Die Katholische Kirche ist schon vom Selbstverständnis her eine Expertin für soziale Härtefälle. Sie sorgt sich um Alte und Kranke, um Arme und vom Leben Beladene. Caritas eben. Dass die Kirche selbst soziale Härtefälle produziert, ist nicht ganz neu – Stichwort Missbrauchsskandal – aber immer wieder neu befremdlich.

Diesmal geht es um das fragwürdige Geschäftsgebaren der Kirche als Eigentümerin und Vermieterin von Wohnimmobilien, das in München zunehmend für Probleme sorgt. Die Nußbaumstraße ist dabei das aktuellste Beispiel. Ein 125 Jahre altes, denkmalgeschütztes Jugendstilhaus im Zentrum der Stadt, das – soweit unstrittig – generalsaniert werden muss.

Katholische Kirche in München und Bayern: Auch ein Immobilienkonzern

Umstritten hingegen ist der Umgang des Erzbischöflichen Stuhls München und Freising mit seinen zum Teil lebenslangen Mieterinnen und Mietern. Salopp gesagt: Von außen entsteht der Eindruck, dass der „Stuhl“ die Bewohner des Hauses für das Bau- und Sanierungsvorhaben gerne vor die Tür setzen möchte.

Die Katholische Kirche ist dabei eben auch: ein Immobilienkonzern. Schätzungen zufolge gehören ihr bundesweit über 130.000 Wohnungen, genauer wird sie nicht. Allein in München besitzt das katholische Wohnungsbau- und Siedlungswerk (KSW) rund 3000 Wohnungen, insgesamt sollen es im Erzbistum München und Freising 7500 sein.

Einer der größten Immobilieneigentümer in München

Die Katholische Kirche ist damit einer der größten Immobilieneigentümer in München, in Bayern und Deutschland. „Wohnung“ sei ein Sozialgut, schreibt das KSW auf seiner Homepage, „Unternehmenszweck ist die Schaffung (…) von nachhaltigem Wohn- und Lebensraum für breite Bevölkerungsschichten, insbesondere Familien“, das „oberstes Handlungsprinzip“ die Orientierung an den Bedürfnissen der Mieter und Mieterinnen.

Das klingt erst mal gut. Spricht man aber mit dem Mieterverein München über seine Erfahrungen mit der Erzdiözese in der Hochmietenmetropole, dann hört sich das ganz anders an. „Es ist eine Tatsache, dass die Katholische Kirche als Vermieter oft nicht besonders sozial ist“, so die stellvertretende Geschäftsführerin Monika Schmid-Balzert. „Unsere Erfahrung zeigt, dass Mieter und Mieterinnen von kirchlichen Immobilien nicht besser gestellt sind als andere.“

Sein ganzes Leben in der Nußbaumstraße verbracht

Der Münchner Mieterverein war zu Beginn auch im Fall Nußbaumstraße involviert: Ein 58-jähriger Wirtschaftsprüfer muss Mitte des Jahres seine Wohnung verlassen, die seine Eltern 1925, also vor genau 100 Jahren, angemietet haben – und in der er sein ganzes Leben verbracht hat. Wegen einer unterschriebenen Verschwiegenheitserklärung darf er nicht darüber sprechen. Aber alle im Haus wissen, wie sehr ihn der bevorstehende Auszug traumatisiert. Die Kirche bestreitet auf Nachfrage, dass Druck ausgeübt wurde.

Ein 90-jähriger Ruhestandspfarrer soll eine Duldungserklärung für Maßnahmen unterschreiben, die gar nicht der Sanierung seiner eigenen Wohnung dienen.

Künstlerin soll nach 56 Jahren ausziehen 

Gegen die Mieterin Ingrid Pohlmann, ihr Name wurde auf Wunsch geändert, wurde Mitte Januar beim Amtsgericht München eine Räumungsklage eingereicht. Die 58-jährige ist eine gesundheitlich angeschlagene Künstlerin, die aktuell auf Krücken angewiesen ist.

Auch sie soll nach 56 Jahren aus der elterlichen Wohnung ausziehen. Eine Erklärung dafür, warum sie nach Abschluss der Sanierungsmaßnahmen nicht wieder zurück darf, hat ihr die Erzbischöfliche Finanzkammer, die die Sanierungsmaßnahme koordiniert, nicht gegeben.

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Nimmt man Einblick in die Akte Nußbaumstraße und die 160 Seiten umfassende Räumungsklage gegen Frau Pohlmann, ergibt sich ein Bild, das wenig mit Fürsorge und Nächstenliebe zu tun hat, viel aber mit den handfesten wirtschaftlichen Interessen eines Immobilienkonzerns.

Erzbistum bietet kircheneigene Ersatzwohnungen

Im Mai 2022 informierte die Finanzkammer die Mietparteien das erste Mal über die Baumaßnahme. Das Haus aus dem Jahre 1899 sei „stark sanierungsbedürftig“, die Sanierung notwendig, damit in München „dringend benötigte zusätzliche Wohnfläche geschaffen“ werden könne.

Das klingt nobel, aber schon in diesem ersten Schreiben an Frau Pohlmann ist von der Kündigung ihres Mietverhältnisses die Rede. Im März 2024 wird die Frau schließlich gekündigt. Ein persönliches Gespräch mit den Mietern über die geplante Sanierung des Hauses hat nie stattgefunden. In der Räumungsklage untermauert das Erzbistum seine Bemühungen hinsichtlich einer außergerichtlichen Einigung damit, dass es der Mieterin elf kircheneigene Ersatzwohnungen für einen dauerhaften Auszug angeboten habe. Das stimmt auch, nur von vergleichbaren Angeboten kann keine Rede sein:

Nahezu alle Wohnungen liegen an stark befahrenen Straßen, viele sind deutlich kleiner und zugleich doppelt oder dreimal so teuer wie Frau Pohlmanns Wohnung in der Nußbaumstraße. Ein Angebot kommt auf einen Quadratmeterpreis von 30,50 Euro.

Das Haus steht unter Denkmalschutz

Der Sprecher des Erzbischöflichen Ordinariats erklärt, die Frau habe sich „verweigert“. In der Begründung der Räumungsklage des Erzbistums heißt es, dass „der Kläger durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert wäre (…)“. Das klingt dann schon weniger nach Caritas und mehr nach PricewaterhouseCoopers (PwC), das seit Corona, auf Initiative von Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising, die Finanzstrategie der Erzdiözese entwickelt hat.

Auf Initiative von Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising, wurde die Finanzstrategie der Erzdiözese entwickelt.

Auf Initiative von Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising, wurde die Finanzstrategie der Erzdiözese entwickelt.
© Felix Hörhager/dpa

Auf Initiative von Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising, wurde die Finanzstrategie der Erzdiözese entwickelt.

von Felix Hörhager/dpa

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Schaut man sich den Zustand des Hauses und der Wohnung der Künstlerin genauer an, wird deutlich, dass das Erzbistum in all den Jahren als Eigentümer seinen gesetzlichen Instandhaltungspflichten nie angemessen nachgekommen ist. Und das, obwohl das Haus unter Denkmalschutz steht.

In der Räumungsklage kommt das Wort „Denkmalschutz“ genau einmal vor. Immer wieder ist aber von „Vollsanierung“ oder „Kernsanierung“ die Rede. Das Rückgebäude, in dem die Frau lebt, soll „in den Rohbauzustand zurückversetzt“ werden. Und: „Der Wohnungsgrundriss aller Wohnungen des Rückgebäudes wird völlig verändert.“

Eingangstür schließt nicht mehr

Irritierend wirken die Äußerungen des Sprechers der Unteren Denkmalschutzbehörde. Die Maßnahmen seien „abgestimmt“, schreibt die Behörde. Haut das Erzbistum deshalb so auf den Putz, um die Mieterin loswerden zu können?

Ein halbes Jahr nach ihrer Kündigung wird Frau Pohlmanns Miete erhöht. Sie verfasst ein Schreiben, aus dem hervorgeht, dass sie seit 2005 bestehende Mängel an ihrer Wohnung immer wieder angezeigt hat. Die Frau moniert unter anderem die denkmalgeschützte Eingangstüre, die nicht mehr schließt und Kälte in die Wohnung lässt.

Rostwasser kommt aus den Leitungen

Aus den Wasserleitungen fließt bräunlich gefärbtes Rostwasser; die maroden Stromleitungen verlaufen über Putz; die defekte Heizung erreichte gerade in den kalten Wintermonaten nicht einmal mehr die gesetzliche Mindesttemperatur von 20 Grad.

Grund genug eigentlich, die Miete von sich aus zu mindern, – was Pohlmann aber nicht tut. Ihr Anwalt schreibt, dass aufgrund der „wiederholten Ausfälle der Heizung“ der Eindruck entstehen könnte, „als ob meine Mandantin auch auf andere Weise von einer Beendigung des Mietverhältnisses überzeugt werden soll“.

 Sanitäranlagen: über 70 Jahre alt

Auch ein technisches Gutachten, das der Erzbischöfliche Stuhl zur Sanierung des Hauses in Auftrag gegeben hat und das der Räumungsklage angehängt ist, stellt der Verantwortung des Eigentümers ein vernichtendes Zeugnis aus: die Sanitäranlagen – über 70 Jahre alt; Heizungsanlage, Trinkwasserleitungen, Abwasserleitungen – allesamt „ca. 80 Jahre alt“, Elektroanlage – „komplette Sanierung erforderlich“.

Das Gutachten geht auch von einer erhöhten Schadstoffbelastung im Gebäude für die Bewohner aus, gemessen wurde diese nie. Der Kirchensprecher sagt, es bestehe keine Gefahr. Der Erzbischöfliche Stuhl, der das Haus steuerfrei vererbt bekam, hat mit den unterlassenen Instandhaltungen über Jahrzehnte sehr viel Geld gespart.

„Instandhaltungspflicht nicht nachgekommen“

Frau Pohlmann resümiert in ihrem Widerspruch zur Klage vom Januar: „Die Generalsanierung ist nur nötig, weil die Finanzkammer seit 70 Jahren ihren Instandhaltungspflichten nicht nachgekommen ist“.

Trotz mehrfacher Nachfrage, warum das Haus in der Nußbaumstraße in einem derart maroden Zustand ist, gibt das Erzbistum keine Antwort. Zugleich rühmt es sich seiner „Verantwortung als Immobilieneigentümer“: „Trotz erheblicher Sanierungskosten hat sich der Erzbischöfliche Stuhl angesichts der Wohnsituation und der abnehmenden Verfügbarkeit von bezahlbarem Wohnraum, gerade für sozial benachteiligte Haushalte in München, bewusst gegen einen Verkauf des Gebäudes in zentraler Lage entschieden“.

Soziale Bleibe oder Luxuswohnung? 

Das ist schon deshalb widersinnig, weil das Ordinariat in derselben Erklärung etwas später sagt, dass für die Mieter im Rückgebäude „die Rückkehr in die sanierten Wohnungen zu den alten, sehr günstigen Mietkonditionen (…) vor dem Hintergrund der hohen Kosten für die Baumaßnahmen wirtschaftlich für den Erzbischöflichen Stuhl nicht möglich bzw. leistbar“ sei.

Was aber stimmt nun? Soll hier Wohnraum für sozial Benachteiligte entstehen oder Luxuswohnungen für glückliche Wenige? Der Sprecher der Erzdiözese erklärt, die Maßnahmen seien explizit mit Generalvikar Christoph Klingan „abgestimmt“.

Ihren Widerspruch zur Klage ergänzte Pohlmann mit einer attestierten „Traumafolgestörung“, die aufgrund „der Zunahme des Drucks vonseiten des Vermieters und Drohung einer Räumungsklage“ herrühre.

Was der Mieterverein dazu sagt

Monika Schmid-Balzert vom Mieterverein resümiert: „Die Kirche wäre gut beraten, sich an ihren christlichen Auftrag zu besinnen, mit ihren Mietern vernünftig umzugehen und sie nach Modernisierungsmaßnahmen – zu adäquaten Mieten und vertraglich abgesichert – wieder in ihre Wohnungen zurückzulassen.“

Das Krisenmanagement des Erzbistums im Fall Nußbaumstraße ist schwer zu verstehen. Während man Pohlmann nie ein einziges Angebot unterbreitet hat, dass sie in ihrer Wohnung mit Mietanpassung bleiben könne, wurde den Parteien im Vorderhaus eine Duldung der Maßnahmen mit einem „Verzicht auf eine Modernisierungsmieterhöhung“ schmackhaft gemacht.

Leerstand im Erdgeschoss: Seit 2016

Und im Rückgebäude steht die Wohnung im Erdgeschoss nachweislich seit September 2016 leer – in München gemäß dem Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (ZeS) eine Ordnungswidrigkeit, die mit bis zu 500.000 Euro geahndet wird.

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Das Erzbistum behauptet, dass bezüglich der leer stehenden Wohnungen ein „regelmäßiger Austausch“ mit der Stadt bestehe, tatsächlich hat man den Leerstand nie gemeldet und sich so erneut viel Geld gespart.

Vergleicht man den Fall Nußbaumstraße mit ähnlichen Fällen in der Stadt, dann werden die Parallelen offenkundig. Die Kirche – wahlweise Erzdiözese, KSW oder die katholische Kirchenbank Liga Bank eG – bekommt ein Haus vererbt, das in den Jahren danach nie adäquat instandgehalten wird.

Das Nötigste übernehmen die Mieter auf eigene Kosten. Das Haus verfällt zunehmend, bis es generalsaniert oder abgerissen werden muss. Die Folge: Die Bewohner müssen ausziehen oder werden, gerade bei günstigen Mieten, dazu gedrängt.

Mieter sollen auf Dixiklos ausweichen

Auf die Bedürfnisse der Mieter und Mieterinnen wird, entgegen dem KSW-Leitbild, wenig Rücksicht genommen. Im Fall eines Wohnhauses in der Lautensackstraße wollte das KSW, dass die Mieter während der monatelangen Sanierungsmaßnahmen auf ein Dixiklo ausweichen und in einem Container baden, so der Mieterverein.

Das Geld, das angesichts rückläufiger Kirchensteuereinnahmen nicht mehr so üppig sprudelt, wird für die Kirche mit ihren zahlreichen sanierungsbedürftigen Liegenschaften zum Praxistest ihres Fürsorge-Paradigmas.

„In Menschen, weniger in Steine investieren“

Die Amtschefin des Erzbischöflichen Ordinariats in München, Stephanie Herrmann, hat das bei der Etat-Pressekonferenz im vergangenen Jahr so erklärt: „Im Kern geht es darum, die Mittel, die wir haben, vor allem in Menschen, weniger in Steine zu investieren.“ Das hätten sich die Bewohner der Nußbaumstraße auch gewünscht. Das Amtsgericht München hat für den 25. Juli eine Entscheidung angekündigt.