«Jeder soll Teheran sofort verlassen»: Hochspannung im Nahen Osten – stehen die USA vor dem Kriegseintritt gegen Iran?
Donald Trumps vorzeitige Abreise vom G7-Gipfel in Kanada sorgt für wilde Spekulationen: Werden sich die USA jetzt am Krieg beteiligen? Oder kommt alles ganz anders? Eine Einordnung.
Trump fordert die Einwohner von Teheran auf – immerhin 13 Millionen Menschen – die Hauptstadt «sofort» zu verlassen.
Bild: IMAGO/Anadolu Agency
Wieder einmal ist es Donald Trump, der die Welt – und vor allem den Nahen Osten – in Atem hält. Nach seiner vorzeitigen Abreise vom G7-Gipfel in Kanada setzen sich die Analysten der grossen arabischen Fernsehsender Al Arabija (Saudi-Arabien) und Al Dschasira (Katar) mit zwei möglichen Szenarien auseinander:
Das erste, die Verkündung eines Waffenstillstandes oder zumindest Bemühungen um eine Feuerpause zwischen Israel und Iran – mit einer anschliessenden Wiederaufnahme der Atomverhandlungen zwischen Washington und Teheran – wurde vom US-Präsidenten allerdings wenig später dementiert. Es gehe nicht um Waffenruhen, textete er, sondern um «ein Ende» des Konflikts.
Um eine endgültige Lösung im Atomstreit mit Teheran zu erreichen und den Bau einer iranischen Atombombe ein für alle Mal zu verhindern, könnte er erneut seinen Sonderbotschafter Steve Witkoff nach Oman schicken, deutete Trump vor Reportern auf den Rückflug vom G7-Gipfel an.
Grossen Interpretationsspielraum gibt es auch für Berichte aus israelischen Quellen, nach denen das US-Militär kurz vor der Durchführung von Militärschlägen gegen Iran steht oder die Zusammenarbeit mit Israel ausweiten will. «Das ist falsch», stellte ein Pentagon-Sprecher in der Nacht zum Dienstag klar. Die US-Truppen im Nahen Osten bereiteten sich lediglich darauf vor, sich bei Bedarf zu verteidigen (…) und amerikanische Interessen zu schützen.
Das bedeutet aber keinesfalls, dass sich die USA nicht zu einem späteren, durchaus baldigen Zeitpunkt am Krieg gegen den Iran beteiligen. Die Verlegung von zwei zusätzlichen Flugzeugträgern und drei Zerstörern in die Mittelost-Region sprechen jedenfalls dafür.
Auch Trumps Aufforderung an die Einwohner von Teheran – immerhin 13 Millionen Menschen – die Hauptstadt «sofort» zu verlassen, spricht nicht gerade für friedliche Absichten. Doch für welche dann?
Eine Ausgabe des iranischen Magazins Tejarat Farda mit dem Titel «Der Nutzen des Friedens» zeigt kürzlich ein Bild des iranischen Präsidenten Masoud Pezeshkian und US-Präsident Donald Trump, die sich mit Boxhandschuhen umarmen. Trump allerdings schliesst es aus, dem Iran im Rahmen eines möglichen neuen Atomabkommens, die Urananreicherung zu gestatten.
Bild: Abedin Taherkenareh / EPA
Panik in der iranischen Hauptstadt
Auch Benjamin Netanyahu hatte am Montag zur «Evakuierung» von Teheran aufgerufen – und damit für unbeschreibliche Panik in der iranischen Hauptstadt gesorgt. «Werden die Israelis jetzt ihre Atombomben auf Teheran abwerfen», lautete eines von unzähligen Gerüchten. Zuvor hatte die iranische Staatspropaganda mit Zerstörung der Raffinerie von Haifa geprahlt.
Diese wurde nach Angaben des Betreibers tatsächlich von Iran in Brand geschossen und vorübergehend stillgelegt. Wie lange die grösste Raffinerie des Landes ausser Betrieb bleiben wird, wurde nicht gesagt.
Die fortgesetzten iranischen Lenkwaffenangriffe auf Israel, die auch am Dienstagmorgen fortgesetzt wurden, kommen für viele Militärexperten überraschend. Sie hatten «deutlich weniger Gegenwehr der Mullahs» erwartet. Dass sich das israelische Militär davon beeindrucken lässt, ist nicht zu erwarten.
Allerdings scheint auch die Schlagkraft der Israelis im Iran auf Grenzen zu stossen. Dies gilt vor allem für die iranische Uran-Anreicherungsanlage in Fordow bei Ghom, die so tief unter die Erde gebaut wurde, dass sie mit dem vorhandenen Bombenarsenal der israelischen Armee nicht zerstört werden kann.
Dafür brauchen wir die Hilfe der Amerikaner, haben israelische Militärsprecher in den letzten Tagen mehrfach angemahnt. Konkret heisst dies: Ohne amerikanische Hilfe, kann Netanjahu sein wohl wichtiges Kriegsziel, die vollständige Zerstörung der iranischen Nuklearanlagen, nicht erreichen.
Einem zweites Kriegsziel, nämlich den Zusammenbruch des Mullah-Regimes, könnte der israelische Premierminister auch ohne amerikanische Hilfe näherkommen. Ein Erfolg ist freilich auch dabei nicht garantiert. Sicher ist: Sollte es der israelischen Luftwaffe in den nächsten Tagen oder Wochen gelingen, den iranischen Revolutionsführer Ali Khamenei gezielt zu töten, würde sich die schwere Krise im Iran weiter verschärfen.
Trumps Veto
Die «gezielte Tötung» des mächtigsten Mannes im Iran hat Netanjahu ausdrücklich nicht ausgeschlossen. Trump, heisst es in Washington, habe aber «sein Veto» eingelegt, nachdem Netanjahu diesbezüglich angefragt habe.
Israel will den iranischen Revolutionsführer Ali Khamenei töten. Einer jedoch legt sein Veto ein: Donald Trump.
Mark Schiefelbein / AP
Sollte der israelische Regierungschef dennoch seine eigenen Wege gehen, was ja nicht das erste Mal gewesen wäre, könnte Khameinis Sohn Mojtaba seinen Vater beerben. In einem über WikiLeaks veröffentlichten britischen Memo an das US-Aussenministerium wird Mojtaba als «mächtige Persönlichkeit und fähiger Manager» beschrieben, «der dazu bestimmt ist, zumindest einen Teil der nationalen Führung zu übernehmen».
Es gibt allerdings noch eine Reihe von anderen Szenarien, die nicht nur im Iran gegenwärtig heiss diskutiert werden. Zur Stabilität in der Mittelost-Region, das ist sicher, werden sie nicht beitragen.