Am Landgericht Hannover läuft einer der spannendsten Prozesse des Jahres. Staatsanwalt Yashar G. wird vorgeworfen, seine eigenen Ermittlungsergebnisse an eine Drogenbande verkauft zu haben. Doch er beteuert seine Unschuld.

An manchen Tagen erinnert ein Strafprozess, in dem es eigentlich um die Feststellung von Schuld und Sühne geht, an ein Verwandtschaftstreffen. Am vergangenen Dienstag etwa kam die ganze Familie des Angeklagten im Saal 1335 des Landgerichts Hannover zusammen; sie sollten als Zeugen aussagen. Seine Frau, eine Rechtsanwältin, tauchte auf, aus dem Hintergrund drang das Schreien des gemeinsamen Sohnes in den Raum. Danach erschien sein Schwager. Und im Saal saßen wie an jedem Tag einige Besucher, die Yashar G. zuzwinkerten.

Es wäre sicher interessant gewesen, wenn die beiden Familienmitglieder erzählt hätten, was für ein Mensch der Angeklagte ist und ob sie wussten, was ihm die Staatsanwaltschaft Hannover vorwirft: Den Verrat von Ermittlungsergebnissen an die Drogenbande, gegen die er selbst vorging – und das für 65.000 Euro.

Doch die Angehörigen von Yashar G. zogen es vor, zu schweigen. Sowohl seine Frau als auch der Schwager machten von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch, das die Strafprozessordnung Verwandten einräumt.

Seit April verhandelt die 20. Große Strafkammer des Landgerichts über die Vorwürfe der 332-seitigen Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Osnabrück. Oberstaatsanwalt Nils Leimbrock wirft seinem Kollegen G., der zurzeit beurlaubt ist, Bestechlichkeit und den Verrat von Dienstgeheimnissen vor. Dass ein Strafverfolger gemeinsame Sache mit Kokain-Dealern macht, galt in Deutschland lange Zeit als unvorstellbar.

Dass ausgerechnet der in der Behörde beliebte, geachtete und viel gelobte Yashar G. die Seiten gewechselt haben und zum Verräter geworden sein soll, konnten sich seine Kollegen und Vorgesetzten über Jahre nicht vorstellen. Yashar G. bestreitet denn auch sämtliche Vorwürfe, er sei nach wie vor „mit Leib und Seele Staatsanwalt“.

Fall hat eine lange Vorgeschichte

Der Zeitpunkt, an dem der Staatsanwalt Yashar G. vom Strafverfolger zum Straftäter geworden sein soll, lässt sich genau bestimmen. Es soll der 19. Juni 2020 gewesen sein, als sich der damals 34-jährige Ermittler aus Hannover in der Kampfsportschule „King’s Gym“ mit Hasan B. traf, um ihm Details aus dem Ermittlungsverfahren mit dem Aktenzeichen 6031 Js 22979/21 zu verraten.

Zu den Beschuldigten in dem Fall gehörte sein Gesprächspartner, einst führendes Mitglied der hannoverschen Drogenbande, die zu den größten Kokain-Dealern im Land gehörte. Die Gruppe um Hasan B. und ihren mutmaßlichen Chef Konstantinos S. soll über den Hamburger Hafen insgesamt 23 Tonnen des weißen Pulvers aus Südamerika importiert haben. Der Straßenverkaufswert: etwa 1,7 Milliarden Euro.

Yashar G. soll seinem Gegenüber alles erzählt haben. Er teilte mit, dass Konstantinos S. überwacht werde, auch mit dem Einsatz technischer Mittel. Er offenbarte, dass die Polizei Hasan B. und Konstantinos S. in Verbindung gebracht habe und dass sie gegen Stephan H. ermitteln würde, der in der Gruppe ebenfalls eine Rolle spielte.

Konstantinos S. konnte mit diesen Informationen seine Organisation umbauen und anpassen. Und der Koks-Händler zeigte sich dankbar: Er ließ dem Staatsanwalt 5000 Euro zukommen, auf welchem Wege, ist noch unklar. Es war der Anfang einer langjährigen „Geschäftsbeziehung“ zwischen einem mutmaßlich korrupten Staatsanwalt und einer Drogenbande, die dem Ermittler innerhalb von einem Jahr bei 14 Begegnungen insgesamt 65.000 Euro gezahlt haben soll.

Dabei wirkte Hasan B. als Nachrichtenmittler, der Fragen von Konstantinos S. erhielt und an Yashar G. weitergab. Manchmal wirkte auch der Besitzer der Kampfsportschule, mit dem Yashar G. befreundet war, als Mittelsmann.

Die Staatsanwaltschaft Osnabrück hat für die Anklage Tausende Chats ausgewertet, Festplatten durchsucht und Handys analysiert. Staatsanwalt Leimbrock zeichnet die einzelnen Zahlungen, die Kommunikation dazu und deren Hintergründe nach und entwirft mit den Beschreibungen von Yashar G. auch ein Porträt des Beschuldigten.

Der Deutsch-Iraner galt auf der einen Seite als hilfsbereiter Muster-Beamter, der sehr engagiert ermittelte und im Haus beliebt war. Doch es gab auch eine andere Seite. Vor Gericht sagte am Dienstag ein weiterer Staatsanwalt als Zeuge aus, der Kontakt zum Anwalt Raban Funk hatte. Dieser wiederum vertrat im Verfahren, in dem Yashar G. Ermittlungsergebnisse verkauft haben soll, einen Mit-Täter namens Jonas H. Der Mandant gab seinem Verteidiger Raban schon vor dem Prozess den Hinweis, dass die Köpfe der Bande fliehen konnten, weil es einen Maulwurf gegeben habe: Yashar G.

Mit dieser Information allein konnte Funk allerdings wenig anfangen, denn in fast allen Drogen-Verfahren behaupten Beschuldigte, dass sie Informanten bei der Polizei oder der Staatsanwaltschaft hatten – und das trifft fast nie zu. Es geht den Dealern in den Augen der Behörden darum, Sand ins Getriebe zu streuen, erfahrene Ermittler aus den Verfahren zu drängen und den Gang der Dinge zu verzögern. Derartigen Vorwürfen begegnen die Ermittler mit Misstrauen. Aufgrund der Größe der abgeschirmten Ermittlungen und der strikten Geheimhaltung scheint sich ein starkes „Wir“-Gefühl aufzubauen, das sich nicht leicht aufweichen lässt.

Die Staatsanwaltschaft Hannover kämpfte damals mit gleich zwei Sonderkommissionen gegen die Bande um Konstantinos S. Die Ermittler hatten die Nummer eins vor Augen. Und die verfolgte Yashar G., mit Anträgen auf Durchsuchungen, Telefonüberwachungen, Observationen und schließlich auf Untersuchungshaft.

Der erste Hinweis kam von einem Beschuldigten

Raban Funk wandte sich 2022 an den ihm bekannten Staatsanwalt Frank L., der ins niedersächsische Justizministerium abgeordnet war. Er fragte ihn, was er mit den Angaben seines Mandanten machen solle – gab aber auch selbst schon Hinweise, dass Yashar G. „gerne in Hannoveraner Bars“ unterwegs sei und „viel trinken“ würde. Der Anwalt will das als Zeuge an diesem Tag vor Gericht nicht bestätigen. Er beruft sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht, das ihm als Berufsgeheimnisträger zusteht. Dafür berichtet Frank L. im Saal ausführlich, was Funk ihm damals erzählt hatte.

Doch der Besuch einer Bar dürfte für sich genommen noch kein Problem darstellen. Interessanter verlief der Weg von Yashar G. in die niedersächsische Ermittlungsbehörde. Geboren wurde er 1985 in der iranischen Stadt Tabriz. Sein Abitur legte er an einem hannoverschen Gymnasium ab (Note 3,3), studierte anschließend Rechtswissenschaften und bestand beide juristischen Staatsprüfungen mit einem „voll befriedigend“. Mit diesen guten Zensuren hatte er nicht nur die Voraussetzungen für eine Karriere im Staatsdienst erfüllt, sondern hätte sich auch für eine Laufbahn in einer renommierten Kanzlei entscheiden können.

Doch Yashar G. wollte Staatsanwalt werden. Ein erster Versuch aber scheiterte: Seine Bewerbung beim niedersächsischen Justizdienst wurde Ende 2013 oder Anfang 2014 zurückgewiesen, man lud ihn nicht einmal zum Einstellungsgespräch ein. In der Anklage steht dazu nichts; der Staatsanwalt trägt nur vor, dass im Bundeszentralregister keine Eintragungen vorhanden seien.

Nach WELT AM SONNTAG-Informationen soll der Hintergrund für die Ablehnung ein Ermittlungsverfahren gegen Yashar G. gewesen sein, dass einige Jahre zuvor gegen eine Geldauflage eingestellt worden war. Danach sei der Mann in eine Schlägerei in der Türsteherszene im Steintorviertel der niedersächsischen Landeshauptstadt verwickelt gewesen, dem einschlägigen Rotlichtviertel, das lange unter der Regie der Rockergruppe „Hell’s Angels“ stand.

Als es in Niedersachsen nicht klappte, probierte es Yashar G. in Berlin – und wurde eingestellt. Am 24. März 2014 fing er als Staatsanwalt an. Am 1. Mai 2019 wiederum ließ er sich nach Hannover abordnen und trat seinen Dienst als Dezernent bei der dortigen Staatsanwaltschaft an. Ob die Berliner von der Einstellungsverfügung wussten – oder wissen konnten –, ob Yashar G. dies offengelegt hatte und warum er trotz dieses Makels am Ende doch nach Hannover gelangen konnte, ist unklar.

Zunächst schien er in Bedrängnis zu kommen. Am 13. Juni 2022 legte ein Kollege eine Ermittlungsakte gegen den beschuldigten Kollegen an (Aktenzeichen 4252 Js 129750/23). Am 22. November 2022 durchsuchten Ermittler schließlich die Privatwohnung von Yashar G. in Langenhagen. Mit dabei: Katrin Ballnus, damals Behördenleiterin und Chefin des Verdächtigen. Heute ist sie Generalstaatsanwältin in Celle. Die Fahnder nahmen zwar Handys und Festplatten mit, kamen in der Sache aber nicht voran: Sie stellten beide Verfahren im Dezember 2023 wieder ein; der Verdacht hatte sich nicht erhärten lassen.

Ein LKA-Beamter kam ihm auf die Schliche

Dabei fanden sie auf 17 USB-Sticks Akten oder Aktenbestandteile sowie auf dem Handy einzelne Passagen aus Akten, die Yashar G. fotografiert hatte – aus Sicht der Staatsanwalt ein absolut unübliches Vorgehen. Doch die Ermittler kamen zu dem Schluss, dass Yashar G. daraus kein strafrechtlicher Vorwurf zu machen sei. Sie stellten das Verfahren ein. Es konnte nicht sein, was nicht sein durfte.

Im Landeskriminalamt aber gab es einen Beamten, der sich mit dem Ermittlungsergebnis nicht zufriedengeben wollte. In den Chats der Gangster tauchte immer wieder der Name „Cop“ auf. Könnte es nicht sein, dass die Dealer den Staatsanwalt meinten? Kommissar Achim Trinkhaus (Name geändert) wühlte sich Tag für Tag durch die Chatdaten der Männer, die gigabyteweise vorlagen und flöhte eine Sky ECC-Unterhaltung nach der anderen auf der Suche nach Indizien, die dafür sprachen, dass Yashar G. der „Cop“ sei. Das ergibt sich aus der Anklageschrift.

Schließlich listete er insgesamt neun Hinweise für die These auf. Der erste: In den Chats sei die Rede von einem „iranischen Staatsanwalt“ gewesen, der in Hannover sitzen würde. Warum Trinkhaus’ Kollegen allein diesen Satz nicht schon Monate zuvor als zwingendes Indiz werteten, ist unklar. Denn Yashar G. war der einzige Ermittler mit iranischem Hintergrund bei der Staatsanwaltschaft.

Am 19. Juni 2024 nahm die Behörde das Ermittlungsverfahren gegen ihn wieder auf und verhaftete den Mann schließlich am 29. Oktober 2024. Seitdem sitzt er in Untersuchungshaft und schwieg bis zum Prozessbeginn. Erst vor Gericht ließ er sich im Mai umfassend zu den Vorwürfen ein. Darin nannte er die Namen mehrerer LKA-Beamter, die angeblich verdächtig seien, und beteuerte erneut seine Unschuld.

Was die beiden schweigenden Angehörigen angeht, ist es kein Geheimnis, wonach die Richterin Jana Bader wohl gefragt hätte. Seine Frau hätte dem Ergebnis der Finanzermittlungen zufolge 1600 Euro auf das gemeinsame Konto eingezahlt; das Geld könnte aus einer verdeckten Zahlung stammen.

Und der Schwager? Er soll Yashar G. gebeten haben, im Polizeicomputer nachzusehen, ob etwas gegen bestimmte Personen vorliege. Das geht aus der Anklage hervor. Am 23. November 2022 antwortete der „Staatsanwalt mit Leib und Seele“ auf eine entsprechende Anfrage, dass er heute nicht nachsehen könnte, da ein Fehler im System sei. Aber er „checke das die Tage, auf jeden Fall“.

Yashar G. trägt am Dienstag ein weißes Hemd und eine Jeans. Justizwachtmeister nehmen dem Beamten-Kollegen die Handschellen ab, bevor er sich hinsetzt. Er wirkt kontrolliert, schreibt mit, blickt den Verfahrensbeteiligten in die Augen. Yashar G. weiß, dass er im Falle einer Verurteilung alles verlieren würde und jahrelang ins Gefängnis müsste. Einmal faltet er seine Hände drückt sie so stark aneinander, dass das Weiße am Knöchel zu sehen ist.