Vor wenigen Tagen erhielten die Menschen an den Schaltstellen der Macht in Brüssel einen Brief aus Berlin, von dem für sie alle viel abhängt. Mehr noch: Was die Bundesregierung auf knapp drei eng bedruckten Seiten schreibt, ist für jeden EU-Bürger von direkter Relevanz. Denn in wenigen Wochen beginnt eine lange Auseinandersetzung ums Geld in der EU, wenn die Europäische Kommission ihren Vorschlag für den neuen mehrjährigen Haushalt vorlegt. Der bestimmt den Spielraum fast allen politischen Handels in Europa für die Jahre nach 2027. Wenn sich die Bundesregierung dazu äußert, hören alle hin – Deutschland trägt mit seinen Beiträgen etwa ein Viertel des gesamten Budgets und hat in den Verhandlungen entsprechend hohen Einfluss.

Diesmal ist das Ungleichgewicht zwischen Bedarf und Ausgabenbereitschaft besonders groß. Einerseits sind die Anforderungen höher denn je, die EU soll ihre Wirtschaft transformieren, Wachstum fördern und idealerweise zur Verteidigungsunion werden. Andererseits sind die finanziellen Möglichkeiten überschaubar, und die Nettozahler um Deutschland haben keine große Lust darauf, mehr Geld nach Brüssel zu überweisen. Die schwarz-rote Koalition macht Letzteres gleich am Anfang ihres Schreibens deutlich. „Die finanziellen Spielräume der Mitgliedstaaten bleiben auf absehbare Zeit begrenzt“, heißt es darin. Für eine Erhöhung des Haushalts gemessen an der Wirtschaftskraft gebe es „keine Grundlage“.

Mit der geplanten Aufrüstung werden die Haushaltsgespräche komplizierter

Gleiches gilt für neue EU-Schulden, die aus der Sicht einiger europäischer Partner wie Frankreich ein geeignetes Mittel wären, um finanzielle Engpässe zu umgehen. Mit Blick auf den 800 Milliarden Euro schweren Corona-Wiederaufbaufonds sagt Deutschland auch dazu vorab nein. „Eine Verstetigung dieses außerordentlichen und temporären Instruments lehnt die Bundesregierung ab“, heißt es in dem Schreiben, „eine Verlängerung ist rechtlich ausgeschlossen.“ Von 2028 an müssen die während der Pandemie erstmals aufgenommenen EU-Schulden zurückgezahlt werden. Das verkompliziert die Haushaltsverhandlungen zusätzlich: Schätzungen zufolge dürfte das 30 Milliarden Euro pro Jahr verschlingen, grob ein Fünftel des gesamten Budgets.

Die EU legt ihren Haushalt immer für einen Zeitraum von sieben Jahren fest. In seiner Komplexität geht der – Fachbegriff: Mehrjährige Finanzrahmen, kurz MFR – über viele nationale Haushalte weit hinaus. Für den Zeitraum bis 2027 lag das Volumen bei etwa 1,2 Milliarden Euro, seit der Pandemie ergänzt um die Mittel aus dem Corona-Fonds. Ein Großteil des Budgets speist sich aus Beiträgen der Mitgliedstaaten, weitere Gelder stammen aus Zolleinnahmen und einem fixen Anteil an der Mehrwertsteuer – den sogenannten Eigenmitteln. Etwa ein Drittel der regulären Ausgaben fließt in die Regionalförderung, auch bekannt als Kohäsionspolitik. Ein weiteres Drittel gibt die EU für die Landwirtschaft aus. Der Rest verteilt sich auf Dinge wie Forschungsförderung, Krisenhilfe und Wachstumsfonds.

Anstatt den absehbaren Mehrbedarf durch neue Beiträge zu decken, setzt sich Berlin für eine Vereinfachung des Haushalts ein. In dieser Hinsicht kann sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) bei ihrem Reformbestrebungen auf Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) verlassen. Der MFR müsse „einfacher und flexibler werden, um auf unvorhergesehene Ereignisse wirksam reagieren zu können“, schreibt die Bundesregierung. Die Kommission solle Geld leichter zwischen einzelnen Politikbereichen hin und her schieben können, es soll weniger Programme geben und klarer definierte Ziele. „Alle bestehenden Ausgaben“ müssten überprüft werden.

Eine radikale Reform dürfte mit der Bundesregierung nicht zu machen sei

Mit der geplanten europaweiten Aufrüstung werden die Haushaltsgespräche noch einmal komplizierter. Während Deutschland EU-Schulden zur Verteidigungsfinanzierung grundsätzlich ablehnt und der finanzielle Spielraum anderer Mitgliedstaaten – etwa in Frankreich – begrenzt ist, will die Regierung in Berlin einen Teil der Rüstungsausgaben aus dem Haushalt stemmen. Die Sicherung der Verteidigungsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit der EU müssten oberste Priorität haben, heißt es in dem Positionspapier.

Nun verbieten die europäischen Verträge zwar direkte Rüstungsausgaben aus dem EU-Budget. Allerdings lässt sich das umgehen, und die Bundesregierung setzt sich mithin für eine „Schließung von Fähigkeitslücken“ mit EU-Geld ein. Im Fokus stehen dabei Anreize für eine kollektive Entwicklung, Produktion und Beschaffung „sicherheitsrelevanter Güter“; auch dürften Technologien, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können, länger von zivilen EU-Programmen ausgeschlossen werden. Der MFR müsse zudem Investitionen in militärische Mobilitätskorridore sowie in „die Resilienz gegenüber hybriden Bedrohungen und Angriffen auf kritische Infrastruktur“ ermöglichen.

Eine radikale Reform, wie sie die EU-Kommission in Planspielen bereits erdacht hat, dürfte allerdings auch mit Berlin nicht zu machen sein. So heißt es in dem Schreiben, die EU-Agrarpolitik müsse ein „eigenständiger Politikbereich“ bleiben. Ähnlich sieht es bei den Kohäsionsmitteln aus. Die sollen nach Ansicht der Bundesregierung ebenso bestehen bleiben, sprich: nicht gekürzt werden. Allerdings unterstützt die Berliner Koalition das Bestreben, die Verteilung künftig stärker an Reformbemühungen und den Erhalt rechtsstaatlicher Strukturen zu knüpfen – und zeigt sich offen für neue Eigenmittel, wobei die Mitgliedstaaten darüber bereits seit Jahren ergebnislos verhandeln.