Wenn Jérôme Guedj im französischen Fernsehen auftritt, und das kommt oft vor, sind das in aller Regel sanfte, kluge Momente. Der sozialistische Abgeordnete, 53 Jahre alt, aus der Essonne im Süden von Paris, ist ein sensibler, empathischer Mann, differenziert in seiner Sicht auf die Welt. Am vergangenen Wochenende in Nancy, wo seine Partei, der Parti socialiste, seinen Kongress abhielt, brach etwas aus ihm heraus, was wohl lange in ihm gegärt hatte.

Der Kongress plätscherte dahin, der alte und gerade wiedergewählte Generalsekretär, Olivier Faure, wurde routinemäßig vereidigt, da stellte sich Guedj ans Rednerpult und sagte diesen langen, laut vorgetragenen Satz: „Es zerreißt mich, wenn ich vor diesem Kongress sagen muss, zum ersten Mal in meinem Leben, dass der Mann, den ich einst so tief geliebt habe, ein antisemitischer Schweinehund geworden ist.“ Ein salopard antisémite.

Gemeint war Jean-Luc Mélenchon, der Chef der radikal linken La France insoumise, sein früherer Mentor, der seit einer Weile mit seiner brachialen Art Frankreichs gesamte Linke beherrscht.

Schon nach dem Hamas-Überfall auf Israel 2023 kam es zum Bruch

Guedj, muss man dazu wissen, ist jüdischen Glaubens – und ein betont laizistischer Republikaner. Seine politische Karriere hatte er einst an der Seite von Mélenchon begonnen, als der noch Sozialist war und keine ambivalente Rede über Israel und die Juden im Mund führte. Sie entfremdeten sich schon vor einer Weile voneinander, Guedj gehört eher dem rechten Parteiflügel an. Ihre Fehde ist aber längst ein Spiegel des inneren Zerwürfnisses des ganzen linken Lagers, zwischen den gemäßigten Kräften und den Mélenchonisten.

Der endgültige Bruch, so dachte man, kam im Nachgang zum 7. Oktober 2023, als die France insoumise sich weigerte, den Überfall der Hamas auf Israel „terroristisch“ zu nennen. Eine Wegbegleiterin von Mélenchon beschrieb die Hamas als „Widerstandsbewegung“. Mélenchon selbst, der sich früher nie sonderlich mit dem Nahost-Konflikt beschäftigt hatte, politisierte den Krieg für seinen Nutzen, das warf man ihm zumindest vor: Er habe es auf die Wähler in den Banlieues abgesehen, wo seine Partei bereits stark sei.

Jean-Luc Mélenchon auf einer propalästinensischen Demonstration der radikalen Linken auf der Place de la République in Paris am 14. Juni.Jean-Luc Mélenchon auf einer propalästinensischen Demonstration der radikalen Linken auf der Place de la République in Paris am 14. Juni. (Foto: Sarah Meyssonnier/Reuters)

Als es dann im vergangenen Sommer überraschend vorgezogene Neuwahlen gab, schloss sich die zerrüttete Linke trotz allem zusammen und gründete den Nouveau Front Populaire. Ziel war es, einen Triumph der extremen Rechte von Marine Le Pen zu verhindern. Und das gelang, mit einer Brandmauer. Die vereinte Linke holte von allen Blöcken die meisten Sitze, blieb aber weit unter der nötigen Mehrheit, um das Land zu regieren. So brachen die alten Wunden schnell wieder auf. Die Sozialisten tragen die zentristische bis bürgerliche Regierung mittlerweile still mit.

Guedj kritisierte Mélenchon immer für seine Haltung, für dieses Spiel mit dem Feuer in einem Land, in dem eine große jüdische und eine große muslimische Gemeinde zusammenleben. Und Mélenchon nannte ihn einen „feigen Denunzianten“.

Eigentlich würden sich die Sozialisten im Notfall gern wieder mit der radikalen Linken verbünden

Von da an kam es vor, dass Guedj bei linken Veranstaltungen von Sympathisanten der France insoumise beschimpft wurde. Neulich nannte ihn jemand auf der Pariser Place de la République einen „dreckigen Zionisten“ – wann hatte es das schon mal gegeben? Dabei ist Guedj ist ein entschiedener Befürworter der Zweistaatenlösung. Auf dem Parteikongress in Nancy stand ihm der Sinn nach einer markanten Klarstellung.

Mélenchon reagierte prompt. Auf X forderte er seinen früheren Vertrauten auf, den Vorwurf des Antisemitismus mit Beispielen zu belegen. Nichts werde er finden, sagte er voraus, in vierzig Jahren nicht, in keiner Rede, keinem Essay. Nun, die Zeitung Le Monde hatte einmal Beispiele von zumindest grenzwertigen, sicher aber fragwürdig klischeehaften und stigmatisierenden Äußerungen Mélenchons über französische Politiker jüdischen Glaubens gesammelt. Es kam eine ganze Menge zusammen.

Doch selbst im Parti socialiste sind nicht alle einverstanden mit Guedj: Denn im Notfall würde man sich wohl gern wieder mit der radikalen Linken verbünden, um die extreme Rechte am Griff nach der Macht zu hindern.

Jérôme Guedj kam jetzt noch einmal auf seine viel beachtete Bezeichnung Mélenchons zurück: auf den Salopard antisémite also. Schweinehund, sagte er am Fernsehen, bedauere er, das entspreche nicht dem Niveau, das er sich für die öffentliche Debatte wünsche. Am Antisemiten halte er aber fest. Was wohl schwerer wiegt?