Putin sei zurzeit nur an einer Imitation von Friedensgesprächen interessiert, damit der Kontakt zu Trump nicht abbricht, sagt der ukrainische Politologe Wolodymyr Fessenko. Voraussetzung für echte Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine sei ein Scheitern der russischen Sommeroffensive. Mehr als einen Waffenstillstand zu erreichen, werde allerdings nicht gelingen. Ein Problem sei, dass ein effektiver Vermittler fehle.
ntv.de: Herr Fessenko, Präsident Selenskyj ist vor allem zum G7-Gipfel in Kanada gereist, um US-Präsident Trump zu treffen. Der ist dann jedoch vorzeitig abgereist und es kam zu keinem Treffen. Hatte die Selenskyj-Reise aus ukrainischer Sicht trotzdem ein Ergebnis?
Wolodymyr Fessenko ist einer der führenden ukrainischen Politikexperten. Seit 2003 ist der Politikwissenschaftler Chef des Zentrums für angewandte politische Forschung Penta in Kiew. Fessenko ist auch als Politikberater tätig.
(Foto: privat)
Wolodymyr Fessenko: Natürlich hat die ukrainische Seite auf ein Treffen gehofft. Jetzt ist die Hoffnung groß, dass dies nächste Woche beim Nato-Gipfel in Den Haag passiert. Selenskyj will diesen persönlichen Kontakt mit Trump. Er möchte den Verhandlungsstand nach den bisherigen Gesprächen [zwischen der Ukraine und Russland] in Istanbul sowie die aktuelle militärische Lage persönlich darstellen. Denn in den USA hängen die Entscheidungen derzeit letztlich von einer einzigen Person ab. Nach Kanada wäre er aber wohl auf jeden Fall geflogen, weil ein Panel des Gipfels der Ukraine gewidmet war und die G7 nicht nur aus den USA bestehen.
Enttäuschend ist, dass sich die G7-Länder wieder auf kein gemeinsames Statement bezüglich des russisch-ukrainischen Krieges einigen konnten. Das ist eine Tendenz, die sich seit Trumps Amtseintritt abzeichnet. Schon um den Jahrestag der russischen Aggression am 24. Februar hat sich das bemerkbar gemacht. Erfreulich ist das keinesfalls.
Trump hat in Kanada angedeutet, dass der Ausschluss Russlands aus den G8 zum Krieg geführt habe.
Das ist für Trump keine neue Position. Ähnliches war von ihm schon in seiner ersten Amtszeit zu hören. Das ist leider eine Folge der Tatsache, dass Wladimir Putin vermutlich der Staatschef ist, mit dem Trump am meisten redet. Putin weiß, wie man solche Gespräche führt. Im Prinzip geht es ihm darum, Trump zu vermitteln: ‚Schau mal, wir wurden beide beleidigt, auf unterschiedliche Art und Weise. Wenn du verstehst, warum ich beleidigt bin, denn ich verstehe dich.‘ Leider funktioniert das. In Wahrheit war der Ausschluss Russlands aus den G8 eine Folge der russischen Krim-Annexion – nicht umgekehrt. Russlands Rückkehr in diese Gruppe ist nicht möglich, weil andere G7-Staaten eine solche Verletzung des Völkerrechts nicht dulden. Aber es ist besorgniserregend, dass aus G7 langsam de facto G6 wird.
Noch ist unklar, ob Selenskyj zum Nato-Gipfel nach Den Haag fährt und dann dort auf Trump trifft. Sind solche persönlichen Kontakte nach dem Eklat im Oval Office im Februar nicht auch gefährlich? Nato-Generalsekretär Rutte soll entsprechende Sorgen geäußert haben.
Die Gefahren sind selbstverständlich da. Wir haben aber neben dem Konflikt im Weißen Haus auch ein positives Beispiel – das konstruktive Gespräch der beiden in Rom. Insgesamt ist es eine gute Idee, größtenteils auf der niedrigen Ebene zu sprechen, auf der die Egos der beiden Staatschefs keine wirkliche Rolle spielen. So wie bei den amerikanisch-ukrainischen Verhandlungen in Saudi-Arabien, die durchaus gut verliefen. Weil Trump aber reichlich direkten Kontakt mit Putin hat, ist man gezwungen, dem quasi entgegenzuwirken. Daher ist Selenskyj natürlich sehr daran interessiert, Trump persönlich zu überzeugen. Ob die US-Seite aber wirklich an einem Treffen interessiert ist, bleibt eine offene Frage.
Was ist das Maximale, was die Ukraine und Selenskyj mit Blick auf die USA derzeit erreichen können?
Es geht darum, die USA mit aller Kraft zumindest in Teilen als eine Art Partner für diese Amtszeit zu behalten. Das Minimale wäre, dass die Amerikaner wenigstens weiter Aufklärungsdaten mit der Ukraine teilen. Das realistische – und auch notwendige – Maximum wären dagegen neue Waffen- und Munitionslieferungen, denn die unter Joe Biden bewilligten Hilfspakete laufen aus. Natürlich diesmal gegen Geld und wohl über Europa. Der Konflikt zwischen Israel und Iran macht es aber nicht einfacher. Bei der Verschärfung der Sanktionen gegen Russland sieht es im Moment schlecht aus. Hier muss die ukrainische Seite kommunikativ klug agieren. Es wäre besser, wenn der Druck dazu hauptsächlich aus den USA selbst und aus anderen Ländern käme. Die Initiative des republikanischen Senators Lindsey Graham ist hier eine gute Vorlage.
An der Front läuft derzeit die russische Sommeroffensive, im Hinterland gibt es mehr Luftangriffe gegen zivile Ziele. Dutzende Zivilisten sind am Dienstagmorgen bei einem massiven Angriff auf Kiew gestorben. Hat sich die Lage seit Trumps Amtsantritt am 20. Januar trotz aller Verhandlungsversuche gar nicht verändert?
Wir sollten uns nichts vormachen. Dass es Gespräche gibt, ist per se nicht schlecht. Ein Ergebnis ist die Verstärkung der Gefangenenaustausche. Das ist nicht unwichtig. Es gibt jedoch mehrere Probleme. Das Wichtigste: Russland ist zurzeit nur an Verhandlungsimitationen interessiert, damit der Kontakt zu Trump nicht abbricht. In Expertenkreisen gibt es einen klaren Konsens: Wenn die russische Sommeroffensive scheitert und Russland wirklich mit viel zu starken Verlusten zu kämpfen hat, kann man vielleicht Ende des Jahres zu echten Verhandlungen über einen Waffenstillstand übergehen. Mehr als einen Waffenstillstand zu erreichen, wird sowieso nicht gelingen, weil zentrale russische Forderungen für die Ukraine völlig unannehmbar sind. Ein anderes Problem sehe ich darin, dass direkte Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine, die die Amerikaner schon als großen Erfolg verkaufen, wenig vielversprechend sind. Man braucht einen effektiven Vermittler. Sonst kommt man nicht voran.
Sie sagten es schon, der Konflikt zwischen Israel und dem Iran macht es nicht einfacher. Welchen Einfluss hat der israelisch-iranische Krieg auf die Ukraine?
Einen überwiegend negativen. Hier gibt es gleich mehrere Punkte. Der Wichtigste ist der steigende Ölpreis. Denn Russland finanziert diesen Krieg mit dem Geld aus Ölverkäufen. Ohne eine Schwächung der russischen Wirtschaft wird Moskau weiterhin wenig Interesse an einem Waffenstillstand haben. Dass sich die internationale Aufmerksamkeit nun weniger der Ukraine widmet, ist ebenfalls nicht gut, auch wenn ich dies nicht als katastrophal ansehe. Hinzu kommt aber, dass die Ukraine aufgrund der massiven russischen Angriffe einen riesigen Bedarf in Sachen Flugabwehr hat – und wenn Flugabwehrraketen aus den USA nach Israel statt in die Ukraine gehen, kostet das letztlich hier Menschenleben. Sollte sich Putin erfolgreich als Vermittler zwischen Israel und Iran zeigen, was ich nicht glaube, wäre das auch nicht gut. Sollte sich aber Israel einen schnellen Sieg sichern, wäre dies aus ukrainischer Perspektive nicht schlecht. Schließlich ist Iran ein Verbündeter Russlands.
Das heißt, die Ukraine ist vor allem an einem schnellen Ende des Konflikts interessiert.
Selbstverständlich.
Kommen wir noch kurz zur ukrainischen Innenpolitik. Seit vielen Jahren gibt es den Konflikt zwischen Selenskyj und dem Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko. Der seit Ende Dezember amtierende Leiter der Kiewer Militärverwaltung, der formell über Klitschko steht, legt gegen viele Entscheidungen Klitschkos sein Veto ein. Umgekehrt ignoriert das Team des Bürgermeisters öfters seine Befehle. Wie ist das in einer Lage zu bewerten, in der die Luftangriffe gegen Kiew immer stärker werden?
Den politischen Konflikt zwischen Selenskyj und Klitschko gibt es seit 2019, als Selenskyj Präsident wurde. Er hat unterschiedliche Gründe. Tatsächlich gibt es reichlich Versäumnisse in der Arbeit Klitschkos, aber es geht natürlich auch um Machtkonzentration auf der Seite der Präsidentenkanzlei. Was diesmal neu ist: Es gibt mehrere Korruptionsverfahren gegen Personen aus der Umgebung von Klitschko, die vor allem mit illegaler Bebauung zu tun haben. Die Masse dieser Verfahren hat die Hauptstadt erschüttert und das Image des Bürgermeisters stark beschädigt. Das nutzen der aktuelle Leiter der Militärverwaltung und der Präsident natürlich aus.
Schon öfters gab es in den vergangenen Jahren Gerüchte, dass der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal, der seit Anfang 2020 im Amt ist, abgesetzt werden könnte. Bewahrheitet haben sie sich nicht. Diesmal könnte der Wechsel an der Regierungsspitze Medienberichten zufolge aber tatsächlich umgesetzt werden. Was würde das für die Ukraine bedeuten?
Komischerweise gab es solche Gerüchte ausgerechnet im Juni 2024 und im Juni 2023 ebenfalls. Wirkliche Beschwerden über Schmyhals Arbeit gibt es kaum. Er ist kein schlechter Technokrat und agiert vor allem als eine Art Manager der Regierung, ohne sich zu sehr in die Politik einzumischen. Die Wahrscheinlichkeit, dass er diesmal wirklich gehen muss, ist aber höher als früher. Das hat wohl auch damit zu tun, dass seine erste Stellvertreterin, Julija Swyrydenko, für die Verhandlungen mit den USA zum Rohstoff-Abkommen verantwortlich war und sich dabei erfolgreich gezeigt hat. In Zeiten, in denen die Durchführung von Wahlen in absehbarer Zeit unmöglich ist, braucht man mitunter Erneuerung in den Machtstrukturen. Eine wirkliche Veränderung der Politik wird es jedoch sicher nicht geben.
Mit Wolodymyr Fessenko sprach Denis Trubetskoy