Es gibt Momente, da macht das Leben einen Knick. Da passiert etwas, dass die Biografie für immer und unumkehrbar verändert. Für SPD-Politikerin Carolyn Macmillan und ihren Mann ist das der 14. Dezember des vergangenen Jahres. In Lichterfelde-Ost, im Südwesten Berlins, sind sie auf einem Markt und machen dort Wahlkampf für die SPD.
Als sie sich gerade auf den Weg nach Hause machen wollen, werden sie von einer Gruppe Jugendlicher brutal angegriffen. Mitten auf einer belebten Straße wird Macmillans Mann zu Boden geworfen und mit Tritten und Schlägen in den Bauch und gegen das Gesicht traktiert, bis die Polizei dazwischen geht.
„Die Polizei hat nicht lange gebraucht, mir kam es aber lange vor, weil ich dachte, mein Mann stirbt gleich“, sagte Carolyn Macmillan am ersten Prozesstag. „Ich dachte noch: Das habe ich seit den 90ern nicht mehr gesehen. Große Gruppe, schwarz gekleidet, Springerstiefel mit weißen Schnürsenkeln“, gab Macmillans Ehemann zu Protokoll.
Zwei der Angeklagten zeigten sich geständig
Vier Angreifer wurden von der Polizei festgenommen, ob und wie viele andere Angreifer geflohen sind, ist bis heute ungeklärt. Was feststeht: Phillipp B. (20), Elias U. (19) und die beiden Brüder Florian (19) und Pascal K. (17) mussten sich nun vor Gericht verantworten. Ihnen wird unter anderem gefährliche Körperverletzung, Sachbeschädigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte vorgeworfen.
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Elias U. und Phillip B. zeigten sich an den ersten beiden Prozesstagen geständig, die Brüder K. schwiegen und zeigten sich lediglich belustigt, wann immer ihre Beleidigungen gegenüber der Polizei im Saal zitiert wurden.
Alle vier Rechtsanwälte versuchten über die gesamten vier Prozesstage, die Aussagen der Zeugen infrage zu stellen und die Tat zu entpolitisieren. Von einem „Streit“ und einer „Verkettung“ war die Rede. Nicht aber davon, dass sich die vier Jugendlichen aus Sachsen-Anhalt im Dezember verabredet hatten, um eine linke Demonstration in Berlin zu stören.
Gericht zweifelt nicht an der politischen Motivation der Täter
Als die Staatsanwältin Nicola Schmidt in ihrem Plädoyer deshalb die politische Motivation der Jugendlichen hervorhebt und darin eine besondere Schwere der Schuld sieht, bezichtigte sie der Rechtsanwalt von Phillipp B., „über das Ziel hinausgeschossen“ zu sein. Der Rechtsanwalt von Elias U. forderte, „man solle die Kirche im Dorf lassen“.
Die Forderung der Staatsanwaltschaft hat es nämlich in sich. Zwischen zweieinhalb und fast dreieinhalb Jahren sollen die Beschuldigten jeweils bekommen. Schmidt begründet ihre Forderungen damit, dass es auch die „Aufgabe der Rechtsprechung ist, dass gezeigt wird, dass eine solche Form der politischen Auseinandersetzung nicht geduldet, sondern verfolgt wird“.
Das Gericht ordnet die vier Beschuldigten in ihrer Urteilsbegründung dem rechtsextremen Spektrum zu und hält wegen der Schwere der Schuld eine Verurteilung im Sinne des Jugendstrafrechts für nötig: Da im Jugendstrafrecht der erzieherische Ansatz im Vordergrund stehe, müsse dieses unbedingt angewendet werden, um eine weitere Radikalisierung zu verhindern, erläuterte der Richter. Es gebe keinen Zweifel daran, dass die Täter aus politischer Motivation handelten.
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Deshalb erließ es schlussendlich gegen Phillipp B. eine Jugendstrafe von zwei Jahren und 90 Sozialstunden. Erst in sechs Monaten entscheidet sich, ob diese auch vollstreckt wird, da B. eine Ausbildung begonnen hatte und deshalb haftverschont geblieben war. Kommt er seinen Auflagen nach, bleibt er auf freiem Fuß.
Pascal und Florian K. wurden beide ebenfalls unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung zu einem Jahr und neun Monaten, respektive zu zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Im Fall von Pascal K. wird aufgrund seines jungen Alters ebenfalls erst in sechs Monaten entschieden, ob seine Haftstrafe durchgesetzt wird.
Urteil noch nicht rechtskräftig
Elias U. wurde hingegen direkt unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung zu zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Das Gericht sieht bei ihm die Gefahr, dass er weitere Straftaten begehen könnte, weshalb die Haftstrafe direkt durchgesetzt wird.
U., der sich noch am ersten Prozesstag reumütig gezeigt hatte, schmierte in der Untersuchungshaft Nazisymbole an die Wände seiner Zelle. Das Urteil des Gerichts noch nicht rechtskräftig.