Liebe Leserin, lieber Leser,

kennen
Sie das Unbehagen, das sich einstellt, wenn Sie auf einen Missstand
aufmerksam werden, von einer halbwegs akzeptablen Abhilfe erfahren
und das Problem daraufhin gedanklich zur Seite legen? Mir geht es
seit Jahren mit dem Kraftwerk Wedel so. Nun hat es mich eingeholt.

Im
Grunde ist das ganze Kraftwerk ein einziger Missstand. Seit den
1960er-Jahren versorgt es Hamburg mit Strom, während es unsere
Nachbarn in Schleswig-Holstein mit Lärm und Dreck belästigt. Ende
der 1980er-Jahre baute Hamburg eine lange Wärmeleitung zum
westlichen Rand der Stadt, um auch das hiesige Fernwärmenetz von
Wedel aus zu versorgen. Inzwischen ist das Kohle-Heizkraftwerk das
dienstälteste Deutschlands, ineffizient und schmutzig. Seit rund
zwanzig Jahren läuft die Debatte darüber, wie es am besten zu
ersetzen wäre. Derzeit heißt es: nach dem kommenden Winter.

Der
Missstand, um den es mir geht, ist aber ein anderer. Hamburg kommt
fast immer ohne Fernwärme aus Wedel aus. Das Kraftwerk könnte
längst abgeschaltet sein, um bloß noch in besonders harten Wintern
wieder in Betrieb zu gehen – technisch formuliert: Es befände sich
in der sogenannten Kaltreserve. Möglich wäre das, auch nicht
sonderlich teuer, soweit es den Vorgang selbst betrifft
. Es gibt da bloß ein Problem: Mit dem Strom des alten
Schrottkraftwerks verdient die Stadt Hamburg gutes Geld. Und darum
läuft und läuft und läuft es.

Vor
fünf Jahren erklärte das Freiburger Öko-Institut, warum die
gängigen Einwände gegen einen eingeschränkten Kraftwerksbetrieb
bloß Ausflüchte waren. Daraufhin versprach die Umweltbehörde unter
Leitung des damaligen Grünen-Senators Jens Kerstan, in Wedel 2021
mindestens 20 Prozent weniger Kohle zu verbrauchen, danach 30 Prozent
weniger. Für mich hörte sich das, nun, einigermaßen gut an –
vielleicht zu gut.

© ZON

Newsletter

Elbvertiefung – Der tägliche Newsletter für Hamburg

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Denn
vor ein paar Wochen wies eine Bürgerinitiative, der Energietisch
Hamburg, anhand öffentlicher Stromerzeugungsdaten nach, dass von
einer verringerten Laufzeit des Kraftwerks im versprochenen Umfang
nicht die Rede sein könne. Die Linkspartei fragte daraufhin bei der
Umweltbehörde nach, ich auch. Beide Antworten fielen umfangreich
aus. Unter anderem verwies die Behörde auf den Ukrainekrieg und eine
damalige „Markterwartung, dass häufiger eine Marktlage vorzufinden
sein würde, in der ohnehin gasgefeuerte Gas- und
Dampfturbinen-Anlagen in den Einsatzkosten günstiger sind als ein
Kohlekraftwerk“.

Anders
gesagt: Die Umweltbehörde hat 2020 einfach einkalkuliert, dass Strom
aus Gaskraftwerken einen Großteil des Wedeler Kohlestroms ohnehin
aus dem Markt drängen würde, und hat der Öffentlichkeit diese
„Markterwartung“ als klimapolitisches Zugeständnis verkauft. Dann
kam es anders – und das Versprechen von 2020 war plötzlich kaum
noch etwas wert.

Ich
wünsche Ihnen einen schönen Tag!

Ihr
Frank Drieschner

WAS HEUTE IN HAMBURG WICHTIG IST

Nach
der Festnahme eines 20-Jährigen in Hamburg, der als Kopf einer
Gruppe jahrelang Kinder im Internet missbraucht haben soll, fordert
der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) mehr
Befugnisse im Kampf gegen Pädokriminelle
.
Bislang würden solche Fälle oft nur zufällig oder durch Hinweise
aus dem Ausland entdeckt, sagte der Hamburger BDK-Vorsitzende Jan
Reinecke. Er forderte mehr Personal, neue rechtliche Befugnisse, eine
zentrale Zuständigkeit – etwa beim Bundeskriminalamt – sowie
eine rechtssichere Vorratsdatenspeicherung.

© Bloomimages

Am
S-Bahnhof Veddel entsteht ein neues
Wohnquartier namens Hafenbahnpark
mit
Wohnungen für fast 700 Menschen, Kita, Supermarkt und Café. Bauherr
ist das städtische Sozialunternehmen Fördern & Wohnen. Bis 2028
werden die sechs Wohngebäude auf der etwa zwei Fußballfelder großen
Fläche neben der Bahntrasse errichtet.

Die
U-Bahn-Linie 3 ist ab heute für zwei Wochen zwischen
den Haltestellen Rathaus und St. Pauli gesperrt
.
Vom 20. Juni bis zum 3. Juli werden Gleise und Schwellen erneuert,
wie die Hochbahn mitteilte. Die Sperrung endet mit Betriebsschluss.
Ein Ersatzverkehr wird nicht eingerichtet – die Hochbahn empfiehlt,
andere Bahn- und Buslinien zu nutzen.

Nachricht des Tages

© Oskar Piegsa

Ein
transparenter Container am Spielbudenplatz wirbt ab sofort für mehr
Sicherheit im Nachtleben. Viele Menschen gingen gerne aus, mieden
aber die Reeperbahn, sagte Anna Lafrentz aus dem Vorstand des
Clubkombinats, einer Interessenvertretung der Clubs und Bars. Es gebe
Ängste vor Übergriffen, eine zunehmende Zahl von Straftraten im
Nachtleben und, so Lafrentz, allgemein zu wenig Bewusstsein für
diskriminierendes Verhalten.

Unter
dem Motto „what the fear“ (wtf) bietet der Container donnerstags
bis sonntags von 17 bis 23 Uhr Ansprechpartner und Infomaterial.
Zudem sammelt eine anonyme
Meldestelle im Internet
 Erfahrungsberichte zu Diskriminierung und Gewalt im Nachtleben. Ziel
sei es, anschließend Strategien und dauerhafte Angebote zu schaffen,
damit möglichst alle Menschen angstfrei am Nachtleben teilnehmen
können.

Der
wtf-Container wird von der Kultur- und Sozialbehörde gefördert,
kostet rund 30.000 Euro und steht noch bis 3. August vor dem Bauzaun
der Esso-Brache. Es ist das erste Angebot dieser Art auf der
Reeperbahn, an der laut Clubkombinat jedes Wochenende 50.000 Menschen
zum Feiern zusammenkommen.

Oskar
Piegsa

In aller Kürze

• Bei einer Messerstecherei in Harburg ist am Donnerstag
eine Frau schwer verletzt worden •
Nach der Sicherstellung von 3.600 Kilogramm Kokain in Großbritannien
hat die Hamburger Polizei sechs Tatverdächtige festgenommen Beim Wendemanöver eines Autos auf einer Busspur in Hoheluft sind
mindestens fünf Menschen verletzt worden. Als ein heranfahrender Bus
plötzlich bremsen musste, zerbrach dessen Frontscheibe. Einige der
Verletzten wurden zur Behandlung ins Krankenhaus gebracht

AUS DER HAMBURG-AUSGABE

© action press

„Würden Sie bitte alles Geld einpacken?“

Vor
60 Jahren raubte Gisela Werler, eine Supermarkt-Kassiererin aus
Altona, zusammen mit ihrem Geliebten fast 20 Banken aus. Die erste
Bankräuberin Deutschlands wohnte da noch bei ihren Eltern.
ZEIT:Hamburg-Autor Söhnke Callsen hat
den Fall aufgeschrieben, lesen Sie hier einen Auszug aus seinem
Artikel:

Gisela Werler war ein schüchternes Fräulein, immer fleißig, freundlich
und hilfsbereit. Manchmal aber setzte sie eine blonde Perücke auf,
nahm einen kalten, schweren Revolver in die Hand, betrat die
Schalterhalle einer Bank: und raubte sie aus. Zusammen mit ihren
Komplizen nahm sie in nur drei Jahren fast 20 Banken in Hamburg,
Schleswig-Holstein und Niedersachsen aus und erbeutete dabei rund
eine halbe Million D-Mark.

Für
die Polizei war Werler lange ein Phantom, die Presse nannte sie nur
die „Banklady“. Als sie 1967 aufflog, waren alle fassungslos:
Gisela Werler, 33, Supermarkt-Kassiererin aus Altona,
die noch bei ihren Eltern lebt, soll Deutschlands erste Bankräuberin
sein?

„Wenn
ich heute darüber nachdenke, was ich gemacht habe, dann kann ich gar
nicht glauben, dass ich das fertiggebracht habe“, schrieb sie nach
ihrer Verhaftung einem Journalisten. Wie konnte sich das
„unscheinbare Haushuhn“ zu einem „stolzen Raubvogel“ mausern, wie
es der stern
später
pathetisch formulierte?

Wie
die Geschichte weitergeht, lesen
Sie in der ungekürzten Fassung auf ZEIT ONLINE.

Zum
vollständigen Artikel

DER SATZ

© Naja Bertolt Jensen

„Die chemische Industrie sieht diese Art von Recycling als Rettungsanker.“

Früher
war Plastik ein Symbol für den Fortschritt, heute steht das Material
für eine der größten Umweltkatastrophen. Wie konnte das passieren?
Und wie kommen wir da raus? Darüber schreibt ZEIT-Autor Niels
Boeing, seinen
Artikel lesen Sie hier

MAHLZEIT – Die Gastrokritik

Reeperbahn
und Wein, das bringt man nicht unbedingt in Verbindung. Aber
tatsächlich gibt es gleich am Spielbudenplatz den Weingarten
Sechsundzwanzig,
einen der schönsten und originellsten Weingärten der Stadt. Das
Haus mit der Nummer 26 war früher ein Schwimmbad. Von dem ist schon
lange nichts mehr übrig – bis auf die denkmalgeschützte
Gründerzeitfassade. Seit zwei Jahren gehört diese Beinahe-Baulücke
zum Kosmos des Schmidt Theaters, das mittlerweile auch kulinarisch
sehr aktiv ist. Leute also, die am besten wissen, dass ein solcher
Ort ein bisschen Struppigkeit braucht.

Man
sitzt hier mit Blick auf die kulissenhafte Hauswand. Auf dem Boden
liegt Holzmulch. Unter den vielen Topfpflanzen sind sogar ein paar
Weinreben; Hamburgs Hausweinberg an den Landungsbrücken ist ja ganz
in der Nähe.

Für
die Weine im Ausschank sorgt der Eimsbütteler Händler Vineyard –
eine solide Auswahl im unteren Preissegment. Man sollte nicht darauf
setzen, dass der nette Service über die Finessen fachsimpeln möchte.
Dafür gibt es hier oft Live-Musik, manchmal auch ganz unverhofft. An
diesem Abend wechselt das Paar am Nebentisch auf die kleine Bühne
und spielt richtig guten Blues.

Zu
essen gibt es mangels Küche hier nur wenig, das aber schmeckt. Sehr
gekonnt etwa der Flammkuchen, den man auch vegetarisch bekommt mit
Lauch, Cashewkernen und getrockneten Tomaten anstelle des Specks.
Eine Platte davon, ein Glas Weißburgunder, ein Platz mit Blick auf
all die Charaktere, die man hier vorbeilaufen sieht – das reicht
für einen netten Abend.

„Ja,
ihr seid hier im Garten Eden“, raunt zwischen zwei Songs die
Sängerin. Und ermuntert das Publikum, noch ein Glas Wein zu
bestellen. Danach allerdings singen die beiden über Tennessee
Whiskey. Das Repertoire ist offenbar noch nicht auf den Ort
abgestimmt.

Michael
Allmaier

Weingarten
Sechsundzwanzig
,

Spielbudenplatz
26, St. Pauli ·
Tel. 31 77 88 54

DARAUF KÖNNEN SIE SICH FREUEN

„Stricken
im Kino“: Wieder einmal sind die Strickfans unter den Leserinnen und
Lesern eingeladen, den Sonntagvormittag im Zeise-Kino zu verbringen.
Dieses Mal gibt es – mit gedimmtem Licht, damit gestrickt werden
kann – die Verfilmung von Jane Austens Roman „Stolz und Vorurteil“
zu sehen, in der Regie von Joe Wright aus dem Jahr 2005, unter
anderem mit Keira Knightley, Matthew Macfadyen, Rosamund Pike und
Donald Sutherland.

Stricken
im Kino: „Stolz und Vorurteil“, 22.
Juni, 11 Uhr; Zeise-Kino, Friedensallee 7–9; Infos
und Tickets gibt es hier
 

MEINE STADT

Alsterlauf in Alsterdorf © Petra Bassen

HAMBURGER SCHNACK

Im
Eiscafé auf der Sonnenterrasse. Neben uns sitzt ein Ehepaar mit Hund
und genießt genau wie wir Sonne und Eis. Als es dann freundlich
grüßend das Eiscafé verlässt, erkundigt sich mein Mann, ob der
Hund denn auch ein Eis bekommen habe.
„Nein
– der macht gerade eine Bikinidiät.“

Gehört
von Marilies
Brinkmann

Das war
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