Bisher hat Issa Al H. geschwiegen. Er war stumm und saß meistens nach vorn gebeugt auf der Anklagebank. Am fünften Prozesstag vor dem Düsseldorfer Landesgericht kündigt sein Verteidiger Daniel Sprafke am Morgen eine Einlassung seines Mandanten an. Was folgt, ist aber nicht der Versuch einer Erklärung der Tat oder eine Antwort auf die Frage, warum er sich das Stadtfest von Solingen dafür ausgesucht hat. „Er will mitteilen, wie es zu seiner Festnahme am 24. August kam“, sagt Sprafke.

Der Angeklagte beginnt mit den Worten: „Ich bin der Issa Al H.“ Dann beschreibt der Syrer seine Orientierungslosigkeit am Tag nach dem Anschlag am 23. August 2024. Doch wo er die Nacht verbracht hat, als die Fahndung nach ihm auf Hochtouren lief, sagt er nicht. Nur, dass er sich von Blättern von Bäumen und „allem möglichen“ ernährt habe in den Stunden nach der Tat. Seine Schilderungen beziehen sich auf eine Situation mehr als 24 Stunden nach dem Messeranschlag am Fronhof, bei dem drei Menschen starben und zehn weitere verletzt wurden.

Issa Al H. beschreibt mithilfe eines Dolmetschers die Situation, in der er am Abend des 24. August in Solingen in einen Bus der Linie 695 stieg. Wo, weiß er nicht mehr. „Es hat geregnet, meine Jacke war nass, deshalb wollte ich mich nicht hinsetzen“, sagt der 27-Jährige. „Ich habe mich im Bus hingestellt, habe mich festgehalten und bin dabei eingeschlafen.“ Als hätte er das Bewusstsein verloren, sagt er. Er sei wieder zu sich gekommen, als der „Chauffeur“ irgendetwas zu ihm gesagt habe.

Kameraaufnahmen aus dem Bus zeigen, dass es 22.18 Uhr war, als Issa Al H., der einzige Fahrgast, an der Haltestelle „Bahnhof Mitte“ ausstieg, bekleidet mit einem gelben Regenmantel. Den Platz vor dem Bahnhof habe er wiedererkannt. „Ich war krank und dachte, ich brauche irgendetwas zum Zudecken, mir war kalt“, sagt er. Da habe er zufällig einen Bekannten getroffen, ihn gefragt, ob er mit zu ihm könne.

„Ich wollte dann eigentlich zur Polizei, um mich zu stellen, dann kam mir ein Polizeifahrzeug entgegen“, sagt der Angeklagte. Es war 22.32 Uhr, als Issa Al H. die Polizisten traf. „Ich deutete ihnen an, dass ich es war, der die Tat begangen hat.“ Er habe seine Jacke ausgezogen, sich hingekniet und beide Hände über den Kopf gehalten, sodass die Polizisten seine blutverschmierte Kleidung sehen konnten. „Sie haben mich gefesselt und ins Auto gesetzt, ich habe mein Bild auf einem ihrer Handys gesehen“, sagt er. Auf Nachfragen des Vorsitzenden Richters, etwa ob er vorhatte, noch einmal in die Flüchtlingsunterkunft zu gehen, in der er damals wohnte, antwortet Issa Al H.: „Ich war total verloren, ich war ja auch sehr durstig.“

Der Vorsitzende will wissen: „Das war der Anlass, zur Polizei zu gehen?“. Da greift Verteidiger Sprafke ein und wehrt weitere Nachfragen ab. „Wir würden es an dieser Stelle dabei belassen“, sagt er. Der Vorsitzende ordnet die Einlassung eher als Fakten des „Randgeschehens“ ein. „Wir würden viel lieber mit ihm darüber reden, wie es zu dem Ganzen gekommen ist.“ Trotzdem sei es gut gewesen, den Angeklagten nun einmal in einer persönlichen Interaktion zu erleben.

Kein Widerstand bei Festnahme

In der Nacht nach dem Anschlag und am Tag darauf waren Hunderte Polizisten in Solingen eingesetzt, um den flüchtigen Täter zu finden. Einer von ihnen sagt am Mittwochnachmittag als Zeuge im Prozess aus. Er war mit seinem Kollegen am 24. August vor der Flüchtlingsunterkunft auf Streife und die Schicht war eigentlich zu Ende, wie er erzählt. „Auf der Fahrt habe ich wahrgenommen, dass eine Person gebückt aus einer Hecke rausgekommen ist. Ich bin davon ausgegangen, dass es ein psychisch Kranker ist.“

Mit seinem Kollegen stieg er aus dem Streifenwagen aus, um den seltsam wirkenden Mann im gelben Regenmantel zu kontrollieren. Der Regenmantel sei offen gewesen, so habe er gesehen, dass der Mann seine blutbefleckte Jeans auf Links trug. Der Mann habe seinen Daumen zu seinem Hals geführt und von links nach rechts eine „Schneidebewegung“ gemacht. Das habe er als Drohung aufgefasst, sagt der Polizeibeamte. „Ich habe meine Waffe gezogen, er sagte: ‚Kein Deutsch, kein Deutsch’“. Der Mann habe sehr geschwächt gewirkt und schließlich keinen Widerstand bei der Festnahme geleistet.

Der Vorsitzende will vom Zeugen wissen: „Wie war Ihr Eindruck: Ist er auf sie zugegangen, um sich festnehmen zu lassen, oder ist er in eine Kontrolle gelaufen?“ Der Polizist sagt: „Ich hatte nicht das Gefühl, dass er sich stellen will. Wir sind auf ihn zugegangen. Ich hatte eher das Gefühl, er will, dass man ihn erschießt.“

Issa Al H. wird dreifacher Mord, zehnfacher Mordversuch und Mitgliedschaft in einer Terrorvereinigung vorgeworfen. Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) reklamierte die Tat für sich. Er räumte den Messerangriff am ersten Prozesstag ein, ließ damals aber seinen Verteidiger für sich sprechen. „Ich habe schwere Schuld auf mich geladen“, hieß es in der Erklärung. Er verdiene und erwarte für seine Tat eine lebenslange Freiheitsstrafe.

Der Prozess wird fortgesetzt. Ein Urteil fällt frühestens im September.