Piotr Serafin, Kommissar für Haushalt, Betrugsbekämpfung und öffentliche Verwaltung bei der Plenarsitzung zur Lobbyarbeit bei den EU-Institutionen im Januar 2025; Bild: Michel CHRISTEN Copyright: © European Union 2025 – Source : EP

Die EU richtet ein Kontrollgremium für NGO-Verträge ein. Konservative und Rechte feiern mehr Transparenz, Progressive warnen vor Demokratieabbau. Was steckt dahinter?

Schattenstruktur oder Angriff auf die Zivilgesellschaft? Die hitzige Debatte um mutmaßliche „Geheim-Verträge“ der EU-Kommission mit erklärten Nichtregierungsorganisationen (NGOs) brodelt weiter. Angestoßen wurde sie zuletzt durch entsprechende Berichte in der Zeitung Die Welt, die eine verdeckte Einflussnahme der Kommission auf die Gesetzgebung in den Mitgliedsländern unterstellten.

Was sich allerdings hinter der Debatte eigentlich verbirgt, ist ein politischer Lager-Kampf.

Und was auf EU-Ebene passiert, findet seine Entsprechung nicht nur im Vorgehen der US-Regierung unter Donald Trump gegen Organisationen wie USAID und das National Endowment for Democracy, sondern etwa auch in den umstrittenen 551 Fragen, die die Union – im Vorfeld ihrer Regierungsbeteiligung – in einer kleinen Anfrage an die damalige Ampel-Koalition richtete.

Was die betroffenen NGOs und der Großteil des progressiven Lagers als Kampagne von rechts verurteilen, scheint nun mit der Einberufung einer Arbeitsgruppe im EU-Haushaltsausschuss erste Erfolge zu zeitigen.

„Angriff auf die demokratische Mitte“ vs. „Recht auf Transparenz“

So haben die Fraktionsvorsitzenden des EU-Parlaments am vergangenen Donnerstag beschlossen, laut Spiegel eine feste Arbeitsgruppe im Haushaltsausschuss einzurichten, die die Finanzströme und Verträge zwischen der EU-Kommission und NGOs genauer untersuchen soll.

Rückenwind erhielt die Initiative durch eine Allianz konservativer und rechter Parteien, darunter die Europäische Volkspartei (EVP), der auch CDU und CSU angehören, sowie die Fraktionen der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR). Auch die Patrioten für Europa, zu denen unter anderem die ungarische Fidesz und der französische Rassemblement National zählen, haben sich beteiligt.

Heftige Reaktionen auf die Entscheidung ließen nicht lange auf sich warten. Besonders die Fraktionen der Linken (Confederal Group of the European United Left/Nordic Green Left) und die Grünen (The Greens/European Free Alliance) im EU-Parlament kritisierten die Maßnahme scharf.

„Playbook von Viktor Orbán und Donald Trump“

So bezeichnete die Grünen-Fraktionschefin Terry Reintke das Unterfangen als einen „Angriff auf die demokratische Mitte“, der mit den Stimmen von Rechtsextremen durchgesetzt wurde.

Reintke zog dabei den direkten Vergleich zum „Playbook von Viktor Orbán und Donald Trump“ und warnte vor einer Schwächung kritischer Stimmen in der EU. Auch der Linken-Fraktionsvorsitzende Martin Schirdewan zog entsprechende Vergleiche.

Die Sozialdemokraten äußerten sich nicht minder besorgt. Fraktionsvorsitzende Iratxe García Pérez verurteilte die Maßnahme als „ungerechtfertigten Angriff des rechten Flügels des Parlaments auf die NGOs“.

Mehr Transparenz

Die Befürworter der neuen Arbeitsgruppe verteidigten die Maßnahme hingegen als notwendigen Schritt zu mehr Transparenz. Tomáš Zdechovský, Sprecher der EVP-Fraktion für Haushaltskontrolle, erklärte, die Bürger hätten ein Recht zu erfahren, inwiefern Steuergelder für Organisationen verwendet würden, „die versuchen, Einfluss auf Entscheidungen der EU zu nehmen“.

Daniel Freund, Europa-Abgeordneter der Grünen, verteidigte die Finanzierung von NGOs durch die EU-Kommission dagegen als notwendig, um den Einfluss mächtiger Unternehmen auszugleichen:

„Transparenz muss für alle Empfänger von EU-Geldern gelten, auch für Unternehmen, nicht nur für NGOs, die der EVP und den Rechtsextremen politisch nicht passen“, erklärte Reintke.

Welt-Berichte: „Schatten-Klimalobby“ und „heimliche Allianz“

Die Debatte um die Finanzierung von NGOs hatte zuletzt durch Enthüllungen der Welt am Sonntag neue Brisanz erhalten. In einer Reihe von Artikeln berichtete die Zeitung über mutmaßlich geheime Vereinbarungen zwischen der EU-Kommission und Umweltorganisationen und bezeichnete diese als „Schatten-Klimalobby“.

So soll die EU-Kommission laut Welt in mehreren Fällen NGOs gezielt beauftragt haben, politische Ziele der Kommission zu fördern. Als Beispiel führt die Axel-Springer-Zeitung den Vertrag mit der Umweltorganisation „ClientEarth“ an, der im Dezember 2022 unterzeichnet wurde.

Dem Bericht zufolge erhielt die Organisation 350.000 Euro, um in Deutschland den Kohleausstieg voranzutreiben, wobei sie auch gezielte Protestaktionen („Klima-Camps“) ausführte.

Als weiteres Beispiel für „Schattenlobbyismus“ und eine „heimliche Allianz“ zwischen Kommission und NGOs führt die Welt die 700.000 Euro schwere Unterstützung des NGO-Netzwerks „Friends of the Earth“ an, um auf die „schädlichen Folgen für Menschenrechte und Umwelt“ Freihandelsabkommens Mercosur hinzuweisen und zu diesem Zweck gezielt EU-Abgeordnete sowie Vertreter der Kommission zu beeinflussen.

Die EU-Kommission hat die Vorwürfe indes zurückgewiesen. In einer öffentlichen Stellungnahme erklärte sie, dass es keine „geheimen Verträge“ mit NGOs gebe und bei der Vergabe von EU-Mitteln ein „hohes Maß an Transparenz“ gewährleistet sei.

Tatsächlich sind die Summen, die an NGOs fließen, öffentlich einsehbar, nicht jedoch die Arbeitsprogramme, die die genauen Tätigkeiten der Organisationen festlegen. Damit hatte auch die Welt ihren Vorwurf der mangelnden Transparenz begründet.

Auch die NGOs selbst verteidigen ihre Arbeit und weisen die Vorwürfe zurück. So erklärte die Health and Environment Alliance (HEAL), die unter anderem gegen Pestizide und giftige Chemikalien kämpft, dass die Finanzierung durch die EU in einer transparenten Ausschreibung und unabhängigen Evaluierung erfolge.

Friends of the Earth bezeichnete die Berichterstattung als Versuch, einen Skandal zu inszenieren, der die „demokratische zivilgesellschaftliche Arbeit“ untergrabe. „Wir unterstützen Transparenz und öffentliche Aufsicht und begrüßen eine Überprüfung“, erklärte die Organisation, forderte jedoch eine „faktenbasierte Debatte, keine Verschwörungserzählung“.

NGO-Finanzierung als „Reputationsrisiko“

Die Vorwürfe gegen die EU-Kommission, NGOs für politische Zwecke zu instrumentalisieren, sind nicht neu. Bereits Ende 2024 hatte sich eine Gruppe von Umwelt-NGOs gegen die Forderung der EU-Kommission gewehrt, Lobbying-Aktivitäten aus ihren Anträgen auf künftige Finanzmittel zu streichen.

Ihre Entscheidung hatte die Kommission damit begründet, dass bestimmte Aktivitäten der NGOs ein „Reputationsrisiko für die Union“ darstellen könnten.

Die Maßnahmen zielten insbesondere darauf ab, die Lobbyarbeit der Organisationen einzuschränken, die durch das LIFE-Programm der EU (Programme for the Environment and Climate Action) finanziert werden, ein Förderprogramm für Umwelt- und Naturschutzprojekte, das Brüssel laut Welt mit jährlich 15 Millionen Euro an Betriebskostenzuschüssen versorgt.

Als Reaktion auf den Kommissions-Vorstoß unterzeichneten 31 NGOs am 6. Dezember einen offenen Brief an die Kommission, in dem sie „das Engagement der Zivilgesellschaft“ als „rechtliche Anforderung gemäß den Verträgen und der Aarhus-Konvention“ bezeichneten, das internationale Abkommen der UN-Wirtschaftskommission für Europa (UNECE) zur Durchsetzung von „Umwelt-Demokratie“.

Die Einschränkungen werteten sie daher als Versuch, kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen. Im Brief hieß es:

Im Gegensatz zu ressourcenreichen Akteuren wie ausländischen Regierungen, multinationalen Unternehmen und Wirtschaftsverbänden verfügen zivilgesellschaftliche Gruppen und NGOs oft nicht über ausreichende Ressourcen, um an öffentlichen Dialogen auf europäischer Ebene teilzunehmen.

Aus dem Brief

Die Organisationen betonten außerdem, dass die Unterstützung für sie nur einen Bruchteil des EU-Haushalts ausmache – etwa 0,006 Prozent – und daher eine kosteneffiziente Möglichkeit sei, die Zivilgesellschaft zu stärken.

Monika Hohlmeier von der CSU erklärte Ende Januar 2025, es sei „verblüffend“, dass eine Generaldirektion der Kommission die Verschärfung von Gesetzesvorschlägen durch Aktivistennetzwerke unterstütze. Sie bezog sich dabei auf Informationen, die ihr durch einen Whistleblower zugespielt worden seien.

Auch damals hatten die Linken und Grünen im EU-Parlament den Konservativen vorgeworfen, eine Kampagne gegen die Zivilgesellschaft zu führen und die Notwendigkeit eines Gegengewichts zu Lobbyisten großer Unternehmen und Lobbyverbänden betont.

Erinnerungen an die „551 Fragen“ der Unionsfraktion

Die aktuelle Debatte erinnert stark an eine Kontroverse, die im Frühjahr 2025 in Deutschland Aufsehen erregte. Damals hatte die CDU/CSU-Bundestagsfraktion eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gestellt, die 551 Fragen zur Finanzierung und politischen Unabhängigkeit von Nichtregierungsorganisationen umfasste.

Die Anfrage zielte nach Bekunden der Unionsfraktion darauf ab, herauszufinden, welche Vereine und Organisationen – darunter unter anderen Greenpeace, die Deutsche Umwelthilfe, das Recherchenetzwerk Correctiv und „Omas gegen Rechts“ – durch öffentliche Gelder unterstützt werden und ob diese politisch neutral agierten.

Die Bundesregierung wies die Vorwürfe der CDU/CSU zurück. In ihrer Antwort erklärte sie, dass es „keine Anhaltspunkte“ für die Behauptung gebe, geförderte NGOs würden eine „Schattenstruktur“ bilden. Sie betonte, dass gemeinnützige Organisationen politische Bildungsarbeit leisten dürften, solange sie nicht gezielt parteiergreifend agierten.

Genau diese Neutralität war zuvor allerdings vom amtierenden Bundeskanzler und damaligen CDU-Chef Friedrich Merz in Zweifel gezogen worden, weil gewisse Demonstrationen „einseitig gegen missliebige politische Parteien gerichtet“ gewesen seien.

In ähnlicher Weise wie die Vorstöße auf EU-Ebene stieß die Unions-Anfrage auf scharfe Kritik von NGOs, Wissenschaftlern und Oppositionsparteien. Der Demokratieforscher Hans Vorländer sprach von einem „Einschüchterungsversuch“, der stellvertretende Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen Sven Giegold warnte gar vor einem „russische[n] Modell der NGO-Kontrolle“.

Die ambivalente Position der EU zur Gesetzgebung rund um die sogenannten foreign agents“(„ausländische Akteure“)-Gesetze hat Telepolis mehrfach kritisch beleuchtet.

Auch im Zusammenhang mit dem Digital Services Act (DSA) der EU hat Telepolis mit „Reset Tech“ eine Organisation benannt, die im Lobbyregister des Deutschen Bundestags die Durchsetzung und Einhaltung des EU-Gesetzes als ihren Hauptzweck ausweist.

Derweil haben die Ratspräsidentschaft und die Verhandlungsführer des Europäischen Parlaments erst am vergangenen Dienstag eine vorläufige Einigung zur Parteien- und Stiftungsfinanzierung vorgelegt, die zur „Verbesserung der Transparenz der Finanzierung und Bekämpfung ausländischer Einmischung“ beitragen soll.