Berlin – Deutschlands Jobcenter sollen künftig härtere Bandagen anlegen, wenn Bürgergeld-Empfänger Termine versäumen, sich arbeitsunwillig zeigen oder falsche Angaben machen. Man setze auf „spürbare Konsequenzen“, sagt die zuständige Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (57, SPD) – auch im Kampf gegen Missbrauch.
Auch interessant
Anzeige
Auch interessant
Anzeige
Hintergrund: Laut Umfragen hält eine Mehrheit der Deutschen derzeit das Bürgergeld eher für einen Anreiz, NICHT zu arbeiten. Ebenfalls eine Mehrheit hält das Bürgergeld für zu hoch und wünscht sich härtere Sanktionen.
Das Jobcenter Dortmund aber geht einen ganz anderen Weg: hohe finanzielle Anreize, um Arbeitslose für die Annahme eines Jobs zu „begeistern“. Dort werden Hilfeempfänger seit dem 27. Mai mit einer Sonderzahlung von 5000 Euro für den Kauf eines Autos und 3000 Euro für den Erwerb eines Führerscheins gelockt, wenn sie einen Job als Lieferfahrer, Pizzabote oder in der ambulanten Pflege annehmen. Voraussetzungen: ein unbefristeter Arbeitsvertrag und ein Arbeitsort, der nicht (oder nur schwer) mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar ist.
„Das ist doch irre“, empört sich ein Sachbearbeiter, der BILD die entsprechenden Dokumente einsehen ließ: „Das öffnet Betrügern Tür und Tor.“ Er möchte aus beruflichen Gründen anonym bleiben.
Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (57, r.) mit der Chefin der Bundesagentur für Arbeit, Andrea Nahles (54, beide SPD)
Foto: Kay Nietfeld/dpa
Zuschuss auch für E-Bike oder Motorroller
Tatsächlich wurde bis Mai in solchen Fällen lediglich der Führerschein für Arbeitslose vom Jobcenter finanziell unterstützt. Jetzt können sich Hilfeempfänger auch den Kauf eines Autos, eines E-Bikes oder eines Motorrollers mit Steuergeld subventionieren lassen.
In der entsprechenden „Ermessenslenkenden Weisung“ des Dortmunder Amtes heißt es:
▶︎ „Der Zuschuss für einen Pkw beträgt maximal 5.000 EUR“
▶︎ „Der Zuschuss für einen Roller beträgt maximal 3.000 EUR“
▶︎ „Der Zuschuss für ein Pedelec, S-Pedelec, eBike oder Mofa beträgt maximal 2.000 EUR“
Auszug aus der „Ermessenslenkenden Weisung“ des Dortmunder Jobcenters
Foto: Jobcenter Dortmund
Jobcenter-Chef erwartet nur 10 Fälle im Jahr
BILD fragte das Jobcenter in Dortmund und die Bundesagentur für Arbeit, welche Kosten sie durch die Förderpraxis erwarten.
Die Bundesagentur gibt an, Führerschein und Autokauf könnten – nach Ermessen der Sachbearbeiter – bezuschusst werden, „wenn die Ausübung der in Aussicht stehenden Tätigkeit ein eigenes Fahrzeug erforderlich macht“. Die Kosten müssten jedoch „angemessen sein“, würden „nur in eng definierten Einzelfällen“ gefördert: „In der Regel auch nicht mit voller Kostenübernahme, sondern als Zuschuss.“
Lesen Sie auch
Und mit welchen Zusatzausgaben rechnet das Jobcenter in Dortmund?
Amtschef Marcus Weichert: „Das ist eine absolute Ausnahmeregel. Wir gehen von maximal zehn Fällen pro Jahr aus, also 50.000 Euro.“ Seine Behörde betreut nach eigenen Angaben knapp 90.000 Bürgergeld-Bezieher.
Der Jobcenter-Chef könne „verstehen, dass andere so eine Förderung auch gerne hätten“, so Weichert zu BILD. Die 5000 Euro orientierten sich an „aktuellen Preisen auf dem Gebrauchtwagen-Markt“. Seine Hoffnung sei, „dass sich das gesamtwirtschaftlich für die Gesellschaft auszahlt, wenn unbefristete Arbeitsverhältnisse zustande kommen“.
Sachbearbeiter befürchtet Betrug
Er selbst habe die neue „Ermessenslenkende Weisung“ bisher nicht angewendet, so der Jobcenter-Mitarbeiter zu BILD. Zu groß sei die Gefahr, einfach „abkassiert“ zu werden.
So könnte etwa ein Pizzabäcker einen Boten einstellen, vom Amt bis zu 8000 Euro für Auto und Führerschein erhalten, sich das Geld teilen – und nach sechs Monaten das Arbeitsverhältnis beenden.