Es ist einer dieser Sommertage in Berlin, an denen der Wind stärker weht, als die Sonne scheint. Auf der Terrasse des italienischen Pasta-Restaurants Ripieno am Lokdepot 1 in Berlin-Kreuzberg (an der Grenze zu Schöneberg) sitzt nur ein einziger Gast. Betreiber Vincenzo Nania bittet ihn freundlich hinein – drinnen sind noch Tische frei.
Doch der Gast vertraut dem Wetter und möchte die Sonnenstrahlen genießen. Der Wind vertreibt die letzten Wolken. Auch Nania lässt sich nicht stören, setzt sich ebenfalls nach draußen – und beginnt, seine Aufstiegsgeschichte als italienischer Gastronom in Berlin zu erzählen.
Der gebürtige Römer eröffnete das Restaurant Ripieno vor über fünf Jahren gemeinsam mit seiner Partnerin Federica Sechi, damals noch in der nahegelegenen Monumentenstraße 21. „Uns wurde der kleine Laden angeboten – und wir konnten einfach nicht nein sagen“, erzählt er. Doch was danach kam, war alles andere als vorhersehbar.
Ripieno: Von Ibiza nach Berlin
Bevor Nania nach Berlin kam, hat er unterschiedliche Erfahrungen in ganz Europa gemacht. Nach ersten gastronomischen Stationen in Rom zog es Nania nach Ibiza (dort betreibt das Paar bis heute ein Restaurant). Rund elf Jahre blieb er in Spanien, bevor ihn seine kulinarische Neugier weiter nach Berlin führte. Warum gerade Berlin? In Italien sei es wirtschaftlich kaum noch möglich, selbstständig zu arbeiten – zu hohe Steuern, zu geringe Einkommen.
„In Berlin geben die Gäste auch ordentlich Trinkgeld“, sagt der 48-Jährige und lächelt. In Italien sei das eher die Ausnahme. Und dann ist da noch seine Liebe zur Berliner Clubszene: „Welche Stadt wäre da besser?“. Heute allerdings geht er selten feiern – die Arbeit im Ripieno lässt kaum Raum dafür. „Zum Glück“, fügt er hinzu, denn der Start in Berlin war alles andere als einfach.
Bevor er weiter ausholt, bestellt der Wirt ein paar Spezialitäten – die Klassiker des Hauses sollen beim Diskutieren nicht fehlen. Kellnerin Simona D’Ovidio bringt ein Glas Primitivo, es folgen Pasta alla Gricia – eine Carbonara-Variante ohne Ei – und Tagliatelle mit Ochsenschwanz-Ragù. Der Duft allein versetzt einen direkt nach Italien. Es sind unglaublich leckere und preiswerte Gerichte, die den rasanten Erfolg des Restaurants erklären.
Tagliatelle mit Ochsenschwanz-Ragù und ein Glas Primitivo: So schmeckt das Paradies.Anne Schönharting/Ostkreuz
Zwischen Gleisen und Geschichte liegt das Ripieno, an einem Ort, der wie gemacht zu sein scheint für moderne Berliner Gastronomie. Das Lokdepot-Gelände zwischen Kreuzberg und Schöneberg – einst Heimat von Dampfloks und Werkstätten – hat sich in den vergangenen Jahren zu einem ruhigen, fast verwunschenen Areal mit Ateliers, Büros und Restaurants gewandelt. Wer hierher kommt, kennt meist den Weg – ein versteckter, urbaner Rückzugsort.
„Corona war eine besonders harte Zeit“, erzählt Nania rückblickend. Kurz nach der Eröffnung in der Monumentenstraße kamen Lockdowns, Abstandsregeln, Ausgangssperren. „Wir hatten Angst, dass wir das nicht überstehen.“ Doch das Team passte sich schnell an.
Die Mittagsschicht ist vorbei, im Lokal wird es ruhiger. Federica Sechi schaut aus der Küche und setzt sich dazu. Auch sie stammt aus Rom, dort haben sich die beiden vor rund 14 Jahren kennengelernt. „Während Corona haben wir alle Kühlschränke nach vorn geholt und To-go-Gerichte vorbereitet“, erinnert sie sich. Pasta, belegte Brötchen, Desserts. Nania bringt ein hausgemachtes Tiramisù: die Creme von ihr, die Schichten von ihm.
Der Magen ist voll – doch mit aufgeknöpfter Hose ist noch Platz für den unheimlich leckeren Nachtisch. „Wir dachten, nach Corona hätten wir das Schlimmste hinter uns“, sagt Sechi. Aber dann kam ein unerwarteter Gegner – direkt aus dem Obergeschoss. Seit dem Umzug vor knapp zwei Jahren freuten sich beide besonders auf die neue Terrasse – im alten Laden hatten sie nur ein paar provisorisch drapierte Tische vor dem Laden stehen. Im Lokdepot sollte alles anders werden. Doch schon am Eröffnungsabend kam ein Nachbar um Punkt 20 Uhr wütend herunter. „Er sagte, wir sollen sofort die Musik ausmachen“, erinnert sich Nania.
Es folgte ein zäher Nachbarschaftsstreit, der mittlerweile mit Anwälten ausgefochten wird. Musik ist verboten, um 22 Uhr muss alles geschlossen sein: Gäste raus, Küche sauber, Personal fertig. „Das heißt, ich muss die Leute spätestens um 21 Uhr verabschieden“, sagt Nania. Fürs Geschäft ist das bitter – er schätzt, dass er deshalb rund 20 Prozent Umsatzverlust erleiden muss.
Das Telefon klingelt. Eine Frau möchte für 20.30 Uhr reservieren. „Geht leider nicht – ich kann 19.30 Uhr anbieten“, sagt Nania und verdreht die Augen. Er will, dass seine Gäste in Ruhe essen, Wein trinken, den Abend genießen können – ganz wie in Italien. Seit dem Streit mit dem Nachbarn habe es zudem mehrere Kontrollen gegeben – Hygiene- und Steuer-Inspektionen. „Alle bestanden“, sagt Nania mit Stolz. Er vermutet, dass der Nachbar dahintersteckt.
Rot wie die Amatriciana: Das Ripieno am Lokdepot 1.Anne Schönharting/Ostkreuz
„Die Musik war nie laut, und wir auch nicht. Klar, manchmal ruft man etwas lauter, wenn man etwas braucht – wir sind halt Italiener“, sagt er lachend und ruft demonstrativ in die Küche: „Kommt noch die Pinsa?“ Der Ruf hallt mit römischem Akzent über die Terrasse. Die Pinsa kommt nicht – zum Glück. Die Knöpfe der Hose halten gerade noch.
Dafür bringt D’Ovidio einen Espresso nach draußen: „Caffè Borbone, richtig italienisch“, sagt sie. So fühlt es sich auch an – wie ein kleines Stück Rom mitten in Berlin-Kreuzberg. Doch lange bleibt Ripieno nicht mehr Am Lokdepot. Bald soll das Restaurant zurück in die alte Heimat ziehen: in die Monumentenstraße 21, keine zwei Minuten entfernt vom aktuellen Standort.
Zurück nach Italien? Nur noch im Urlaub
„Wir müssen nicht gehen – wir wollen gehen“, betont Nania. Er steht nun mit verschränkten Armen im alten Lokal, nur ein paar Gehminuten vom Lokdepot entfernt. Überall stehen Kartons, an den Wänden leere Kühlschränke. Aus einem Stapel zieht er ein schwarzes T-Shirt: Auf dem Rücken steht „Ripieno, Ibiza – Berlin“. Vorne prangt das Konterfei von Francesco Totti, vom ehemaligen Kapitän von AS Rom, in der Darstellung eines Heiligen. „San Francesco Totti“, sagt Nania. Die Fußballmannschaft der Hauptstadt sei vielleicht das Einzige, was er mehr liebe als Pasta und Gastronomie.
Demnächst eröffnet er ein weiteres Lokal – direkt am Görlitzer Park. Dort soll es abends lebendiger werden: Cocktails, feines Essen, ein Raum mit Schallplatten. Als er davon spricht, beginnen seine Augen zu glänzen. Ob er je nach Italien zurückkehren will? „Nie wieder – nur zum Urlaub.“ Nur ein streitsüchtiger Nachbar brachte ihn zum Gehen. Aber nicht weit – nur bis zur nächsten Ecke.
Restaurant Ripieno. Am Lokdepot 1, 10965 Berlin. Öffnungszeiten: Täglich außer Mittwoch 12–21.30 Uhr. Reservierungen telefonisch oder per WhatsApp +49 17661994613. E-Mail: creminoberlin@gmail.com
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