Herr Völker, die TU Berlin steht seit Jahrzehnten als große Technische Universität auch für den Technologietransfer in die Wirtschaft. Wie funktioniert er?
Der Technologietransfer geschieht bei uns auf vier Ebenen. Einmal über Köpfe, also unsere Absolventinnen und Absolventen. Dann über neue Technologien, die bei uns entweder in Zusammenarbeit mit Industrieunternehmen entwickelt oder über Patente Lizenznehmern zur Verfügung gestellt werden. So hatten wir in den letzten zehn Jahren für die Patentverwertung rund 100 Verträge laufen und konnten mehr als drei Millionen Euro einnehmen.

Drittens produzieren wir natürlich auch selbst neue Wirtschaftsunternehmen über unsere Ausgründungen. Und viertens findet Technologietransfer auch im Austausch mit der Gesellschaft statt. Diese sogenannte Transdisziplinarität ist nämlich nicht nur eine neue Methode zu forschen, etwa mit Bürgerwissenschaftlern. Sie ist auch immens wichtig bei der Entwicklung von Produkten.

Hinweis

Für den Inhalt dieses Beitrags ist die Technische Universität Berlin verantwortlich.

Was nützt eine neue Technologie, wenn sie keiner kauft?
Genau. Das habe ich schon als junger Mitarbeiter beim Lichttechnik-Hersteller Hella gelernt: „Sie können die tollsten, wissenschaftlich gut fundierten Ideen haben – wenn diese vom Kunden nicht gekauft werden, sind sie für uns wertlos.“

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An der TU Berlin kooperiert zum Beispiel die Lebensmitteltechnik, die zu kultiviertem Fleisch forscht, mit der Innovationsforschung der FU Berlin. Dabei geht es um die Frage, welche Auswirkungen kultiviertes Fleisch nicht vom Tier, sondern aus der Fabrik, auf die Gesellschaft haben könnte.

Aber es funktioniert auch anders herum. In dem Projekt „Pure Mobility“ der TU Berlin, das im Rahmen der dritten Next Grand Challenge der Berlin University Alliance gefördert wird, entwickeln wir mit gesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren Zukunftsvisionen für eine gerechte Mobilität. Die sollen dann bei uns Ideen für technische Innovationen anstoßen. Auch das gehört für mich zum Technologietransfer.

Kommen wir noch einmal zur ersten Ebene, dem Technologietransfer über die Absolventen. Damit meinen Sie ja sicher hochspezialisierte Postdocs, die dann in die Industrie wechseln.
Die natürlich auch, aber nicht nur. Die TU Berlin bildet jährlich etwa 4.200 Ingenieurinnen und Ingenieure aus. Wir sind bekannt dafür, dass Studierende bei uns bereits in den ersten Semestern Einblicke in konkrete Forschungsvorhaben bekommen können. Dies gilt natürlich erst recht für ihre Bachelor- oder Masterarbeiten.

Alle, die einen Ingenieur oder eine Ingenieurin von der TU Berlin einstellen, bekommen einen Kopf mit aktuellen Ideen und Entwicklungen aus der Wissenschaft.

Stephan Völker, Vizepräsident der TU Berlin

Alle, die einen Ingenieur oder eine Ingenieurin von der TU Berlin einstellen, bekommen also einen Kopf mit aktuellen Ideen und Entwicklungen aus der Wissenschaft. Zudem gehört die TU Berlin gemäß dem renommierten GEURS-Ranking zu den vier besten deutschen Universitäten, wenn es darum geht, ihre Absolventinnen und Absolventen optimal für zukünftige Jobpositionen vorzubereiten. International liegen wir auf Rang 63 von mehr als 1000 Unis.

Nutzt diese Quelle von klugen Köpfen auch Berlin und der Region, oder wandern die alle nach Stuttgart und München ab?
Tatsächlich verbleiben viele der Absolventinnen und Absolventen in Berlin und kommen damit direkt der Region zugute. So sind etwa 80 Prozent der Informatiker und Maschinenbauer Berlin treu, und immerhin noch gut 70 Prozent derjenigen, die Wirtschaftsingenieurwesen studiert haben. Berlin hat eben eine große Zahl kleiner und mittlerer Unternehmen, davon viele Start-ups, bei denen die Leute unterkommen. Und, nicht zu vergessen, wir haben ja auch Siemens, Mercedes-Benz, Bayer, Volkswagen und BMW in Berlin.

Viele der hiesigen Start-ups entstammen ja vermutlich der TU Berlin. Wie sieht da Ihre Bilanz aus?
Insgesamt wurden von ehemaligen Studierenden oder Forschenden an der TU Berlin bis heute rund 720 Start-ups gegründet, so unser Kenntnisstand, der nicht vollständig ist. Davon sind neun sogenannte Einhörner mit einem Unternehmenswert von mindestens einer Milliarde Euro.

Aus der jüngeren Vergangenheit sind wir besonders stolz zum Beispiel auf die Firma Sicoya, ein Hersteller von lichtbasierten Chips, auf Cellbricks, ein Unternehmen für implantierbare Zelltherapien, oder auf FDX Fluid Dynamix, die Düsen mit einem beweglichen Strahl ohne bewegliche Bauteile herstellen. Alle sind sehr gut im Markt etabliert und haben ihren Sitz in Berlin. In diesem Zusammenhang gibt es übrigens noch eine sehr interessante Zahl: 48.500 Jobs wurden durch unsere Start-ups geschaffen, pro Mitarbeitendem an der TU Berlin sind das 6,7 neue Arbeitsplätze. Eindrücklicher kann man den wirtschaftlichen Mehrwert unserer Universität nicht darstellen.

Mir ist wichtig, dass die jungen Menschen früh die Fallstricke, aber auch die Euphorie kennenlernen, wenn man eigene Ideen verwirklicht.

Stephan Völker, Vizepräsident der TU Berlin

Wie fördert die TU Berlin die Ausgründung von Unternehmen?
Wir haben natürlich unser Centre for Entrepreneurship, das jetzt im Rahmen der Berlin University Alliance mit den Gründungszentren von FU Berlin und HU Berlin im Verbund „Science & Startups“ organisiert ist.

Mit der „StarTUp School“ haben wir zudem ein exzellentes Qualifizierungsprogramm für Gründer. Mein Anliegen ist es, über das Ausgründen auch schon im Studium zu informieren. Dazu habe ich an meinem Fachgebiet Lichttechnik bereits eine Pilotveranstaltung organisiert.

Um Kompetenzen beim transdisziplinären Technologietransfer aufzubauen, können Studierende seit zwei Jahren auch ein Transferzertifikat an der TU Berlin erwerben.

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Mir ist wichtig, dass die jungen Menschen früh die Fallstricke, aber auch die Euphorie kennenlernen, wenn man eigene Ideen verwirklicht. Mein Sohn hat ein Start-up gegründet, ich habe da alle Höhen und Tiefen hautnah miterlebt.