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Seit Jahresbeginn steigert die Ukraine die Zahl ihrer Angriffe auf russische Energieanlagen. Vollführt Kiew einen Strategiewechsel, um Russland unter Druck zu setzen?

Seit Ende März sollte sich im Ukrainekrieg eigentlich einiges verändern. Bei den Verhandlungen im saudischen Riad hatten sich die USA und Russland auf eine 30-tägige Teilwaffenruhe auf Angriffe im Schwarzen Meer sowie auf Attacken auf die Energieinfrastruktur geeinigt. Auch die Ukraine stimmte dem Deal zu. Doch die Waffen schweigen noch immer nicht.

Video | Ukrainische Drohnen zerstören russischen Panzer

Quelle: t-online

Immer wieder bezichtigen sich Russland und die Ukraine gegenseitiger Angriffe auf Energieanlagen. Moskau stellte unterdessen sogar neue Forderungen auf, damit der Waffenstillstand in Kraft tritt: Die staatliche Landwirtschaftsbank soll wieder ans internationale Swift-Bankensystem angeschlossen werden. Besonders Europa sträubt sich jedoch dagegen. So gehen die Angriffe weiter.

Auch für die Ukraine kommt ein solcher Waffenstillstand womöglich aktuell zur Unzeit. Ziel der ukrainischen Luftangriffe ist es, den Druck auf Russland aufrechtzuerhalten. Denn mangels Personal an der Front kann sie den auf ukrainischem Boden derzeit nicht aufrechterhalten. Anders als Russland attackiert die Ukraine jedoch keine Heizkraftwerke oder Stromanlagen, die Grundbedürfnisse der Zivilbevölkerung bedienen, sondern industrielle Anlagen wie Ölraffinerien, die das Rückgrat der russischen Wirtschaft bilden.

Mehrfach gelangen in den vergangenen Monaten aufsehenerregende Schläge gegen Ziele in Russland. Doch will die Ukraine den Kreml ernsthaft unter Druck setzen, braucht es mehr als das. In Kiew kommt es daher offenbar zu einem Umdenken.

Die ukrainische Analystengruppe Frontelligence Insight hat gemeinsam mit dem Medium Radio Free Europe/Radio Liberty die Wirkung ukrainischer Luftangriffe auf Russland und von Russland besetzten Gebieten in der Ukraine von September 2024 bis Mitte Februar 2025 ausgewertet. Insgesamt zählten die Experten 100 ukrainische Angriffe, von denen mindestens 67 erfolgreich waren. Im Falle der restlichen 33 Attacken ist der Ausgang nicht bekannt, also nicht durch Fotos oder Videos dokumentiert.

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Dabei stellten die Analysten einen graduellen Wandel in der Auswahl der Ziele fest: Schläge gegen militärische Ziele in Russland gingen von September an schrittweise zurück, während Angriffe auf russische Öl- und Gasanlagen im Verhältnis zunahmen. Seit Jahresbeginn überwiegen die Attacken auf die Energieinfrastruktur. In der ersten Februarhälfte wurde sogar kein einziger Schlag gegen Militärdepots gezählt.

Der Militärexperte Gustav Gressel hat eine scheinbar simple Erklärung für diesen Effekt: „Die Luftangriffe auf Energieanlagen in Russland sind derzeit das wirkungsvollste Mittel der Ukrainer“, sagt er t-online. Einen grundsätzlichen Wechsel der Strategie sehe er darin jedoch nicht.

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Die Gründe, warum die Ukraine in Russland vor allem Energieinfrastruktur angreift

Denn viel von diesem scheinbaren Strategiewechsel hat mit den westlichen Verbündeten zu tun. Lange diskutierten die Unterstützer die Erlaubnis für die Ukraine, mit ihren weitreichenden Waffen Ziele in Russland angreifen zu dürfen. Russland hatte so monatelang Zeit, militärische Hochwertziele wie strategische Bomber außerhalb der Reichweite westlicher Waffen zu bringen.

Gleichzeitig lieferten die USA, Großbritannien und Frankreich nur begrenzte Stückzahlen ihrer schlagkräftigen Waffensysteme wie der ATACMS-Raketen oder Storm Shadow/Scalp-Marschflugkörper. „Hätte die Ukraine ausreichend Munition, würde sie weiterhin vor allem militärische Ziele in Russland angreifen“, erklärt Gressel. „Doch es fehlt vor allem an westlichen Marschflugkörpern und ballistischen Raketen.“

Mit diesen könnte die Ukraine in einem Radius von rund 300 Kilometern noch immer militärische Hochwertziele wie Flugplätze oder Kommandoposten angreifen, so Gressel. „Doch dafür braucht es deutlich größere Mengen an Munition.“