Sitzt der Mann zurecht auf der Anklagebank – oder hätte er eigentlich offizielle Ehren verdient? Für den Staatsanwalt stellt sich die Frage nicht. Für ihn hat Vaclav „Wenzel“ Cerveny mit Cannabis gehandelt, „in nicht geringfügiger Menge“, wie der Mann in der schwarzen Robe sagt. Für den Angeklagten Cerveny, 64 Jahre alt, die Hände auf dem Pult vor sich verschränkt, stellt sich der Sachverhalt anders dar. „Anstatt hier zu sitzen, müsste ich eigentlich einen Orden bekommen“, sagt er, nachdem der Staatsanwalt die Anklage verlesen, Zahlen genannt und Cerveny unter anderem die „unerlaubte Einfuhr“ von Betäubungsmitteln vorgeworfen hat. Immerhin habe er viele Menschen vom Cannabis-Konsum abgehalten, damals, als Kiffen noch verboten war, sagt Cerveny. „Ich bin mir keiner Schuld bewusst“.
Die potenziellen Vergehen, um die es vor dem Amtsgericht München geht, liegen mehr als sechs Jahre zurück. Cerveny verkaufte in seinen insgesamt sechs Filialen in und um München CBD-haltige Produkte: Tees, Öle, Pesto. CBD, ein Cannabinoid aus dem weiblichen Hanf, kann gegen Krämpfe und bei Entzündungen helfen. Es kann entspannend wirken. Aber es berauscht nicht, dafür müsste man absurd große Mengen konsumieren.
Viele seiner Kunden hätten in ihrer Jugend Cannabis konsumiert, erzählt Cerveny. Dann hätten sie aufgehört, manchmal habe es aber eben doch „gejuckt“. Sein CBD-Sortiment sei für seine Kundschaft ein Ersatzprodukt zum berauschenden THC gewesen, sagt Cerveny. Und er, Cerveny, habe diese Sachen eben nach den damals gültigen Gesetzen verkauft. Deshalb der Orden. „Wir haben alles legal gemacht“, betont er.
Im Frühjahr 2019 beschlagnahmten die Behörden in umstrittenen Razzien einen Großteil seines Sortiments, Cerveny beziffert den Warenwert auf 250 000 Euro. Begründung: Der THC-Gehalt sei zu hoch, der Verkauf somit illegal. Seitdem liefert sich Cerveny diverse Scharmützel mit den Behörden, die immer wieder bei ihm vorstellig werden. Erst vor ein paar Wochen hat die Staatsanwaltschaft München I etwa 1400 Cannabis-Setzlinge in Cervenys „Natur Erlebniswelt“ in Aschheim konfiszieren lassen. Insgesamt 18 Verfahren wurden gegen Cerveny eröffnet, die meisten davon eingestellt.
Demnächst wartet wohl schon das nächste Verfahren auf Cerveny
Und so geht es Cerveny am Mittwoch vor Gericht nicht nur darum, seine 2019 beschlagnahmte Ware zurückzubekommen, sondern auch um Grundsätzliches. Einmal fällt das Wort „Rechtssicherheit“. Der Handel, Anbau und Konsum von Cannabis ist auch nach der Legalisierung mit vielen juristischen Unsicherheiten verbunden, erst recht in Bayern, wo besonders strenge Regeln gelten. Cerveny, der sich als Cannabis-Aktivist sieht, will für Klarheit sorgen. Und auf den seiner Meinung nach überzogenen Eifer der Staatsanwaltschaft bei der Verfolgung seiner Person und Delikten mit Cannabis aufmerksam machen. „Ich verstehe den ganzen Sinn hier nicht“, sagt er über den Prozess. Cerveny vermutet, die Behörden wollten einen „Präzedenzfall“ mit ihm schaffen.
Der Verlauf der Verhandlung, die ursprünglich auf fünf Termine angesetzt war, ist eigentlich schnell erzählt: Das Verfahren gegen Vaclav Cerveny wird eingestellt. Die Entsorgung der inzwischen in Behördengewahrsam verdorbenen Pflanzen ist Sache der Staatskasse, Cerveny wird auf Schadenersatzforderungen verzichten. Dafür erhält er das damals konfiszierte Bargeld und seinen Lkw zurück, der seit sechs Jahren in der Kfz-Verwahrstelle steht. Für Cerveny ist der ersatzlose Verlust seiner Pflanzen teuer, überhaupt gehen die vielen Verfahren ins Geld. Für ihn, und für die Staatskasse.
Demnächst wird Vaclav Cerveny wohl wieder vor Gericht antreten müssen. Dann wird es um die Sache mit den 1400 Setzlingen gehen, die dürften nach Auffassung des Staatsanwalts deutlich größere Probleme für Cerveny bringen als die vor sechs Jahren konfiszierten Produkte. Auch wegen dieses anstehenden Prozesses ist das aktuelle Verfahren eingestellt worden.
Nachdem der Richter die Verhandlung geschlossen hat, geben sich Cerveny und der Staatsanwalt die Hand. „Wir sehen uns vor Gericht“, sagt der Strafverfolger zu Cerveny. Auch dann wird dieser erneut auf der Anklagebank Platz nehmen, anstatt sich einen Orden ans Revers zu heften.