Unsere Autorin Charlotte Greipl hat einen sehr persönlichen Abschiedsbrief an Berlin verfasst. Ein Jobangebot zwingt sie zum Umzug – obwohl sie lieber geblieben wäre. Für sie steht Berlin für eine besondere Freiheit und Vielfalt: historisch und gleichzeitig modern, multikulturell, groß und offen. Besonders eindrücklich für sie waren Orte wie das Frankfurter Tor und die Karl-Marx-Allee, die sie regelmäßig besucht hat. Aufgewachsen im Westen Deutschlands, war die DDR für sie lange ein abstraktes historisches Konzept – im Osten Berlins hingegen wurde sie im Stadtbild und Alltag unmittelbar erfahrbar.
Trotz der bekannten Probleme der Stadt (Verwaltung, Dreck, steigende Mieten) hebt sie hervor, wie lernfähig Berlin ist – etwa bei Wahlen oder durch soziale Angebote wie kostenlose Mieterberatung. Berlin sei nicht perfekt, aber einzigartig: eine Stadt voller Kontraste, Geschichte, Eigenheiten und überraschender Lebensqualität. Ein Ort, den sie schweren Herzens verlässt.
Die Reaktionen der Tagesspiegel-Leserinnen und Leser zeigen ein vielstimmiges Echo: Viele stimmen der Autorin zu und beschreiben Berlin als Ort der Freiheit, Vielfalt und ganz persönlicher Heimat. Andere äußern sich kritisch, berichten von Frust über den Wandel der Stadt, mangelnde Toleranz oder eine spürbare Anspannung im Alltag. Zwischen Liebeserklärung, Nostalgie und Ernüchterung entsteht ein vielschichtiges Porträt einer besonderen Stadt, die niemanden gleichgültig lässt. Lesen Sie hier eine redaktionelle Auswahl von Kommentaren aus der Tagesspiegel-Community.
Mansfield
Danke, Frau Greipl! Bei aller berechtigen Kritik an Berlin (die Sie ja in dem Artikel auch ansprechen) klingen Ihre netten, wohlwollenden Worte nach einem angenehmen Gegenmittel für das weit verbreitete, oft überzogene, dämlich ätzende und aus diversen Richtungen kommende Berlin-Bashing.
Woli
Wir haben als Familie mit drei Kindern über dreißig Jahre in Berlin leben dürfen und waren mehr als froh, der Enge unserer Herkunftsorte im damaligen Westdeutschland entkommen zu können, sind nach einem vorübergehenden Lebensabschnitt im Norden Deutschlands sehnsuchtsgetrieben zurückgekehrt.
Die Berliner Jahre waren positiv geprägt von dem Gefühl der Freiheit, von einer großartigen Kulturlandschaft, den vielen unterschiedlichen Kiezen, der wunderbare Wald- und Seenlandschaft, dem Berliner blassblauen Himmel im Sommer, den vielfältigen Menschen und nicht zuletzt von dem, zugegeben manchmal auch derben Humor der Original-Berliner.
Wobei das Wunderbare war, dass auch wir immer Berliner sein durften und uns auch so fühlten. Das ist längst nicht in allen Regionen Deutschlands so, wo es locker mal 10 Jahre dauern kann, ehe der Einheimische das erste Mal zurückgrüßt.
Klar, nicht alles war rosig, unter anderem das Schulwesen nicht, dessen Zustände mich bis heute auf die Palme bringen können.
Inzwischen leben wir aus familiären Gründen seit 12 Jahren im Süden Deutschlands, fühlen uns insgesamt auch wohl, vermissen aber Berlin und seine Menschen immer wieder einmal schmerzlich.
Berlin aber war uns eine Heimat, wie keine zuvor und wie es wohl kein Ort der Welt mehr sein wird.
Und während ich das schreibe, werden meine Augen tatsächlich etwas feucht.
Für mich verkörpert Berlin eine ganz eigene Form von Freiheit und Gleichzeitigkeit. Ein bisschen fühlt man sich so, als könnte man in Berlin sein und gleichzeitig an ganz vielen anderen Orten auf der Welt, so viele Sprachen, Gerüche und Klänge findet man hier.
Tagesspiegel-Autorin Charlotte Greipl
Thommy44
Sorry. Aber kann ich nicht nachvollziehen. Ich komme aus Hamburg. Und jedes Mal, wenn ich in Berlin bin,
habe ich das Gefühl, zu ‘ersticken’.
Die Stadt kommt mir immer so gequetscht und eng vor. Das habe ich bei keiner anderen Stadt. Ich finde HH viel ‘luftiger’.
nias @Thommy44
Ich komme auch aus HH, bin aber schon seit 1992 in Berlin, weil mir HH zu gequetscht und zu statisch ist. Berlin ist Deutschlands einzige Großstadt und also natürlich auch dreckig und chaotisch, aber eben auch spannend, frei und viel toleranter und offener als HH und das kulturelle Angebot und die umliegende Natur ist nicht vergleichbar. Ich hatte auch schon Jobangebote außerhalb von Berlin, aber ich kann meine große Liebe nicht verlassen. Berlin ick liebe dir!
Berlin.Nord @nias
Frei und tolerant fand ich die Stadt kurz nach der „Wende“ in vielerlei Hinsicht, nach meiner Meinung gab es bereits erhebliche Einschnitte in diese gefühlte Freiheit:
Schwule Männer ziehen weg, weil sie sich im Kiez um Nolli und Motzstraße zunehmend bedroht fühlen, jüdische Menschen haben aus Angst vor Angriffen, sich erkennen zu geben und für Frauen überlegen die Grünen einen eigenen U-Bahn-Waggon einzurichten, damit man nicht sexuell belästigt wird. […].
Für mich ist das ein gesellschaftlicher Backlash. Toleranz scheint nur noch für die eigene Bubble zu gelten. Man muss selbst weder alles gut finden, noch mitmachen, aber das, was (West-)Berlin als freie Stadt ausgemacht hat, geht zunehmend verloren. Sehr schade!
thedoctor46
Also ich erinnere mich da an ungesunde Nächte in Westberliner Bars und Gasthäusern, meinen ersten Schrippenkauf und amüsierte Verkäuferinnen, Bolle, Kachelöfen, Bruchbriketts, Secondhand-Klamotten, freche alte Nachbarinnen, Hinterhöfe, Friedrichshagener Sättigungsbeilagen und natürlich in der S-Bahn mit Holzbänken und offenen Türen im Sommer nach Wannsee.
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straurob
Danke für diese Liebeserklärung an meine Stadt. Ich wurde hier geboren und möchte in keiner anderen Stadt wohnen. Das ist auf eine gewisse Art ebenso spießig. Passend dazu dieser bekannte Spruch von Anneliese Bödecker:
Die Berliner sind unfreundlich und rücksichtslos, ruppig und rechthaberisch, Berlin ist abstoßend, laut, dreckig und grau, Baustellen und verstopfte Straßen, wo man geht und steht – aber mir tun alle Menschen leid, die nicht hier leben können!
TomKyle @straurob
Ja, das alles verkörpert auch das Berlin, das ich als in Berlin geborener kannte. Und das Wichtigste: Jede und jeder konnte in Berlin so sein, wie sie oder er war. Eine gute Schule – es gibt nichts, was mich noch schockt.
Dennoch haben wir als Familie Berlin vor sechs Jahren verlassen. Der Wandel der Stadt, die Stimmung, die Menschen … kein ruppiges Miteinander, sondern latent aggressive Scheuklappen und Ellenbogen. Der Wandel von „jeder kann sein wie er will“ zu „es gibt in Berlin keine Regeln und jeder kann machen, was er will“ – ein feiner Unterschied.
Erst als wir weg waren, habe ich die innere Anspannung gemerkt, der ich jeden Tag ausgesetzt war.
Durch Freunde und Verwandtschaft sind wir oft in Berlin und es ist schön zu sehen, dass es die oben beschriebenen Eigenschaften immer noch gibt – als Kern, unter den neuen Eigenschaften.
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Fiat.iustitia.aut.pereat.mundus
Berlin ist ein Venusfalle. Attraktiv auf den ersten Blick, bis man sie durchschaut. Ich bereue es seit Langem, nach Berlin gekommen zu sein. Immerhin in den Speckgürtel geflüchtet und seit Corona/Homeoffice auch kaum mehr dagewesen. Ich vermisse nichts.
Klappleiter
Ein wesentlicher Aspekt von Berlin war für mich immer, dass man sich gefragt hat, ob es hier genauso sein muss wie in anderen Metropolen, und ob es nicht Alternativen dazu gibt. Was ich an Berlin gut finde, ist, dass es in vielerlei Hinsicht die Metropole der Alternative ist.