Unter hohen Sicherheitsvorkehrungen fanden an diesem Samstag gleich zwei Christopher Street Days (CSD) in Brandenburg und Berlin statt: In Eberswalde im Nordosten Brandenburgs demonstrierten queere Menschen ab 13 Uhr für Akzeptanz, Sichtbarkeit und Gleichberechtigung. Auch in Berlin-Marzahn zog eine Pride-Parade durch den Stadtteil. Beide Veranstaltungen stehen im Schatten zunehmender Anfeindungen – und wurden von rechten Gegenveranstaltungen begleitet.

In Eberswalde rechnet das Organisationsteam mit rund 1.500 Teilnehmenden. Die Polizei ist mit einem Großaufgebot im Einsatz, um Störungen zu verhindern – insbesondere nach dem Angriff auf ein Fest für Vielfalt in Bad Freienwalde vor einer Woche. Brandenburgs Polizeipräsident Oliver Stepien will sich vor Ort ein Bild der Lage machen.

Aus Sicherheitsgründen: Gemeinsame Anreise von Teilnehmern aus Berlin

Zahlreiche Pride-Aktivisten und CSD-Teilnehmer fahren aus Berlin nach Eberswalde. Bereits am Gleis in Gesundbrunnen verbreiten sie Pride-Stimmung mit bunten Outfits. Aus Sicherheitsgründen reisen sie gesammelt mit einem Regionalzug an. Die Organisatoren warnen auf Instagram davor, alleine anzureisen oder die Gruppe einzeln zu verlassen.

Die Sicherheitsvorkehrungen bei beiden CSDs spiegeln eine wachsende Sorge wider: Nach Einschätzung von queeren Interessenverbänden nehmen Anfeindungen, Einschüchterungsversuche und gezielte Störungen bei CSD-Veranstaltungen bundesweit zu. Im Mai wurde der CSD in Gelsenkirchen wegen einer Bedrohungslage kurzfristig abgesagt, in Regensburg ging ein Drohschreiben gegen die Veranstalter ein. Auch in Bautzen und Leipzig kam es im vergangenen Jahr zu gezielten Aktionen rechter Gruppen.

Hunderte ziehen am Samstag durch Eberswalde.

Hunderte ziehen am Samstag durch Eberswalde.Emmanuele Contini/Berliner Zeitung

Anwohner unterstützen die Demonstrierenden, manche winken mit Pride-Flaggen aus den Fenstern.

Anwohner unterstützen die Demonstrierenden, manche winken mit Pride-Flaggen aus den Fenstern.Emmanuele Contini/Berliner Zeitung

Die Polizei schützte die Veranstaltung mit starken Kräften. Ein Sprecher zeigte sich nach dem CSD zufrieden mit dem Ablauf.

Die Polizei schützte die Veranstaltung mit starken Kräften. Ein Sprecher zeigte sich nach dem CSD zufrieden mit dem Ablauf.Emmanuele Contini/Berliner Zeitung

Prominenter Besuch: Klaus Lederer auf dem CSD in Eberswalde.

Prominenter Besuch: Klaus Lederer auf dem CSD in Eberswalde.Emmanuele Contini/Berliner Zeitung

Viele demonstrierten mit selbstgebastelten Schildern.

Viele demonstrierten mit selbstgebastelten Schildern.Emmanuele Contini/Berliner Zeitung

Teilnehmende auf dem zweiten CSD im brandenburgischen Eberswalde.

Teilnehmende auf dem zweiten CSD im brandenburgischen Eberswalde.Emmanuele Contini/Berliner Zeitung

Selbstgebasteltes Schild in Eberswalde.

Selbstgebasteltes Schild in Eberswalde.Emmanuele Contini/Berliner Zeitung

CSD in Eberswalde: Bunter Protest - auch gegen die AfD.

CSD in Eberswalde: Bunter Protest – auch gegen die AfD.Emmanuele Contini/Berliner Zeitung

In Dallgow-Döberitz (Landkreis Havelland) wurde jüngst eine Regenbogenfahne vor dem Rathaus in Brand gesetzt. Die Veranstaltenden der CSDs machen dennoch klar, dass sie sich nicht abschrecken lassen wollen. „Jetzt erst recht“, erklärten sie auf Instagram.

„Die queere Szene ist unter Beschuss“

Mehrere hundert Teilnehmer sammeln sich in Eberswalde am Bahnhof bei drückender Hitze. Die Polizei ist mit mehreren Fahrzeugen vor Ort. Eine der Teilnehmer ist Barbara Brecht-Hadraschek. Die  55-Jährige pustet gerade Ballons auf, um die Demo für den Aufzug vorzubereiten. „Ich wäre sowieso heute zur Pride gegangen. Aber nach dem Vorfall in Bad Freienwalde erst recht. Die queere Szene ist unter Beschuss, wir verteidigen hier die Demokratie. Es hat in den letzten Jahren einen massiven Rückschritt gegeben. Selbst in Berlin ist es schlimmer als vor fünf, sechs Jahren. Einzelne Teilnehmer aus Eberswalde müssen sich heute mit Masken davor schützen, erkannt zu werden.“

Barbara Brecht-Hadraschek (C) beim CSD in Eberswalde.

Barbara Brecht-Hadraschek (C) beim CSD in Eberswalde.Emmanuele Contini/Berliner Zeitung

Sie findet, gerade in ländlichen Räumen ist es besonders wichtig, sichtbar zu sein. „Auch wenn wir hier noch im Speckgürtel von Berlin sind. Und trotzdem laufen hier die Nazis von der AfD rum. Hier ist es nicht möglich, selbstverständlich zu leben.“

In räumlicher Nähe zur Parade veranstaltet die AfD ab 15 Uhr ein Sommerfest. Um mögliche Konflikte zu vermeiden, hält die Polizei beide Veranstaltungen voneinander getrennt und zeigt starke Präsenz im Innenstadtbereich. Bereits im Vorfeld hatte die AfD gefordert, Regenbogenflaggen an öffentlichen Gebäuden zu verbieten – ein Antrag, der in Eberswalde für Protest gesorgt hatte.

Die 55-Jährige fühlt sich trotzdem sicher. „Die Polizei ist gut aufgestellt. Es gibt ein gutes Sicherheitskonzept, in das viel Arbeit geflossen ist.“ Dennoch stellt sie klar: „Das hat hier nichts mit Party zu tun.“

Auch Klaus Lederer (parteilos) ist Teilnehmer der Eberswalder Pride. Er versuche, jedes Jahr eine oder mehrere Pride-Veranstaltungen außerhalb Berlins zu besuchen. „Es ist wichtig, dass viele Leute hier sind. Die Luft wird dünner. Außerdem ist es mit mehr Teilnehmern auch sicherer. Toll, dass so viele gekommen sind.“ Er selbst fühle sich, trotz der Attacke in Bad Freienwalde „so sicher wie man sich als queere Person sicher fühlen kann.“

Eric Fattler ist in Eberswalde aufgewachsen. Er fühlt sich sehr sicher, wie er sagt. „Es gibt erstaunlich viel Polizei, das gibt mir ein gutes Gefühl.“ Das wäre früher hier nicht denkbar gewesen, sagt er. „Ich kenne die Situationen, die einem in dieser Stadt passieren können. Aber ich kann rennen. In diesen Schuhen ganz besonders“, sagt Fattler mit Blick auf seine High-Heels.

Eric Fattler ist queer und in Eberswalde aufgewachsen. In seiner Jugend ist er Opfer von rechter und homophober Gewalt geworden.

Eric Fattler ist queer und in Eberswalde aufgewachsen. In seiner Jugend ist er Opfer von rechter und homophober Gewalt geworden.Emmanuele Contini/Berliner Zeitung

Besonders freue er sich, dass so viele Teilnehmer zum CSD nach Eberswalde gekommen sind. „Es ist wichtig zu zeigen, dass queere Menschen überall leben. Man muss den rassistischen und homophoben Bewegungen etwas entgegensetzen. Es geht hier heute um Freiheit, um ein Recht auf Identität und Liebe.“ Besonders in kleineren Städten wie Eberswalde sei es wichtig, sich zu zeigen. „Auch um anderen Mut zu machen“, so Fattler.

„Auch Marzahn ist queer“ – trotz Gegendemo von rechtsaußen

Zur gleichen Zeit in Berlin-Marzahn: Die Allee der Kosmonauten wird zur Parade-Strecke. Seifenblasen schweben durch die Luft, es riecht nach Sonnencreme und Asphalt. Hunderte tanzen durch den Ost-Berliner Stadtteil, viele mit Glitzer im Gesicht, Plakaten in der Hand – „Auch Marzahn ist queer“, steht auf einem.

Für Benni und Toni, die in der Tram zur Parade unterwegs sind, ist es ein gemischtes Gefühl. „Ich verstehe nicht, warum die Route direkt an der Gegendemo vorbeiführt“, sagt Benni, an dessen Jacke ein kleiner Regenbogen-Sticker klebt. „Das macht mir Angst.“ Toni antwortet ruhig: „Aber gerade in Marzahn ist es wichtig, dass wir da sind. Wir können uns aussuchen, ob wir heute herkommen. Für queere Menschen hier ist das nicht so einfach. Es ist wichtig, dass sie sich heute nicht allein fühlen“

Auf der Pride Parade in Marzahn hält eine Teilnehmerin ein Schild mit der Aufschrift „Auch Marzahn ist queer“ in die Höhe

Auf der Pride Parade in Marzahn hält eine Teilnehmerin ein Schild mit der Aufschrift „Auch Marzahn ist queer“ in die Höhe

Ein paar Straßen weiter, ist die rechtsextreme Jugendorganisation „Deutsche Jugend Voran“ anzutreffen. Die Organisation versteht sich selbst als Teil der sogenannten Neuen Rechten und tritt öffentlich gegen queere Rechte auf. In den vergangenen Monaten ist sie durch gezielte Onlinekampagnen und Proteste gegen queere Veranstaltungen aufgefallen.

Anwohnerin Charlotte Candithh winkt den CSD-Teilnehmenden: „Weiter so, lasst euch nicht einschüchtern.“

Anwohnerin Charlotte Candithh winkt den CSD-Teilnehmenden: „Weiter so, lasst euch nicht einschüchtern.“Emmanuele Contini/Berliner Zeitung

An einer Kreuzung dann das Beinahe-Aufeinandertreffen: Rund 50 Personen aus dem Umfeld der rechtsextremen Jugendgruppe skandieren Parolen. Die Polizei greift ein, verteilt Platzverweise – und löst die Versammlung auf. Die Teilnehmer der Pride-Parade rufen laut: „Alerta, Alerta, Antifascista“. Bis auf die Zwischenrufe bleibt es unauffällig. Zu Gewalt zwischen den beiden Lagern oder mit der Polizei kommt es nicht.

Für viele Teilnehmende der Pride-Parade war die Auflösung der Gegenveranstaltung eine spürbare Erleichterung. „Ich hatte wirklich ein mulmiges Gefühl, als wir uns genähert haben“, sagt Andrea M., 40, die mit ihrer Tochter aus Lichtenberg gekommen ist. „Dass die Polizei konsequent eingegriffen hat, gibt mir ein Stück Sicherheit zurück. Es tut gut zu sehen, dass queerfeindliche Stimmung nicht einfach hingenommen wird.“

„Ganz Eberswalde hasst die AfD“

Das kleine Städtchen Eberswalde nimmt die Pride-Veranstaltung bis zum Nachmittag weitestgehend positiv auf. Einzelne Anwohner halten Pride-Flaggen aus dem Fenster, andere winken den Teilnehmenden zu. Eine von ihnen ist Charlotte  Candithh. Die 76-Jährige wohnt seit 15 Jahren in Eberswalde. „Ich grüße euch, ruft sie den Demonstranten entgegen. „Weiter so, lasst euch nicht einschüchtern.“ Sie freut sich sichtlich sehr über das Event.

CSD-Teilnehmer blockieren die Sicht vom AfD-Sommerfest auf den Umzug mit Regenschirmen. Die Polizei trennte die beiden Lager konsequent.

CSD-Teilnehmer blockieren die Sicht vom AfD-Sommerfest auf den Umzug mit Regenschirmen. Die Polizei trennte die beiden Lager konsequent.Emmanuele Contini/Berliner Zeitung

„Es berührt mich, dass so viele mitlaufen. Je kleiner die Stadt, desto schwieriger ist es. Hier kennt man sich schließlich. Toll, dass auch die Stadt so offen ist, auch wenn es auf Kreisebene zögerliche Reaktionen gab. Aber wir müssen alles tun, damit diese Weltoffenheit bleibt.“ Den Stand der AfD auf dem Marktplatz empfindet sie als Provokation. „Zum Glück ist da kaum jemand“.

Das Sommerfest der AfD fand zeitgleich in Eberswalde statt. Der Andrang war jedoch hier deutlich geringer als auf dem CSD.

Das Sommerfest der AfD fand zeitgleich in Eberswalde statt. Der Andrang war jedoch hier deutlich geringer als auf dem CSD.Emmanuele Contini/Berliner Zeitung

Tatsächlich ist auf dem Sommerfest der AfD wenig los als der CSD-Zug daran vorbei läuft. Die Teilnehmer schirmen die Demo mit bunten Regenschirmen ab, Konfettikanonen knallen, die Menge brüllt „Ganz Eberswalde hasst die AfD.“ Ein paar der Sommerfest-Besucher filmen den Zug, einige machen abwertende Gesten, abgesehen davon bleibt der Beinahe-Kontakt der beiden Lager unspektakulär.

Die Brandenburger Polizei bewertet den zweiten Eberswalder CSD durchgehend positiv. „Es war laut, bunt und friedlich“, sagt Polizeisprecher Möhwald. „Selbst an Stellen mit Konfliktpotenzial ist nichts passiert.“

Für Jubel gegen Ende des Pride-Umzuges sorgte ein spontaner Redebeitrag von Eberswaldes Bürgermeister Götz Herrmann (SPD). „Ich bin stolz auf meine Heimatstadt, dass so viele gekommen sind, so bunt. Ich bin froh, dass Eberswalde so ein Gesicht hat“, so Herrmann. „Danke, dass ihr diese Stadt so schön macht.“

Auch in Marzahn nimmt die Pride einen friedlichen Abschluss bei Sonnenschein, Live-Musik und kalten Getränken auf dem Victor-Klemperer-Platz. Teilnehmerin Annika nickt zu den Beats und schleckt an einem Erdbeereis: „Es war durchgehend eine richtig schöne Stimmung. Niemand ist auf Provokationen eingegangen. Es war friedlich und harmonisch. Wir konnten zeigen, wofür wir stehen, nicht wogegen. Konnten vielleicht auch Anwohner aufklären, was der CSD ist, warum wir für etwas kämpfen, von dem die ganze Gesellschaft profitiert.“