Der britische Gitarrist John Sykes starb im Dezember 2024 im Alter von nur 65 Jahren nach einer Krebserkrankung. In dieser Reihe erinnerten wir zu seinen Ehren an seine erste Profistation, die TYGERS OF PAN TANG und deren Studioalbum „Spellbound“ aus dem Jahr 1980. An anderer Stelle nahmen wir uns den Hardrock-Blockbuster „1987“ von WHITESNAKE vor, bei dem Sykes ebenso an der Gitarre brillierte. Nun gehen wir in der Zeitachse zwei Jahre weiter und widmen uns seiner eigener Band BLUE MURDER und deren selbstbetiteltem Debüt.
Nach seinem Rausschmiss bei WHITESNAKE war für Gitarrero John Sykes klar, dass es in anderer Konstellation für ihn weitergehen sollte. Aber pronto: So schnell seine Finger üblicherweise über das Griffbrett huschten, so schnell war in ihm der Plan gereift, selbst eine Band zusammenzustellen. Mit Geffen hatte sofort WHITESNAKEs alte Plattenfirma Interesse an seinem neuen Projekt bekundet; mit BLUE MURDER wurde alsbald ein Bandname gefunden, als Bass-Artist Tony Franklin dazustieß und den Namen vorschlug.
Rausschmiss und Pläne
Nicht ganz so angetan war man hingegen von den Sangeskünsten von Ray Gillen (vormals BLACK SABBATH). Der wurde von Tony Martin (ebenfalls BLACK SABBATH) ersetzt, der allerdings kurz vor den Aufnahmen in Kanada wieder absprang (von der Band, nicht dem Flugzeug). Somit flog ein Rumpftrio nach Vancouver, um die komponierten Songs in den Little Mountain Sound Studios aufzunehmen. Neben Sykes und Franklin war noch Carmine Appice mit dabei, der zwanzig Jahre zuvor bei den zugedröhnten Psychedelic Rockern VANILLA FUDGE für den angemessenen Rhythmus sorgte und beim Vorspielen mit seinem harten Punch überzeugte.
Was allerdings wie ein Makel aussieht, sollte sich als eigentlich richtige Entscheidung entpuppen: Wozu einen Sänger engagieren, wenn man die Songs auch selbst einsingen kann? Diesbezüglich war John Sykes ein Mann vieler Talente und die Dreierbesetzung mit Sykes als Frontmann in Doppelfunktion Gitarre und Gesang mehr als ausreichend.
Flug nach Kanada
Am Ende nahmen Sykes, Franklin und Appice unter den wachsamen Augen von Bob Rock (der sollte später METALLICA mit innovativer Studiotechnik zum richtigen Sound verhelfen) die komponierten Songs auf, von denen neun auf dem selbstbetitelten Album landen sollten. Die Studiozeit war üppig bemessen, und so kam „Blue Murder“ erst ein gutes Jahr nach Beginn der Aufnahmen am 24. April 1989 in die Läden. Immerhin rechtzeitig, um noch die Popularität von Hardrock und Hair Metal abzugreifen und ohne die Konkurrenz zum nächsten großen Ding, Grunge.
Trotzdem wurde „Blue Murder“ ein mittlerer Flop.
Woran es lag? An den Songs an sich jedenfalls nicht: „Valley Of The King“ ist eine epische Göttergabe, die krachendes Drumming mit enervierend hohem Gesang, fluffige Läufe auf dem bundlosen Bass und der Gitarre, einprägsame Hooks und unerwartete Wendungen verbindet. Wer dort LED ZEPPELIN heraushören möchte: warum nicht. Wer die Verbindung zu Tony Martins BLACK SABBATH ziehen möchte: bitte. Innerhalb der Tracklist verbunden ist der Song sicherlich mit „Ptolemy“, wenngleich bei jenem Song weniger der Refrain hervorsticht, sondern eher die eingesetzten Pinch Harmonics.
„Blue Murder“ wird ein Flop
Auf der Habenseite steht auch die akustische Biskuitrolle „Jelly Roll“, die von einer von Sykes‘ vergangenen Beziehungen handelt. Angeblich ging die Komposition des Songs flott von der Hand, und ebenso schnell wurde die Entscheidung getroffen, den Song als Single zu veröffentlichen. Als solche hätte auch „Sex Child“ eine gute Figur abgegeben, bei dem Riffing, Backgroundchöre und Refrain sitzen. Eindeutig einer der besten Songs auf der Scheibe. Das gilt auch für den leicht mysteriösen Titeltrack „Blue Murder“, der inhaltlich als Polizeigeschichte durchgeht. Noch mehr Einflüsse: „Billy“ weckt Erinnerungen an Sykes‘ alte Band THIN LIZZY, wenngleich die eingesetzten Synthesizer topaktuell daherkommen.
Fehlt noch eine Ballade, die mit „Out Of Love“ glatt auf WHITESNAKEs Album „1987“ hätte stehen können, vielleicht nicht ganz mit demselben Hitpotential, aber trotzdem sehr gefühlvoll. Dagegen runden der Opener „Riot“ und der Rausschmeißer „Black-Hearted Woman“ das Album vergleichsweise wild und ungezügelt ab. Vor allem Sykes darf auf dem Griffbrett glänzen.
Das klingt ja alles rosig – wo ist also der Grund, weswegen das Album wie Blei in den Läden liegen blieb? Das Video zu „Valley Of The King“ entpuppte sich als Fehler: Es war teuer (angeblich hat die Produktion 150.000 USD gekostet), der Song war zu lang, der Erfolg mäßig. Als die Plattenfirma mit dem ungleich flotteren „Jelly Roll“ anklopfte, hatte MTV keine Lust mehr, dieses Video in die Rotation zu schicken. Das alles führte zu enttäuschenden Verkaufszahlen, die sich in den Chartsplatzierungen widerspiegeln: Platz #45 im UK, in den USA lediglich Platz #69.
Enttäuschung und leuchtende Augen
Innerhalb der Band und bei der Plattenfirma gab man sich zerknirscht. Verschiedene Gründe wurden angeführt, warum es nicht recht klappen sollte: Das Management, die Singles, die Plattenfirma. Aber auch Sykes‘ Frontmann-Qualitäten wurden ins Feld geführt. Allerdings ist das etwas, das auf Platte nicht zu hören ist: Da ist nicht nur die instrumentale Darbietung top, sondern auch der Gesang.
Jedenfalls versuchte der blondgelockte Gitarrero nochmal einen neuen Versuch – mit reichlich zeitlichem Abstand und neuer Band (und neuem Sänger). „Nothin‘ But Trouble“, so der Titel des zweiten und finalen Albums von 1993, sollte jedoch kaum noch etwas reißen. Somit bleibt das selbstbetitelte Album das Magnum Opus von BLUE MURDER, bei dem Fans noch heute leuchtende Augen bekommen, selbst wenn es die gesteckten Ziele nicht erreichen sollte – an der Qualität hat es jedenfalls nicht gelegen.