Bücher des Monats
Warum diese Bücher auf jede Sommer-Leseliste gehören
© Mariia Korneeva / Adobe Stock
Jeden Monat kürt die BRIGITTE-Redaktion aus aktuellen Neuerscheinungen auf dem deutschen Markt ihre Lieblingsbücher. Diesmal haben uns „Windflüchterin“ von Thesche Wulff, „Die Akte Schneeweiß“ von Felicitas Fuchs und „Schwindende Welt“ von Sayaka Murata überzeugt.
1. „Windflüchterin“ von Thesche Wulff
„Beruhte all das etwa im Grunde auf Elsies Erlebnissen? Auf ihrem Kindheitsgefühl, allein gelassen zu sein mit ihrem Schmerz? (…) Konnte es tatsächlich sein, dass ihr Schweigen darüber und ihre Unfähigkeit, sich damit zu beschäftigen, so etwas bei ihrer Tochter und bei ihrer Enkelin ausgelöst hatte? Niemals hätte sie sich das vorstellen können. Bis jetzt, bis sie wieder einen Fuß auf den roten Felsen gesetzt hatte.“
Doro ist bei ihrer Großmutter Elsie aufgewachsen, weil ihre Mutter Sandra als Sozialarbeiterin weltweit unterwegs und damit überfordert war, sich gleichzeitig um ihre Tochter zu kümmern. Heute, mit 38, wartet Doro beruflich Windräder in Offshore-Windparks. Bei einem Einsatz auf Helgoland bekommt sie plötzlich aus dem Nichts eine Panikattacke, und als sie auf die Fähre in Richtung Festland steigen möchte, direkt die nächste.
Doro kann sich nicht erklären, woher diese Gefühle kommen, aber als ihre Großmutter und ihre Mutter – die sie seit 25 Jahren nicht gesehen hat – plötzlich auf Helgoland auftauchen, kommt langsam Licht ins Dunkel.
In „Windflüchterin“ beschreibt Thesche Wulff eindrücklich, wie Trauma vererbt werden kann und wie noch Generationen später Gefühle auftauchen können, die scheinbar aus dem Nichts kommen. Es geht aber auch um Mutter-Tochter-Beziehungen, darum, was eine Mutter muss, was sie darf – und wie ihre Entscheidungen sich auf ihre Tochter auswirken können.
2. „Die Akte Schneeweiß“ von Felicitas Fuchs
Katja wächst 1963 in Bielefeld in einfachen Verhältnissen auf. Sie hat große Träume. Statt zu heiraten und Hausfrau zu werden, will sie Ärztin werden. Unterstützung bekommt sie von ihrer Familie allerdings keine. Der einzige, der immer an sie geglaubt hat, war ihr Großvater Dom – doch der ist eines Tages spurlos verschwunden. Über das warum und wieso wird nicht gesprochen. Katjas Fragen bleiben unbeantwortet. Jahre später stößt sie auf eine Wahrheit, die alles, was sie über ihre Familie zu wissen glaubte, verändert.

BRIGITTE-Dossier „Raus aus dem Stress“
Du suchst nach Routinen, die dich beim Abschalten unterstützen? Du möchtest endlich mal wieder gut schlafen? Erfahre, wie du Stressphasen gelassen meisterst.
Mathilde Schneeweiß fängt in den 30er Jahren als Sprechstundenhilfe bei Dr. Bönisch an. Sie verliebt sich in den engagierten Arzt und wird in ein gefährliches Unterfangen hineingezogen: Gemeinsam helfen sie heimlich Frauen in Not. Bis sie ins Visier der Gestapo geraten.
Auf zwei Zeitebenen erzählt der Roman von Felicitas Fuchs von zwei Frauen, die für sich für ihre Überzeugungen stark machen. Mathilde riskiert in den 1930er-Jahren ihr Leben, um Frauen in Not zu helfen. Jahrzehnte später, in den 1970ern, engagiert sich Katja für die Legalisierung von Abtreibungen.
Ein gut recherchierter Roman, der vor allem deshalb so spannend ist, weil es uns in andere Zeiten entführt.
3. „Schwindende Welt“ von Sayaka Murata
Als ihre Mutter ihr eröffnet, dass sie durch „Kopulation“ gezeugt wurde und nicht wie alle ihre Freund:innen durch künstliche Befruchtung, ist Amane entsetzt. Obwohl ihre Mutter von Kindesbeinen an predigt, dass Liebe und Intimität etwas sehr Wertvolles sind und sie als Konzepte der „alten Welt“ verteidigt, möchte Amane einfach nur dazugehören – und in der heutigen Gesellschaft spielen Sex und Romantik keine Rolle mehr.
Amane wehrt sich zwar gegen die Weltanschauung ihrer Mutter und erklärt diese immer wieder für verrückt, sie muss jedoch zunehmend feststellen, dass ein Teil von ihr, ihrer Mutter ähnlicher ist als sie es gern hätte. In der Hoffnung auf ein glückliches Leben zieht Amane mit ihrem Ehemann Saku nach „Experiment City“ in Chiba. Dort werden die Einwohner:innen nach Losverfahren für die künstliche Befruchtung ausgewählt und auch Männer können mit Hilfe einer Gebärmutter-OP Kinder austragen. Das Konzept der Kleinfamilie gibt es in „Experiment City“ nicht mehr, alle sind „Mütter“ und kümmern sich gleichermaßen um die Kinder. Werden Amane und Saku hier glücklich?
Sayaka Murata beweist ihre Fähigkeit, gesellschaftliche Konventionen mit viel Gespür und Konsequenz zu hinterfragen. „Schwindende Welt“ ist eine teils beklemmende, gleichzeitig faszinierende Auseinandersetzung mit dem, was wir als „normal“ empfinden – und wie fragil diese Konstrukte sein können.
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