Vor mehr als fünf Jahren hat das Bundesverfassungsgericht das bis dahin geltende Verbot der geschäftsmäßigen Suizidhilfe gekippt. Doch eine Neuregelung der ethisch heiklen Frage der Sterbehilfe lässt weiter auf sich warten.

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Nach mehreren gescheiterten Anläufen soll es in dieser Legislaturperiode nun etwas werden mit der gesetzlichen Neuregelung der Suizidassistenz, angestoßen aus der Mitte des Parlaments. Das sagte der stellvertretende gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Matthias Mieves, dem Tagesspiegel.

Das Ziel einer Gruppe mehrerer Abgeordneter aus unterschiedlichen Fraktionen, der auch er angehöre, sei es, auf Grundlage der bislang drei miteinander konkurrierenden Gesetzentwürfe aus der vergangenen Legislaturperiode nur noch einen gemeinsamen Gesetzentwurf zu entwickeln, so Mieves. Und nur dieser eine Entwurf solle dann möglichst „zügig“ auch im Bundestag zur Abstimmung gestellt werden.

Dies könne die Chancen erhöhen, die nötige Mehrheit für eine Neuregelung nunmehr endlich zusammenzubekommen, sagte Mieves. „Wir sind uns darüber einig, dass die Notwendigkeit besteht, mit Blick auf die Suizidassistenz Rechtssicherheit zu schaffen“, erläuterte er.

Der Handlungsdruck ist unverändert groß.

Lukas Benner (Bündnis 90/Die Grünen)

2020 hatte das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass es ein Grundrecht auf ein selbstbestimmtes Sterben gibt. Seitdem hat der Gesetzgeber keine gesetzliche Regelung geschaffen. Eine Verpflichtung hierzu besteht freilich nicht; es gibt auch Politiker, die eine gesetzliche Regulierung für unnötig halten. In der Vergangenheit waren verschiedene, miteinander konkurrierende fraktionsübergreifende Gesetzentwürfe an jeweils fehlenden Mehrheiten gescheitert.

Die Gruppe, deren Vertreterinnen und Vertreter nach Informationen des Tagesspiegels aus allen bislang miteinander konkurrierenden Gruppen stammen, darunter auch der SPD-Abgeordnete Lars Castellucci und der Grünen-Politiker Armin Grau, habe sich bereits zweimal getroffen, so Mieves. Die inhaltliche Arbeit stehe aber erst am Anfang.

Strittig zwischen den bisherigen Gruppen war bislang vor allem, ob die gesetzliche Neuregelung im Strafgesetzbuch verankert werden solle, ob und welche Beratungspflichten und etwaige Wartezeiten es geben solle und welche Rolle Ärzte bei der Suizidassistenz einnehmen sollten. Zu diesen Punkten muss nun ein Kompromiss gefunden werden, soll es am Ende tatsächlich auf einen gemeinsamen Gesetzentwurf hinauslaufen. Es gebe „keine harte Deadline“ für die inhaltlichen Beratungen, sagte Mieves, aber man sei sich darüber einig, dass dies zeitnah passieren solle.

Großer Handlungsdruck

Auch der Grünen-Abgeordnete Lukas Benner sagte dem Tagesspiegel, er sei „zuversichtlich, dass wir in dieser Legislatur zu einer mehrheitsfähigen Regelung kommen“. Benner gehört der neuen Gruppe als einzig verbliebener Abgeordneter an, der federführend bei dem liberal gehaltenen, sogenannten „Helling-Plahr/Künast-Antrag“ in der letzten Legislatur gearbeitet hatte. „Der Handlungsdruck ist unverändert groß“, erklärte er. „Wir brauchen eine klare und ausgewogene Rechtsgrundlage, die die individuelle Selbstbestimmung und den Schutz des Lebens gleichermaßen umfasst.“

Lesermeinungen zum Artikel

„Ich möchte mein Lebensende frei von jeder Bevormundung beenden können, ohne Reisen auf mich zu nehmen oder ohne ärztliche Assistenz. Es ist eine Frage der Menschenwürde. Jeder, der das für sich nicht will, soll es bleiben lassen, er muss es ja nicht tun.“ Diskutieren Sie über folgenden Link mit Maryse

Die Grünen-Gesundheitspolitikerin Kirsten Kappert-Gonther gehört ebenfalls zur Gruppe. Sie hatte in der vergangenen Legislatur unter anderem zusammen mit Lars Castellucci (SPD) und dem CSU-Abgeordneten Stephan Pilsinger für einen sehr restriktiven fraktionsübergreifenden Entwurf geworben, der die sogenannte geschäftsmäßige Suizidassistenz im Strafrecht verbieten und nur unter strengen Bedingungen Ausnahmen ermöglichen wollte.

Sie sagte dem Tagesspiegel: „Wir wollen die Regulierung des assistierten Suizids wieder in Angriff nehmen, denn sie ist ein wichtiger Baustein der Suizidprävention.“ Es gehe darum, die „Selbstbestimmung suizidaler Menschen zu wahren“ und ein Schutzkonzept zu implementieren, das der missbräuchlichen Durchführung des assistierten Suizids vorbeuge. Auch deswegen gehöre sie der jetzt neu formierten Gruppe an.

Verankerung im Strafrecht unwahrscheinlich

Dass diese sich auf eine im Strafgesetzbuch verankerte Regelung wird einigen können, gilt nach der Entscheidung der Karlsruher Richter aber als unwahrscheinlich. Eine erneute Verankerung im Strafrecht hielten Juristen während einer Expertenanhörung im Bundestag Ende 2022 für einen gesetzgeberischen Fehler.

Krankenhäuser sind überhaupt nicht auf den assistierten Suizid vorbereitet.

Ute Lewitzka, Psychiaterin an der Universität Frankfurt

Die Hilfe bei der Ausübung eines Freiheitsrechts sei „kein im Regelfall strafwürdiges Unrecht“, argumentierte der Strafrechtsprofessor Helmut Frister von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf damals in seiner Stellungnahme: „Wenn die Menschen sogar ein verfassungsrechtlich gewährleistetes Recht haben, selbst über die Beendigung des Lebens zu entscheiden, erscheint es nicht sachgerecht, eine bei der Ausübung dieses Rechts geleistete Hilfe grundsätzlich mit Strafe zu bedrohen“, erklärte er. Inzwischen ist Frister Vorsitzender des Deutschen Ethikrats.

Noch deutlicher wurde in der Expertenanhörung im November 2022 der Münchner Strafrechtsexperte Christoph Knauer: Pläne, die Suizidhilfe wieder unter Strafe zu stellen, bezeichnete er in seiner Stellungnahme als nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Er halte es überdies für unzulässig, die „eigenen ethischen Auffassungen anderen aufzwingen“ zu wollen.

Unterdessen äußerte sich vergangene Woche in Berlin die Psychiaterin Ute Lewitzka von der Universität Frankfurt, Inhaberin einer Professur für Suizidologie und Suizidprävention, mit Blick auf die Suizidassistenz kritisch. Diese werde „total romantisiert“, beklagte sie bei einer Veranstaltung zur Gendermedizin.

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Krankenhäuser etwa seien „überhaupt nicht auf den assistierten Suizid vorbereitet“, monierte sie. Zwar sei sie „nicht grundsätzlich gegen die Suizidassistenz“, vertrete aber die Ansicht, „dass im ersten Schritt die Prävention gestärkt und Regularien einführen werden müssten, die den assistierten Suizid genau begleiten und überwachen“. Sie sehe, „dass der Staat sich hier aus der Verantwortung nimmt, dafür zu sorgen, dass Menschen in Würde alt werden und gut sterben können“.