Eigentlich hat Ulrich Schulte-Wülwer vorher noch nie von Ivenack gehört. Erst ein Gemälde führte den Flensburger an den Ort der berühmten tausendjährigen Eichen. Der Kunsthistoriker ist gerade dabei, den Nachlass eines Hamburger Unternehmers und seiner Frau zu erfassen und kümmert sich um diesen in der „Jürgen und Maria Elisabeth Rasmus Stiftung“. Die beiden Hamburger waren leidenschaftliche Sammler.
Im Vordergrund steht Apfelschimmel mit Stute und Fohlen
Über 350 Gemälde und 700 Gläser des Barock bis Jugendstil waren unter anderem in den Besitz der Stiftung geflossen. Aufgetaucht ist dabei auch ein Bild, das ein grandioses Panorama zeigt. Im Vordergrund steht ein Apfelschimmel mit einer Stute und Fohlen auf der Weide, im Hintergrund eine Schlossanlage. „Ich hatte das erst beim Herzog von Augustenburg in Schleswig-Holstein verortet“, sagt der 80-Jährige. Doch als er genauer hinsah, habe er festgestellt, dass die Datierung von 1830 auf dem Gemälde nicht hinhaute.
Da er wusste, dass die Familie Rasmus auch eine Beziehung zu Mecklenburg-Vorpommern hatte, forschte er dort weiter. „Ich habe mir alle Schlösser hier angeguckt“, erklärt er. An der Kirche erkannte er schließlich Ivenack. Die Schlossanlage mit Kirche sowie Orangerie, Teehaus, Marstall, Verwalterhaus und Schmiede war zu erkennen – gemalt von der Klockower Seite, mit Blick über den See und der Liebes-Insel. Doch war das nicht alles, was den Kunstprofessor so faszinierte.
Um dieses Pferd ranken viele Legenden
Bei dem Schimmel im Vordergrund des Gemäldes handelt es sich um den seinerzeit berühmtesten Deckhengst „Herodot“, der 1793 im Gestüt von Ivenack des Grafen von Plessen geboren wurde. Um dieses Pferd ranken sich viele Legenden, wie die, dass Napoleon den Hengst für die französische Armee holen ließ und ihn vor Moskau und auch in Paris geritten haben soll. Zuvor soll der Stallmeister das Pferd in einer hohlen Eiche versteckt haben. Nach dem Sturz Napoleons kam „Herodot“ halbseitig erblindet zurück nach Ivenack.
Das Gemälde von 1830 zeigt den berühmten Apfelschimmel „Herodot“ mit Stute und Fohlen vor der Kulisse Ivenacks. Ein Blick von Klockow aus. Gemalt von Albrecht Adam. (Foto: Kirsten Gehrke)
Ulrich Schulte-Wülwer glaubt, dass das Gemälde einst im Schloss Ivenack gehangen hat und Auftraggeber Graf Plessen war. Er denke, dass es zu DDR-Zeiten in den westdeutschen Handel gekommen sei, wo der Sammler es bei einer Kunstauktion erworben hat. „Geschaffen wurde das Gemälde von Albrecht Adam aus München, dem damals berühmtesten und gesuchtesten Schlachten- und Pferdemaler seiner Zeit“, so Schulte-Wülwer. Kein Künstler sei berufener gewesen als er, der dem aufseiten Napoleons kämpfenden bayerischen Heer bis nach Russland gefolgt war und Napoleons Einzug in Moskau aus nächster Nähe beobachtet habe.
Künstler erhielt Aufträge vom Hochadel
Die während der Feldzüge und Schlachten entstandenen Zeichnungen und Studien habe er auf großformatigen Gemälden verarbeitet. Für Graf von Plessen und andere befreundete Züchter aus benachbarten Gestüten sei dies Grund genug gewesen, Albrecht Adam 1827 einzuladen. „Man war stolz auf den berühmten Künstler, der gewohnt war, seine Aufträge vom bayerischen König Ludwig I. und dem Hochadel zu erhalten.“ In Adams Erinnerungen an die Reise nach Mecklenburg heiße es, dass er dort Gelegenheit gefunden habe, seine Pferdekenntnis zu erweitern.
Die Zahl der Bestellungen für Pferdeporträts und Pferdegruppen sei so groß und lukrativ gewesen, dass er im Sommer 1828 nach Mecklenburg zurückkehrte. „In Bad Doberan wohnte Adam einem Pferderennen bei, in denen die Nachkommen ,Herodots‘ serienweise Siege errangen“, erklärte Schulte-Wülwer. „Allein dies war Grund genug, den Hengst für die Nachwelt auf einem Gemälde festzuhalten.“ Als der mit Aufträgen überhäufte Maler das Bild 1830 vollendete, sei „Herodot“ kurz zuvor verstorben. „Man hatte ihn unter einer der prächtigen Eichen, wie wir sie im Mittelpunkt des Bildes erkennen, begraben.“
Bild kommt in den Eingangsbereich des Marstalls
Das Gemälde findet jetzt seinen Platz im sanierten Marstall – an jenem Ort, wo „Herodot“ in einer Pferdebox geboren wurde. Ulrich Schulte-Wülwer übergab Mitte Juni das Kunstwerk an Bürgermeister Roy Lüth als Dauer-Leihgabe der Stiftung. Doch wird im Eingangsbereich nur eine Kopie zu sehen sein. Das Original im Wert von 25 000 Euro soll im alarmgesicherten Büro des Bürgermeisters aufgehängt werden.