen Persönlichkeiten umerzogen werden. Christine Wöldike kennt das Krankenhaus Friedrichstadt seit 1972. Erst war sie dort Krankenschwester, dann Ärztin. Sie habe die sogenannte Tripperburg im Dachgeschoss nie mit eigenen Augen gesehen. Dennoch wusste sie, was sich auf Station 9 abspielte. „Wer das nicht mitgekriegt hat, der muss blind gewesen sein. Alle redeten über den Nutteschulze, der wieder neue Frauen eingesammelt hat. Also wir redeten schon darüber, dass da asoziale Frauen waren und dass die weggeschlossen wurden. Waren eben Prostituierte oder Nutten.“
Genaueres habe damals niemand im Krankenhaus gewusst, meint Wöldicke. Nur, dass man die Patientinnen auf dem Gelände durchaus sehen konnte: „Sie haben als Reinigungsdienste gearbeitet, hier geschrubbt, dort geputzt.“
Eltern chancenlos – Entscheidungen des Jugendamtes unumgänglich
Seit ihrer Pensionierung arbeitet Christine Wöldicke im Ethikkomitee des Städtischen Klinikums mit. Dort hat sie sich mit dem Leitenden Psychologen des Klinikums, Mathias Mohr, mit der Geschichte der Tripperburg in Dresden auseinandergesetzt. Mohr berichtet, dass sich die Dresdner Station nicht von den anderen Venerolgischen Stationen in der DDR unterschieden habe.
Nur eine Besonderheit habe es gegeben. Die empöre ihn noch heute: Zehn- bis zwölfjährige Mädchen seien in Dresden weggesperrt worden – trotz Einspruch der Eltern. „Sie wurden einfach weggefangen auf dem Bahnhof, weil sie als leichtes Mädel galten oder weil das Jugendamt mit dem Elternhaus unzufrieden war. Und sie wurden genauso zwangsbehandelt wie alle anderen. Drei bis sechs Wochen lang im Durchschnitt.“
Demütigungen, Folter und Zwangsbehandlungen
Jana Mendes-Bogas erinnert sich noch heute deutlich daran. Egal auf welcher geschlossenen Venerologischen Station sie war, überall sei sie täglich gegen ihren Willen gynäkologisch untersucht und misshandelt worden. Sie sagt: „Ich weiß gar nicht, was schlimmer war, die Untersuchung selbst oder die Situation. Jeden Tag standen da 22 Frauen hintereinander an der Tür. Und jedes Mal mussten wir hintereinander auf den Stuhl rauf. Hygiene oder gar Intimsphäre, das gab es alles nicht.“
Die wenigsten Frauen – so erzählt sie weiter – hatten tatsächlich eine Geschlechtskrankheit. Die meisten seien gesund gewesen, so, wie sie selbst.
Jedes Mal mussten wir hintereinander auf den Stuhl rauf. Hygiene oder gar Intimsphäre, das gab es alles nicht.
Jana Mendes-Bogas
wurde als 15-Jährige in der DDR eingesperrt und misshandelt
Die Frauen sollten laut Hausordnung der Kliniken isoliert und zu „sozialistischen Persönlichkeiten“ erzogen werden. Aus der Forschung weiß man seit zehn Jahren, wie gewaltsam das gemacht wurde: mit brutalen gynäkologischen Untersuchungen, fragwürdigen Medikamenten, Schlafentzug und anderen Arten physischer und psychischer Folter.
Jahrzehntelang wurde auch in Friedrichstadt über dieses düstere Kapitel der DDR-Geschichte geschwiegen. Fragt man den Psychologen, was ihm Schicksale wie das von Jana Mendes-Bogas erzählen, antwortet er: „Mir erzählt das etwas über Diktatur, das heißt, wenn Leute eigenmächtig handeln können, wenn keine Kontrollgremien da sind, wenn Gesetze und Menschlichkeit außer Kraft gesetzt werden, dann ist sowas möglich.“
Aufarbeitung: Betroffene Frauen gesucht
Das Städtische Klinikum Dresden will sich dieser Geschichte stellen und sucht betroffene Frauen, mutige Menschen, so wie Jana Mendes-Bogas. Sie war glücklich, als sie Jahrzehnte später ihre Rehabilitierung in der Hand hielt. „Ich finde es gut, dass sich die Dresdner um diese, ihre Geschichte kümmern wollen. Das ist sehr wichtig für uns Frauen. Denn egal, in welcher der vielen Geschlossenen wir waren, wir haben uns über Jahre geschämt. Wir waren voller Angst.“
Eines sagt die heute 56 Jahre alte Sächsin aber auch: „Der Drops ist gelutscht. Ich habe es erlebt. Ich kann es nicht mehr rückgängig machen. Doch ich werde den Kopf nie in den Sand stecken. Dann hätten die ja gewonnen. Niemals.“