Der Ölpreis steigt – zumindest das ist aus Sicht von Wladimir Putin eine erfreuliche Nachricht. Schließlich finanziert Russlands Präsident seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine seit Jahren maßgeblich durch die Einnahmen aus Rohstoffverkäufen.
Ansonsten aber blickt man in Moskau alles andere als angetan auf den neuen Krieg im Nahen Osten, der mit Israels Großangriff auf den Iran am vergangenen Freitag begonnen hat.
Nur einige Stunden nachdem erste israelische Raketen in iranische Machtzentralen und Atomanlagen eingeschlagen waren, griff Putin zum Telefonhörer und rief sowohl in Tel Aviv als auch in Teheran an. Dmitri Medwedew, Ex-Präsident und heutiger Vize-Chef des nationalen russischen Sicherheitsrats, deutete derweil nervös an, dass nun ein Dritter Weltkrieg drohe.
Putins Nahost-Verbündete schwächeln
Moskau unterhält zu beiden Ländern besondere Verbindungen. In Israel lebt eine große Zahl Exilrussen, außerdem hielt sich der jüdische Staat bislang weitgehend aus dem Ukraine-Krieg zurück.
Die Beziehungen zum Iran sind gleichwohl tiefer. Das autoritäre Mullah-Regime unterhält eine Militärkooperation mit Russland und beliefert den osteuropäischen Partner seit 2022 unter anderem mit Kampfdrohnen, die seitdem fast täglich auf ukrainische Städte niedergehen.
Kreml fürchtet Flächenbrand
Nun aber ist Teheran durch die israelischen Attacken geschwächt. Nach dem Sturz des syrischen Assad-Regimes im vergangenen Dezember ist damit ein weiterer Verbündeter Putins im Nahen Osten ins Straucheln geraten.
Grund zur Sorge hat Moskau angesichts dieser Entwicklung mehr als genug, analysiert die Nahost- und Russlandexpertin Hanna Notte. „Zuerst einmal ist der Iran enorm gedemütigt worden“, sagt sie dem Tagesspiegel. „Die Situation zeigt die klare militärische Überlegenheit Israels, eines amerikanischen Verbündeten. Das stört den Kreml natürlich.“
In Moskau befürchten einige, dass ein in die Ecke getriebener Iran zu drastischen Maßnahmen greifen und versuchen könnte, nun erst recht so schnell wie möglich die Schwelle zur Atommacht zu überschreiten, erklärt die Politologin, die unter anderem beim Center for Strategic and International Studies zu Sicherheits- und Abrüstungsthemen forscht.
Hanna Notte leitet das Eurasien-Programm des James Martin Center for Nonproliferation Studies. Sie ist außerdem Senior Associate am Center for Strategic and International Studies (CSIS).
„Es ist sehr fraglich, ob der Iran dazu überhaupt in der Lage wäre“, gibt Notte zwar zu bedenken. „Aber sollte es doch passieren, dann könnte es entweder zu einem militärischen Eingreifen der USA und dadurch zu einer weiteren Schwächung des Iran kommen. Oder dazu, dass Teheran tatsächlich am Ende mit Nuklearwaffen dasteht“, erklärt sie. „Beides sind extreme Szenarien, die der Kreml immer vermeiden wollte.“
Hinzu komme, dass der Nahost-Krieg – sollte er sich ausweiten – auch Auswirkungen auf das Kräfteverhältnis im Kaukasus haben könnte. In der konfliktreichen Region, die sich mehrere teils verfeindete Ex-Sowjetrepubliken teilen, sind neben Russland auch der Iran sowie die Türkei zentrale Akteure.
„Doch der Kreml hat für diese Region angesichts seines Kriegs gegen die Ukraine derzeit nur geringe Kapazitäten“, sagt Notte. Ein durch die Nahost-Krise ausgelöster Flächenbrand ist deshalb das Letzte, was Putin gerade gebrauchen kann.
Das Worst-Case-Szenario aus Kremlsicht wäre der Wissenschaftlerin zufolge aber folgendes: „Große Sorge bereitet Moskau vor allem ein möglicher Sturz des iranischen Regimes, auch wenn das zum jetzigen Zeitpunkt noch rein spekulativ ist.“
Steigt Moskau militärisch ein?
Damit das Risiko gar nicht erst zu groß wird, hat Putin sich kurzerhand als Vermittler zwischen Tel Aviv und Teheran angeboten. US-Präsident Donald Trump zeigte sich angetan: „Ich wäre offen dafür“, sagte er dem Fernsehsender ABC am Wochenende.
Expertin Notte hält für möglich, dass es tatsächlich dazu kommt. Zum einen habe Russland schon in den vergangenen Jahren immer wieder eine aktive Rolle bei Verhandlungen über das iranische Atomprogramm gespielt, erinnert sie. „Vor allem aber haben die vergangenen Monate gezeigt, dass Russland sehr daran gelegen ist, gemeinsam mit den Amerikanern über Geopolitik zu verhandeln – und die Trump-Administration gleichzeitig beim Thema Ukraine hinzuhalten.“
Der Kreml hat nie die Waffen geliefert, die der Iran gebraucht hätte, um Israel abzuschrecken oder sich effektiver zu verteidigen.
Hanna Notte, Sicherheitsexpertin
Doch was, wenn Vermittlungsbemühungen im Sande verlaufen? Ein ursprünglich für Sonntag geplantes Atomgespräch mit den USA hat der Iran angesichts der laufenden Kämpfe abgesagt. Würde Russland, falls seine Verbündeten in Teheran in allzu große Bedrängnis geraten, am Ende sogar selbst militärisch eingreifen?
Putin mit Irans oberstem Führer Ali Chamenei im Jahr 2022
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Notte glaubt das nicht. „Ein militärisches Eingreifen Russlands halte ich aktuell für höchst unwahrscheinlich.“
Die Entwicklungen der vergangenen Monate sprächen eine andere Sprache: „Russland hat seit dem 7. Oktober 2023 recht machtlos dabei zugesehen, wie sich die Konfrontation zwischen Israel und dem Iran ausgeweitet hat“, erklärt sie. „Der Kreml hat nie die Waffen geliefert, die der Iran gebraucht hätte, um Israel abzuschrecken oder sich effektiver zu verteidigen, zum Beispiel Kampfjets oder fähige Raketenabwehr. Entweder weil Putin es nicht konnte oder wollte – oder beides.“
Der Höhepunkt russischer Abhängigkeit russischer Abhängigkeit vom Iran ist vorbei.
Hanna Notte, Politologin
Moskau wisse sehr genau, dass eine aktive militärische Einmischung zugunsten Teherans eine rote Linie für Israel markiert hätte, meint Notte. „Und so weit ging die Liebe zum Iran dann eben offenbar doch nicht.“
Keine Drohne mehr aus Teheran
Bleibt noch Russlands Krieg gegen die Ukraine und die Frage: Könnte die Krise des nahöstlichen Militärpartners bald auch Putins Armee schwächen?
In ukrainischen Medien wurde teils bereits gejubelt – unter anderem darüber, dass mit Brigadegeneral Amir Ali Hadschisadeh ein iranischer Militär getötet wurde, der bislang die Lieferung von Shahed-Kampfdrohnen an den Kreml überwachte.
Immer wieder werden ukrainische Gebäude von russischen Drohnen iranischer Bauart getroffen. Hier eine Schule in der Region Slowjansk.
© IMAGO/Anadolu Agency/IMAGO/Jose Colon
Auch Sicherheitsexpertin Notte glaubt nicht, dass der Iran in absehbarer Zeit in der Lage sein dürfte, weiter Waffen nach Russland zu exportieren.
Eine allzu große Wirkung solle man sich davon jedoch nicht erhoffen: „Die Auswirkungen auf den Ukraine-Krieg dürften überschaubar sein, weil Russland etwa die Kampfdrohnen vom Typ Shahed mittlerweile im eigenen Land produziert und auch die Bauteile anderweitig bezieht“, erklärt die Analystin. „Der Höhepunkt russischer Abhängigkeit vom Iran ist vorbei.“
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Die Krise in Nahost hat aus Kremlsicht außerdem nicht nur negative Folgen. Neben den gestiegenen Ölpreisen spielt es Putin auch in die Karten, wenn die internationale Aufmerksamkeit sich weg von der Ukraine hin zu einem neuen Kriegsschauplatz richtet.
Und: In Moskau spekuliert der ein oder andere Hardliner bereits darauf, dass westliche Luftabwehrsysteme – etwa vom Typ Patriot – künftig nach Israel geliefert werden statt nach Kiew. „Weitere nennenswerte Patriot-Lieferungen an die Ukraine werden immer illusorischer“, verkündete der kremltreue russische Militärblog „Dwa Majora“ am Sonntag schadenfroh.