Eine weitere Aufweichung der Entwaldungs-Verordnung bedroht die Glaubwürdigkeit der EU beim Schutz der biologischen Vielfalt und des Klimas. Statt die Standards abzusenken, sollte es Hilfen bei der Umsetzung geben.

ein Gastbeitrag von
Jean Carlo Rodríguez de Francisco

„Harmonie mit der Natur und nachhaltige Entwicklung“ war in diesem Jahr das Motto beim Internationalen Tag der biologischen Vielfalt am 22. Mai. Dahinter verbirgt sich der Aufruf, Fortschritt mit dem Schutz der Ökosysteme in Einklang zu bringen.

Doch nur wenige Tage später gelangte die Europäische Union an einen beunruhigenden Wendepunkt: Wichtige Mitgliedsstaaten und die zuständigen Akteur:innen innerhalb der EU drängen darauf, die Entwaldungsverordnung EUDR aufzuweichen. Das gefährdet sowohl die Umwelt als auch die Glaubwürdigkeit der EU.

 

Die 2023 verabschiedete Entwaldungsverordnung verfolgt das Ziel, nur noch „entwaldungsfreie“ Produkte auf dem EU-Markt zuzulassen. Dabei geht es vor allem um wichtige Rohstoffe wie Kakao, Palmöl, Soja und Rindfleisch, deren Produktion häufig zum Verlust von Waldflächen führt.

Unternehmen, die diese Produkte auf den EU-Markt bringen, müssen im Rahmen der Verordnung nachweisen, dass ihre Waren nicht von entwaldeten Flächen stammen und auch nicht zur Waldschädigung beitragen. Dazu muss eine Sorgfaltserklärung vorgelegt werden, die sich auf Nachweise wie Geolokalisierungs- und Lieferkettendaten stützt und die Einhaltung der Vorschriften belegt.

Marktbeteiligte und Handelsunternehmen haften dafür, dass die Produkte die EUDR-Anforderungen erfüllen. Bei Verstößen drohen ihnen hohe Strafen, darunter Geldbußen und Verkaufsverbote. Für die Durchsetzung der Verordnung – etwa durch Kontrollen, Audits und Untersuchungen – sind die Behörden in den EU-Mitgliedsstaaten zuständig. Sie sind auch befugt, Sanktionen zu verhängen, nicht konforme Waren zu beschlagnahmen sowie den Marktzugang zu untersagen.

Weitere Abschwächung der Regeln zugunsten der Abholzungs-Industrie

Die Entwaldungsverordnung verknüpft somit Umweltschutz mit rechtlicher Haftung – mit dem Ziel einer nachhaltigen Landnutzung und des Schutzes biologischer Vielfalt. Trotz ihrer Bedeutung stößt die Verordnung auf Widerstand in der EU.

Nur eine Woche, nachdem sie eine rechtzeitige Umsetzung der EUDR zugesichert hatte, schlug die Europäische Kommission im vergangenen Oktober eine Verschiebung um zwölf Monate vor. Das Europäische Parlament und die Mitgliedsstaaten stimmten dem Vorschlag zu. Große und mittlere Unternehmen müssen die Verordnung nun bis Ende 2025 umsetzen, Klein- und Kleinstunternehmen bis Mitte 2026. 

Bild: Barbara Frommann/​IDOS

Jean Carlo Rodríguez

Jean Carlo Rodríguez de Francisco ist Sozial- und Umwelt­wissen­schaftler am German Institute of Develop­ment and Sustain­ability (IDOS) in Bonn. Er studierte Ökonomie in Kolumbien und Umwelt­wissen­schaften in den Nieder­landen. Seine Forschung verbindet politische Ökologie und Umwelt­gerechtig­keit mit Bio­diversität, Wasser­ressourcen und Klima­wandel. Er untersucht politische Gestaltung und deren Einfluss auf indigene Völker und lokale Gemein­schaften in Latein­amerika und weltweit.

Im Mai dieses Jahres forderten elf Mitgliedsstaaten – Bulgarien, Finnland, Italien, Kroatien, Lettland, Luxemburg, Österreich, Portugal, Rumänien, Slowenien und Tschechien – weitreichende Änderungen an der Entwaldungsverordnung, darunter die Einführung einer neuen Länderkategorie für Staaten mit „sehr geringem Risiko“ oder „Nullrisiko“.

Diese Kategorie sähe deutlich schwächere Verpflichtungen zur Einhaltung der Vorschriften für Importe vor. Marktbeteiligte, die aus Ländern mit „sehr geringem Risiko“ importieren, wären dann von bestimmten Sorgfaltspflichten befreit, wie der Erhebung detaillierter Geodaten oder vollständigen Risikobewertungen der Lieferkette.

Kritiker:innen warnen, dass die Einführung der neuen Kategorie Schlupflöcher schafft und die Wirksamkeit der Regulierung untergraben könnte. Wenn Staaten voreilig oder aus politischen Gründen als Länder mit „sehr geringem Risiko“ eingestuft werden, könnten Waren, die mit Abholzung in Verbindung stehen, nahezu ungeprüft auf den EU-Markt gelangen.

Ohnehin erscheint die Risikoklassifizierung der Verordnung bedenklich, denn trotz anhaltender Abholzung wichtige sind Exporteure wie Brasilien, Malaysia und Indonesien nur als Länder mit „Standardrisiko“ eingestuft. Eine aufgeweichte Sorgfaltspflicht könnte das zentrale Ziel der Verordnung gefährden, Produkte vom EU-Markt zu verbannen, die die weltweite Entwaldung vorantreiben.

Standards abzusenken ist keine Lösung 

Das Lavieren in der EU sendet eine widersprüchliche Botschaft. Mit der Umsetzung der Entwaldungsverordnung könnte Europa einerseits zeigen, dass es bereit ist, seiner grünen Rhetorik entschlossene Taten folgen zu lassen.

Eine weitere Aufweichung der Verordnung würde andererseits weltweite Fortschritte in Richtung entwaldungsfreier Lieferketten untergraben und denen in die Hände spielen, die sich wenig um Umweltschutz scheren.

Sicher: Die Umsetzung wird nicht einfach, gerade für Kleinlandwirt:innen. Die Lösung kann aber nicht sein, die Messlatte niedriger zu legen. Nötig ist stattdessen, eine gerechte und wirksame Durchsetzung zu unterstützen: durch technische Hilfe, faire Fristen sowie eine solide Rückverfolgung.

So könnte die EU zeigen, dass sie es mit ihrem viel beschworenen Einsatz für die biologische Vielfalt wirklich ernst meint.

 

In einer Zeit des rasant voranschreitenden Klimawandels und Artenschwunds – nicht zuletzt durch Entwaldung – darf die Welt nicht länger zuschauen. Alle Länder müssen ihre Umweltverpflichtungen einhalten, und die EU darf jetzt nicht lockerlassen.

Die Entwaldungsverordnung ist mehr als ein regulatorischer Meilenstein. Sie ist ein zentrales Versprechen zum Schutz der Wälder, zur Wahrung der Rechte indigener Völker, lokaler Gemeinschaften und von Waldschützer:innen, letztlich zum Schutz unseres Planeten. Es gilt, sie vollständig umzusetzen – und nicht zu verwässern, nur weil es gerade einfacher erscheint.