Der legendäre Trainer des englischen Rekordmeisters Manchester United, Alex Ferguson, hat sich während seiner langen Karriere auf der Insel den Spitznamen „der Föhn“ (Hairdryer) erworben, weil er seine Spieler aus nächster Nähe heftig anzubrüllen beliebte. Man darf froh sein, dass der autoritäre Schotte sein gefürchtetes „Hairdryer Treatment“ nie bei einem aus eher zarten Protagonisten bestehenden Ensemble wie dem Tölzer Knabenchor angewandt hat, aber ein möglicher Gegenwind hätte ihn eventuell selbst umgehauen.

Die akustische Wucht, welche die jungen Sänger am Samstag bei ihrem Konzert in der Allerheiligen-Hofkirche der Münchner Residenz entfalteten, hatte jedenfalls eine fast unwirkliche Intensität, besonders der Auftaktchor nach der Pause: „Lass, Fürstin, lass noch einen Strahl“. Noch bemerkenswerter mutete die Klangkraft an, da die vier Stimmlagen des Chores nur jeweils aus vier Sängern bestanden, unterstützt von den Originalklang-Instrumentalisten des Barockorchesters Concerto München.  Der Komponist der Kantate hätte das vermutlich mit Wohlgefallen gesehen, denn es entspricht jener Klanggestalt, die Johann Sebastian Bach 1730 in seinem Schriftstück „Entwurff einer wohlbestallten Kirchen Music“  vorgegeben hat: eine Besetzung von nur drei bis vier solistisch ausgebildeten Knaben und jungen Männern pro Stimme sowie ein kleines Ensemble mit Originalinstrumenten.

Mit diesem Konzert, bei dem neben „Lass Fürstin, lass noch einen Strahl“ die geistigen Kantaten „Gott der Herr ist Sonn und Schild“ sowie „Wo Gott der Herr nicht bei uns hält“ vorgetragen wurden, eröffneten der Tölzer Knabenchor sowie Concerto München unter Leitung des Grammy-nominierten US-amerikanischen Dirigenten und Komponisten Julian Wachner die neue „Bach-Entwurff“-Reihe. Eine als Weltpremiere firmierende Aufführung, bei der quasi erstmals seit knapp 300 Jahren die Bach’schen Werke im von ihm gewünschten Gewand erklangen: als öffentlicher Auftakt eines von der US-Stiftung Concerto Vocale geförderten Projektes, dessen Ziel die Welt-Ersteinspielung ausgewählter Bach-Kantaten ist.

Versiert und selbstbewusst: Solo-Altist Iker Jahn Valenzuela zeigte sich den immensen Anforderungen der Bach'schen Arien beeindruckend gewachsen.Versiert und selbstbewusst: Solo-Altist Iker Jahn Valenzuela zeigte sich den immensen Anforderungen der Bach’schen Arien beeindruckend gewachsen. (Foto: Stephan Rumpf)

Und auch wenn in der intimen Atmosphäre nicht alles perfekt geriet – so waren im Anschluss an den grandiosen Auftaktchor  „Gott der Herr ist Sonn und Schild“ ein paar intonatorische Schwierigkeiten zu hören und mutete das Dialogisieren zwischen Sänger und Instrument respektive innerhalb des Orchesters mitunter nicht makellos an – tat das dem großartigen Gesamteindruck keinen Abbruch. Die beiden Gastsänger, Bass Krešimir Stražanac und Tenor Eric Price, überzeugten. Stražanac bewältigte etwa die Koloraturen in der Arie „Gleichwie die wilden Meereswellen“ versiert und Price glänzte temperamentvoll in der Arie „Schweig, schweig nur, taumelnde Vernunft“.

Noch erstaunlicher war freilich der Auftritt der Knaben-Solisten: Vor allem die beiden Soprane Henrik Brandstetter und Felix Hofbauer sowie der Altist Iker Jahn Valenzuela legten geradezu berückende Darbietungen hin und behaupteten sich sängerisch eindrucksvoll gegenüber den Erwachsenen. Wahrscheinlich braucht es aber schon auch eine derart qualitätvolle solistische Ausbildung, für welche die Tölzer bekannt sind, um so ein Projekt wie die „Entwurff“-Reihe zu realisieren, das ja auch mit dem alten, erklärten Ziel des Chorgründers Gerhard Schmidt-Gaden korrespondiert, Bachs Werke in historischer Aufnahmepraxis wiederzubeleben.

Trotz kleinerer Besetzung war die entfaltete Klangfülle jedenfalls enorm, atmete dabei dennoch Transparenz, und die intendierte spirituelle Tiefe entfaltete sich vor allem über fulminante Klangschönheit. Eine Wucht.