„Wir sind verschieden. Wir stehen zusammen“: Unter diesem Motto hat am Samstag die sechste „Marzahn Pride“-Parade im Osten der Hauptstadt stattgefunden. Mehr als 2000 Demonstrantinnen und Demonstranten haben sich auf der Allee der Kosmonauten versammelt und laufen seit 13 Uhr zum Victor-Klemperer-Platz. Den Abschluss macht ein Straßenfest.
Im Vorfeld der Parade mobilisierten Rechtsextreme gegen den Pridemarsch und kündigten eine Gegendemo mit 300 Teilnehmern an. Zunächst wollten sie ab 14 Uhr ebenfalls über die Allee der Kosmonauten zum Victor-Klemperer-Platz laufen und „Gegen Identitätsverwirrung und genderpropaganda“ [sic] demonstrieren.
Unter dem Motto „Wir sind verschieden. Wir stehen zusammen.“ ziehen die CSD-Teilnehmenden durch Marzahn.
© Dominik Lenze
Laut Versammlungsbehörde sollte die Gegendemo als „ortsfeste Kundgebung“ stattfinden. Nach Tagesspiegel-Information steckt die Neonazi-Gruppe „Deutsche Jugend voran“ (DJV) hinter der Gegendemo. Sie war bereits im vergangenen Jahr mit mehreren Störversuchen bei verschiedenen Christopher Street Days (CSD) aufgefallen. Anmelder ist laut Polizei allerdings eine Privatperson. Gegen 14 Uhr versammelte sich zunächst eine Neo-Nazi-Gruppe mit 38 Teilnehmenden in einem kleinen Park an der Raoul-Wallenberg-Straße Ecke Lea-Grundig-Straße.
Eine kleine Gruppe Neonazis der DJV und der Heimat versuchen auf einem nichtgenehmigten Platz eine Gegendemonstration abzuhalten.
© Christoph Papenhausen
Die Polizei informierte sie daraufhin, dass die Gegendemonstration ortsfest ist und wies sie an, den Platz wieder zu verlassen. Dabei trafen sie bei den Neonazis auf Unverständnis. Auch der rechtsextreme und kürzlich zu über drei Jahren Haft (unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung, Bedrohung und Nötigung) verurteilte Julian M. ist anwesend. Seine Strafe ist jedoch noch nicht rechtskräftig.
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An der rechtsextremen Gegendemonstration nehmen vor allem sehr junge Menschen teil. Sie zeigen auch das „White Power“-Zeichen.
© Christoph Papenhausen
Auffällig: Unter den rechtsextremen Gegendemonstranten befinden sich überwiegend sehr junge Menschen, die an der Absperrung auf den Pride-Umzug warteten. Neo-Nazi-Teenies zeigten unter anderem das „White Power“-Zeichen.
Um 15 Uhr ist der Neonazi-Demonstration doch ein kurzer Aufmarsch gestattet worden– allerdings fern ab der Pride-Demonstration. Dafür mussten die mittlerweile 45 Personen und das Polizeiteam über S-Bahnstation Marzahn zur Landsberger Allee/Rhinstraße fahren. Um 16 Uhr starteten der Aufmarsch auf dem Gehweg. Laut Polizei sei dies der Wunsch der Veranstalter gewesen und es habe keinen Grund gegeben, diesem nicht nachzukommen. Rund 30 Einsatzkräfte begleiten die Gruppe.
„Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen“ und „Frei, sozial und national“, riefen die rechtsextremen Teilnehmer. Wirklich laut wird die kleine Gruppe nicht. Zwei der Teilnehmer wurden bereits vor dem Start festgenommen, weil sie einen Passanten mit einer Regenbogenflagge angreifen wollten. Wegen der starken Hitze wurde der Marsch frühzeitig gegen 17 Uhr beendet.
Gegenprotest „spornt an“
„Gerade in der heutigen Situation müssen wir weiter für unsere Rechte kämpfen“, sagte Norbert Gisinger-Daubenberger (64) angesichts der Zunahme autoritärer Kräfte wie der AfD. Er nimmt bereits zum zweiten Mal an der Pride in Marzahn teil. Der Gegenprotest bereite ihm keine Sorgen. „Das spornt mich eher an“, erklärte er.
Norbert Gisinger-Daubenberger (64, links) ist zum zweiten Mal auf dem CSD in Marzahn dabei.
© Christoph Papenhausen
Bereits vorab veröffentlichen die Organisatoren von Quarteera, einem Verein russischsprachiger LGBTQ*, ein Manifest. Darin heißt es: „Wir haben einen langen Weg hinter uns. Und das Wichtigste auf diesem Weg ist nicht nur der Kampf um Sichtbarkeit, sondern auch die Möglichkeit, mit anderen zusammen zu sein, zu hören und gehört zu werden.“
In den vergangenen sechs Jahren sei die Marzahn Pride zu einer Veranstaltung geworden, die unterschiedlichste Menschen vereine. „Wir sind stolz darauf, diesen Raum gemeinsam zu gestalten“. Gleichzeitig warnen die Veranstalter vor einer „zunehmenden Radikalisierung der Gesellschaft“. Sie werde immer deutlicher. Das zeige sich auch daran, dass Angst und Hass zu einem politischen Instrument geworden seien.
Gemeinsam mit Quarteera demonstrieren die Antifa, Mitglieder der Linkspartei, der Grünen und der Omas gegen Rechts. Auch Berlins Queerbeauftragter Alfonso Pantisano (SPD) war vor Ort.
CSD in Eberswalde besonders geschützt
Unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen feierten an diesem Samstag queere Menschen den Christopher Street Day auch in Eberswalde im Nordosten Brandenburgs. Rund eine Woche nach dem gewaltsamen Angriff auf ein Fest für Vielfalt in Bad Freienwalde ist die Polizei verstärkt im Einsatz, um Störungen zu verhindern.
Über 1000 Menschen haben sich in Eberswalde versammelt.
© Christoph Papenhausen
Der normalerweise graue Bahnhofsvorplatz in Eberswalde war knallbunt: Über 1000 Menschen füllten den Platz zur Mittagszeit, sie trugen Regenschirme in Regenbogenfarben gegen die Sommersonne, verschiedene Pride-Flaggen und Transparente. Es ist der zweite CSD in der brandenburgischen Mittelstadt gewesen. Im vergangenen Jahr wurde die feierliche Demo das erste Mal von aktiven Queers aus Eberswalde ausgerichtet und blieb von rechten Übergriffen verschont.
Maximilian Armonies organisierte den diesjährigen CSD. Wegen des AfD-Sommer-Fests, das ebenfalls in Eberswalde stattfand, seinen viele Besucher:innen in Sorge gewesen, sagte er. „Dort kommen Menschen hin, die gegen queere Menschen sind. Sie wollen uns ausgrenzen und unsichtbar machen. Sie wollen uns Angst machen“, sagte eine Person auf der Bühne. Der CSD sei ein Zeichen dagegen.
Die Gedanken an rechtsextreme Übergriffe auf CSDs beschäftigt viele Teilnehmende – und ist für viele auch ein Grund, genau hier, im brandenburgischen Hinterland auf die Straße zu gehen. Nicht wenige Eberswalder:innen begrüßten die queere Parade mit Pride-Flaggen an ihren Fenstern oder an Geschäften. Die Teilnehmenden grüßten zurück, mit fröhlichem Trillern und Jubeln.
Polizei nicht nur zum Schutz vor Ort
Die Polizei schützte den CSD mit einem beachtlichen Personalaufgebot. Allein am Bahnhofsvorplatz waren rund 20 Einsatzwagen, der Umzug durch die Stadt wurde von Beamt:innen eng begleitet. „Wenn sich die Stadtverwaltungen nicht eindeutig positionieren und es keine gute Kooperation mit Polizei gibt, dann sind wir gefährdet“, sagte eine Teilnehmerin. Dies laufe in Eberswalde gut, besser als in Bad Freienwalde, sagte sie. Dort hatte der CDU-Bürgermeister eine Gewaltattacke
als „Störaktion“ heruntergespielt.
Marco Klingberg, Vorstand beim Verein LSBTI in Polizei und Justiz, ist es wichtig, Haltung zu zeigen.
© Christoph Papenhausen
Polizist:innen waren nicht nur zum Schutz des CSD vor Ort – sondern auch als Teilnehmende. Zum Beispiel Marco Klingberg, Vorstand beim Verein LSBTI in Polizei und Justiz. „Mir ist es wichtig zu zeigen, dass es auch in der Polizei queere Menschen gibt. Und dass Personen, die von Gewalt betroffen sind, sich immer vertrauensvoll an uns wenden können“, sagte der Polizist.
Das AfD-Sommerfest war, im Vergleich zum lauten und teilnehmerstarken CSD, um 15 Uhr nur sehr mager besucht. Ein Reichsbürger-Sänger singt Metallica, es gibt eine Hüpfburg. Erst als der CSD vorbeizog, wurde es wirklich laut: „Alerta, Alerta, Antifascista“ und „Alle zusammen gegen den Faschismus“, haben die Pride-Demonstrierenden gerufen, als sie den Marktplatz passierten. Hunderte bunte Regenschirme waren in Richtung der AfD-Veranstaltung aufgespannt, buntes Glitzer aus einer Konfettikanone schoss in die Luft und rieselte auf die queere Parade.
Immer mehr Übergriffe auf den CSD
Überschattet wird der CSD deutschlandweit zunehmend von Anfeindungen und Übergriffen, denen lesbische, schwule und queere Menschen nach Einschätzung ihres Interessenverbands ausgesetzt sind. Zudem rufen Gruppen junger Rechtsextremisten zu Gegenaktionen auf.
Mitte Mai war der CSD in Gelsenkirchen kurz vor dem geplanten Start wegen einer abstrakten Bedrohungslage abgesagt worden. Gegen den Regensburger CSD lag ein Drohschreiben vor. Im vergangenen Jahr waren rechte Gruppierungen in Bautzen und Leipzig gegen CSD-Demonstrationen vorgegangen.
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In Dallgow-Döberitz im Kreis Havelland brannte erst kürzlich eine Regenbogenfahne vor dem Rathaus. In Eberswalde gab es Forderungen aus den Reihen der AfD, solche Fahnen an öffentlichen Gebäuden zu verbieten. Die Veranstalter des zweiten CSD in der Stadt wollen sich nicht einschüchtern lassen. „Jetzt erst recht“, schrieben sie bei Instagram.
Die queere Community will gerade auch auf dem Land in Brandenburg Gesicht zeigen. CSDs sind im Juli noch in Falkensee, Wittenberge, Luckenwalde, Neuruppin, Bad Belzig und Bernau bei Berlin geplant. (mit dpa)