Der Uni-Neubau neben dem Geomatikum sollte ein Leuchtturm der Wissenschaft in Hamburg werden. Bislang ist das Vorhaben aber nur ein Millionengrab und ein Symbol der Bau-Unfähigkeit des Staates. Die Hamburger Politik verspricht, ihre Lehren daraus zu ziehen.

Was als zukunftsweisender Forschungsbau für die Universität Hamburg begann, ist heute ein Beispiel für die Risiken öffentlicher Großprojekte. Das „Haus der Erde“ – ein Neubau für die Klimaforschung und Geowissenschaften – sollte ursprünglich bis 2016 fertiggestellt werden, also vor jetzt neun Jahren. Doch Planungsfehler, Bauverzögerungen, Krisenfolgen und zuletzt ein Wasserschaden haben das Projekt massiv verzögert. Die Kosten haben sich mehr als verdoppelt.

Wann und wie es mit dem Bau an der Bundesstraße weitergeht, entscheidet sich in den kommenden Wochen. Die Stadt wartet auf letzte Gutachten zum Wassereinbruch im vergangenen Sommer. Erst dann ist klar, mit welcher zeitlichen Perspektive zu rechnen ist. Längst dient der Bau Kritikern als weiterer Beleg dafür, dass öffentliche Bauten regelmäßig in ein Fiasko führen. Wer aber daraus etwas lernen will, muss sich tief in die Abläufe einarbeiten – dann wird die Chronologie des Scheiterns greifbar.

2011: Die Vorstellung

Im Frühjahr dieses Jahres fällt der Startschuss, ein „Raum- und Funktionsprogramm“ für mögliche Neubauten am Campus Bundesstraße wird vorgestellt. Die Uni, die Wissenschafts- und die Baubehörde erklären darin, wie viele Gebäude für eine Erweiterung der Universität am Campus in Eimsbüttel gebraucht werden und wie viel Platz die einzelnen Fakultäten in den Häusern benötigen. Außerdem wird beschrieben, wie sich die neuen Gebäude in den Stadtteil einfügen sollen. Im Anschluss schreibt die Stadt einen internationalen Wettbewerb aus, bei dem ein Gesamtkonzept für den MIN-Campus sowie konkrete Entwürfe für einen Neubau für die Geo- und Klimawissenschaften entstehen. Damals heißt das Projekt noch „Neubau am Geomatikum“.

Der Auftrag für die weitere Planung geht an das Konsortium aus Architekten und Ingenieuren aus Braunschweig, die den Wettbewerb gewonnen haben. „Der Baubeginn für den Neubau am Geomatikum ist für 2013 vorgesehen, und die Fertigstellung des Gebäudes wird für 2015/2016 angestrebt“, schreibt der Senat damals in einer Mitteilung an die Bürgerschaft. Vorher sollen die Planer gemeinsam mit den späteren Nutzern noch Details zur inneren Aufteilung der Gebäude klären.

In dieser Phase entstehen jene gravierenden Probleme, die der Stadt aktuell – also gut 14 Jahre später – noch immer Kopfschmerzen bereiten. Eines davon ist der Verzicht auf eine strikte Trennung von Labor- und Bürobereichen. „Im nördlichen Teil werden jeweils zwei Laborschenkel von einem Gebäuderiegel mit einer offeneren Bürolandschaft begleitet, in dem Studierende und wissenschaftliches Personal mit starkem Bezug zu den Laborbereichen arbeiten“, heißt es damals fast schwärmend in der Senatsmitteilung.

Jens Kerkhoff, der heute für das „Haus der Erde“ zuständig ist, kann darüber nur den Kopf schütteln. „Man braucht klare Regeln bei der Bedarfsplanung, um die Komplexität von Gebäuden nicht unnötig zu erhöhen. Nicht alles, was wünschenswert wäre, kann man auch so planen“, sagt er WELT AM SONNTAG. Und man hätte es beim Haus der Erde nicht so planen dürfen. Doch das zeigt sich in seinem vollen Ausmaß erst viel später, nämlich 2024 beim riesigen Wasserschaden.

2013: 300 Labore

Im Sommer 2013 liegt die Entwurfsplanung für den „Neubau am Geomatikum“ vor. Die städtische GMH Gebäudemanagement Hamburg (kurz: GMH) übernimmt anschließend die Verantwortung für das Projekt, steigt in die bestehenden Verträge ein. Das Gebäude soll rund 37.000 Quadratmeter Nettogeschossfläche erhalten. Einziehen sollen sieben Institute aus dem Fachbereich Geowissenschaften, die Verwaltung des Fachbereichs sowie eine Einheit der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, die sich mit den Folgen des Klimawandels auseinandersetzt.

Außerdem sind Räume für die Forschungsstelle für Nachhaltige Umweltentwicklung (FNU), das Zentrum für Naturwissenschaft und Friedensforschung (ZNF) und das Institut für Hydrobiologie und Fischereiwissenschaft (IHF) vorgesehen. Insgesamt 300 Labore sollen in dem Haus einen Platz erhalten; zum Teil werden diese, wie die Fischbecken des IHF, in das zweite Untergeschoss gelegt. Ein einzelner Lastenaufzug soll diese tiefe Laborebene bedienen. Auch das ein Problem, das mit dem Wasserschaden 2024 zum Riesenhindernis für die Eröffnung des Baus wird.

2015: Erste Bauarbeiten

Die Bauarbeiten beginnen. Zunächst gehen die Arbeiten gut voran. Der Rohbau wächst und ist bis 2017 fast komplett errichtet. Das Gebäude soll bis Mitte 2019 fertig für die Übernahme durch die Universität sein. Noch ist der Optimismus groß.

2017: Bedenken kommen auf

Das Desaster beginnt. Anfang des Jahres schreibt die Stadt, genauer die GMH, die Arbeiten für die Gebäudetechnik aus. Die Unternehmen, die den Zuschlag erhalten, äußern Bedenken an den Plänen. Diese seien nicht ausführbar, heißt es. Monatelang gibt es ein Hin und Her zwischen der Stadt und dem Planer, der seine Pläne – nach Darstellung der Stadt – trotz mehrfacher Aufforderung nicht nachbessert. Im November kündigt die Stadt dem ursprünglichen Planer für die Gebäudetechnik. Die Unternehmen, die die Technik bauen sollen, bekommen zusätzliche Aufgaben. Doch ausgerechnet für die Firma, die Lüftungs- und Kältetechnik zu Ende planen und bauen soll, ist der Auftrag zu komplex.

2018: Die Juristen kommen

Es kommt zu einem Stillstand, Ende des Jahres stellt das Unternehmen, das die Lüftungs- und Kältetechnik bauen soll, seine Arbeiten komplett ein und wird kurz darauf gekündigt. In einem Verfahren urteilen die Richter am Hamburger Landgericht, dass die Klimabauer ihre Arbeit nicht hätten einstellen dürfen. Dieses Urteil wird später vom Oberlandesgericht Hamburg und vom Bundesgerichtshof bestätigt. Die Beklagten müssen der Stadt die entstandenen Schäden ersetzen.

2019: Wohin mit der Lüftung?

Die Stadt schreibt die Aufträge erneut aus – und es kommt zum großen Schock. Das nun beauftragte Unternehmen deckt schonungslos alle Fehler auf, das es in der Planung für die Gebäudetechnik sieht.

In einer Mitteilung an die Bürgerschaft zählt der Senat exemplarisch fehlende Kapazitäten in der Notstromversorgung auf. Bei einem Stromausfall wären die Labore nicht ausreichend entlüftet worden. Die Sprinkleranlagen entsprachen nicht überall den Vorschriften für Laborgebäude. Und die Gasleitungen in die Labore waren weder ausreichend noch genug gesichert. Dazu waren wichtige Anforderungen der Nutzer – etwa konstante Raumtemperaturen, spezielle Luftfeuchtigkeitswerte oder die Abwärme durch wissenschaftliche Geräte – nicht genau berücksichtigt worden.

Die bisher geplante Lüftungs- und Kälteanlage ist damit zu klein. Eine entsprechend große Anlage würde aber nicht, wie geplant, auf das Dach passen. Außerdem wäre das Gewicht der Apparaturen so hoch, dass das Gebäude die Lasten nicht tragen könnte. Die Stadt muss sich entscheiden: Will sie den Rohbau, dessen Ausbau schon läuft, erhalten? Dann muss sie Platz für eine neue Lüftungsanlage finden. „Das fast fertige Gebäude abzureißen, wäre eine schlechte Lösung gewesen“, sagt Kerkhoff. Und so erhält das „Haus der Erde“ eine zusätzliche unterirdische Lüftungszentrale vor dem Geomatikum.

2020: Weitere Kündigungen

Die Stadt kündigt im April zwei weiteren an dem Bau beteiligten Firmen. Die Planungsbüros hätten sich „zunehmend unkooperativ“ verhalten. Im August hat sie ein neues Planungsbüro gefunden, das sowohl die weiteren Arbeiten an der Gebäudetechnik als auch das Gesamtprojekt von da an koordiniert. Im November legt der Senat der Bürgerschaft einen Antrag vor, mit dem das Projekt auch finanziell auf sichere Füße gestellt werden soll. Es geht unter anderem um die Übernahme von Bürgschaften durch die Stadt. Mit der Drucksache wird klar: Statt der bisher bekannten 177 Millionen Euro werden die Projektkosten auf 303 Millionen Euro steigen. Die Übergabe des Gebäudes wird auf das Jahr 2024 datiert.

Januar 2024: Es wird teurer

Die Jahre zuvor sind geprägt von den Auswirkungen der Corona-Pandemie und dem Ukraine-Krieg. Es gibt Lieferengpässe, Materialknappheit und fehlende Terminzusagen. Das Jahr 2024 beginnt mit einer weiteren Nachricht über massive Kostensteigerungen. Im Januar teilt der Senat mit, dass er nun mit Kosten von 373 Millionen Euro rechnet. Gründe sind unter anderem Preissteigerungen am Bau, verlängerte Bauzeiten, zusätzliche Planungsleistungen und gestiegene Finanzierungskosten. Der Übergabetermin des Gebäudes an die Uni soll sich aber nur noch wenig weiter verschieben. Anfang 2025 soll es so weit sein. Zum Sommersemester soll der Lehrbetrieb im „Haus der Erde“ starten.

August 2024: Wasserschaden

Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) und Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) geben bekannt, dass es einen Wasserschaden im Keller gegeben hat. Die Auswirkungen sind gewaltig. So muss der gesamte Boden auf etwa 1900 Quadratmetern ausgetauscht werden. Betroffen sind unter anderem die Bereiche, in denen später die Aquarien der Fischereiforschung stehen sollen. Weil die Aquarien viel wiegen werden, ist der Bodenaufbau enorm dick. Über einen einzelnen Lastenaufzug müssen die zu Quadern geschnittenen Bodenteile einzeln an die Oberfläche gebracht werden. Zudem hat sich in den betroffenen Gebäudeteilen Bakterienbefall ausgebreitet.

Wie viel Schaden das eindringende Wasser angerichtet hat, wird erst nach und nach sichtbar. Außerdem bestätigt sich ein erster Verdacht nicht: Der Sprinklertank war nicht Auslöser für das eintretende Wasser. „Es gab wohl mehrere Ursachen“, sagt Jens Kerkhoff. Das macht die Suche aber umso schwieriger. Einen neuen Übergabetermin gibt es nicht.

Juni 2025: Die Lehren

Kerkhoff und Andreas Dressel sitzen in Dressels Büro in der Finanzbehörde. „Ein solches Gebäude wird sich nicht wiederholen“, sagt Dressel. Wie die Stadt es im weiteren Bauverlauf besser machen will? Für das „Haus der Erde“ hat die GMH schon vor Jahren angefangen, sich Expertise ins Haus zu holen. „Wir verfügen inzwischen über ein eigenes Team von kompetenten Fachingenieuren insbesondere in der Haustechnik, die die Qualitätssicherung von externen Leistungen übernehmen“, erklärt Kerkhoff.

Dressel meint aber noch mehr. Das „Haus der Erde“ steht exemplarisch für die Herausforderungen öffentlicher Großprojekte: ambitioniert, aber zu komplex – und anfällig für Fehler. Fehler, die man sich in Hamburg nicht leisten könne, wie der Finanzsenator erklärt. „Über die nächsten Dekaden werden sechs bis acht Milliarden Euro Investitionen in die Gebäude der Hochschulen erforderlich sein.“ Damit man das schaffe, so Dressel – „auch

in dem Tempo, in dem die Hochschulen diese Gebäude brauchen – werden wir Neubauvorhaben maximal standardisiert umsetzen müssen.“ Der Schulbau habe es vorgemacht. Dressel: „Komplexe Spezialbauten müssen die absolute Ausnahme bleiben, da haben wir jetzt beim Haus der Erde wahrlich viel Lehrgeld bezahlt, das darf sich nicht wiederholen.“

Redakteurin Julia Witte genannt Vedder arbeitet in der Hamburg-Redaktion von WELT und WELT AM SONNTAG. Seit 2011 berichtet sie über Hamburger Politik.