Der Aufbau einer Europäischen Cloudinfrastruktur sollte sich nicht an den Hyperscaler-Modellen der USA orientieren.

Die Diskussion um Energiesicherheit, Lieferketten und Standortpolitik hat längst auch die digitale Infrastruktur erreicht. Rechenzentren gelten inzwischen nicht nur als Rückgrat der digitalen Wirtschaft, sondern als strategische Ressourcen – entscheidend für Wettbewerbsfähigkeit, Souveränität und Cybersicherheit. In Europa bleibt der Ausbau jedoch fragmentiert. Während US-amerikanische und chinesische Hyperscaler ihre Plattformen global ausrollen, setzen viele europäische Unternehmen weiterhin auf hybride Architekturen – eine Mischung aus On-Premises-Systemen, Private Clouds und punktueller Nutzung internationaler Public-Cloud-Angebote.

Zwar planen laut Bitkom viele deutsche Unternehmen ihre Cloud-Nutzung in den kommenden Jahren auszuweiten. Doch diese Entwicklung ist weder linear noch souverän. Der Trend zur Cloud bedeutet in der Realität häufig eine stärkere Bindung an wenige globale Anbieter – mit allen Risiken, die damit einhergehen: technologische Abhängigkeit, intransparente Preismodelle, extraterritoriale Zugriffsgesetze wie der US Cloud Act. Die entscheidende Frage lautet daher nicht, ob mehr Cloud kommt, sondern unter wessen Bedingungen. Denn wenn europäische Unternehmen ihre digitale Zukunft auf ausländischen Plattformen errichten, laufen sie Gefahr, Resilienz dauerhaft aus der Hand zu geben.

Prognosen zufolge wird der Rechenleistungsbedarf weiter steigen – nicht zuletzt getrieben durch KI-Anwendungen, digitale Zwillinge oder automatisierte Produktionsketten. Doch anstatt eigene Infrastrukturen konsequent und schneller auszubauen oder freie Kapazitäten in europäischen Rechenzentren strategisch zu nutzen, dominiert noch immer das Vertrauen auf bestehende, zentralisierte Strukturen. Damit verpasst Europa die Chance, seine digitale Souveränität aus eigener Stärke heraus zu sichern – durch föderierte, interoperable Cloud-Architekturen, die nicht auf Größe, sondern auf Unabhängigkeit und Struktur setzen.

Trotz rasant steigender Nachfrage nach Cloudressourcen fällt der Zubau neuer Rechenzentrumsleistung zum Beispiel in Frankfurt am Main weiterhin zu gering aus: Laut CBRE kamen im Jahr 2024 lediglich rund 140 Megawatt hinzu – ein Wert, der angesichts wachsender Hyperscaler- und KI-Workloads kaum ausreicht, um den Bedarf langfristig zu decken. Auch in Irland, das sich mit dem Großraum Dublin über Jahre als wichtigstes europäisches Zentrum für Hyperscaler etabliert hatte, stockt der Ausbau – dort sogar vollständig: Seit 2022 gilt ein faktisches Moratorium für neue Netzanfragen, verhängt vom staatlichen Netzbetreiber Eir Grid. Neue Rechenzentren dürfen frühestens ab 2028 wieder ans Netz gehen. Während Irland also durch regulatorische Eingriffe gebremst wird, steht dem Wachstum in Frankfurt vor allem die Flächenknappheit und ein komplexes Genehmigungsumfeld im Weg. Zwar zählt die Bundesrepublik mit rund 3.000 Rechenzentren zu den führenden Standorten Europas, doch ein Großteil dieser Infrastruktur ist entweder technisch veraltet oder nur unzureichend ausgelastet. Global betrachtet bleiben sogar bis zu 80 Prozent der vorhandenen Serverkapazitäten ungenutzt – ein Missverhältnis, das angesichts stagnierender Flächenverfügbarkeiten und hoher Genehmigungshürden in Deutschland umso schwerer wiegt.

Doch die Debatte um neue Rechenzentren greift zu kurz, wenn sie sich allein auf den Ausbau zentraler Standorte konzentriert. Um digitale Souveränität und Resilienz zu sichern, braucht es beides: den gezielten Aufbau europäisch kontrollierter Infrastruktur und deren deutlich effizientere Nutzung. Genau hier liegt Europas strategische Chance. Statt Hyperscaler-Modelle zu kopieren, die riesige Datenmengen an wenigen Standorten bündeln und dadurch neue Verwundbarkeiten erzeugen, könnten dezentrale Architekturen zur Blaupause einer souveränen Cloud-Infrastruktur werden. Etwa durch regionale Edge-Strukturen, datennahe Verarbeitung und adaptive Netzwerke. Der Schlüssel liegt nicht im Entweder-oder, sondern in einem strukturell resilienten Sowohl-als-auch: mehr eigene Kapazität und mehr Intelligenz im Umgang mit ihr.

In einer solchen souveränen Struktur werden neue und bestehende Rechenzentren intelligent miteinander vernetzt, nicht nur national, sondern auch grenzüberschreitend innerhalb Europas. Daten lassen sich gezielt dort speichern, wo sie regulatorisch am besten aufgehoben sind. Die geografische Nähe zu Nutzenden reduziert Latenzen und stärkt die Kontrolle über kritische Workloads. Darüber hinaus bieten europäische Standorte spezifische Vorteile: hohe Datenschutzstandards, rechtssichere Energieversorgung, einen stabilen regulatorischen Rahmen und im Unterschied zu US-Anbietern keine Bindung an extraterritoriale Zugriffsrechte wie den Cloud Act.

Besonders im Umgang mit sensiblen Daten ergeben sich hieraus entscheidende Sicherheits- und Compliance-Vorteile. Zugleich lässt sich durch dezentrale Strukturen die Gesamtkapazität deutlich flexibler skalieren, ohne monolithische Neubauten errichten zu müssen. So entsteht ein zukunftsfähiger Ausweg aus dem Dilemma wachsender Nachfrage bei stagnierendem Angebot: durch intelligente Auslastung, strukturelle Vernetzung und den Mut, Sicherheit und Souveränität nicht länger an Größe zu koppeln, sondern an Vielfalt und Resilienz.

Die eigentliche Herausforderung liegt daher nicht im Aufbau der Infrastruktur, sondern in der Umnutzung: verteilte Kapazitäten so zu verbinden, dass sie gemeinsame Standards nutzen, regulatorisch abgestimmt agieren und gleichzeitig robust gegen Ausfälle oder Abhängigkeiten bleiben. Wer über digitale Souveränität spricht, muss deshalb nicht nur Infrastruktur fordern, sondern mehr aus der bestehenden machen, mit gezielten Investitionen, klarer politischer Steuerung und einem Architekturprinzip, das nicht Zentralisierung imitiert, sondern Resilienz erzeugt.

Doch der Aufwand lohnt sich. Denn im Gegensatz zu monolithischen Infrastrukturen, bei denen einzelne Ausfälle massive Auswirkungen haben können, lassen sich dezentrale Systeme modular absichern, gezielt isolieren und im Bedarfsfall deutlich schneller wiederherstellen. Sie bieten also nicht nur eine Antwort auf die Kapazitätsfrage, sondern auch eine tragfähige Grundlage für eine europäische Cloud-Infrastruktur, die Souveränität, Sicherheit und Skalierbarkeit endlich zusammen denkt.

Die Antwort auf Europas Cloud-Dilemma liegt also nicht im Wettlauf um immer größere Rechenzentren, sondern in einer Sicherheitsarchitektur, die auf Struktur, Flexibilität und Kontrolle setzt. Nur wenn Europa den Mut findet, vom Schema F der USA-Hyperscaler abzuweichen und stattdessen auf Resilienz, Vernetzung und souveräne Kontrolle zu setzen, wird es auch in einer von KI, Datenökonomie und geopolitischen Spannungen geprägten Zukunft wettbewerbsfähig bleiben.

Dr. Kai Wawrzinek, Gründer und CEO von Impossible Cloud