Nein, Evita wird an diesem Abend keine Kettensäge über dem wohl frisierten Haupt schwingen. Sie wird auch keine Parolen brüllen in der Art von „Es lebe die Freiheit, verdammt noch mal!“. Denn auch wenn Andrew Lloyd Webbers Musical durchaus Ansätze bietet, populistische Strömungen der Gegenwart in eine aktuelle Inszenierung zu lenken, setzt das Staatstheater Augsburg auf die visuelle Wucht des Vergangenen.

Deutlich wird die Aktualität des Stoffs so oder so. Zur Freilichtbühne am Roten Tor mit seinen Sommerinszenierungen passt diese Version bestens und das Publikum lässt sich gerne davon fesseln – von schönen, historischen Kostümen (Nora Johanna Gromer), einem gut choreografierten Bühnenspektakel vor einer argentinischen Straßenszene (Tanz: Ricardo Fernando) und spritziger, mitreißender Musik.

Einen schönen Einfall bietet Regisseur Florian Mahlberg schon im Eingangsbild, wenn das Volk seine Präsidentin der Herzen deprimiert zu Grabe trägt und dabei die Optik des mexikanischen Día de los Muertos aufgreift. Che, die kritische Erzähl-Instanz des Stücks, ist damit nicht einverstanden. „Was für ein Zirkus, was für eine Show!“, singt Hannes Staffler mit angerauter Stimme und breitem Zyniker-Lächeln und reißt den Deckel vom Sarg. Evita springt heraus und lächelt ebenfalls, doch anders.

Das Strahlen von Evita verbreitet das Charisma der jungen Provinzlerin, die sich an die Spitze schlägt. Doch damit zeigt auch eine machthungrige Frau ihre Zähne. Diese Ambivalenz deutlich zu machen, ist die einzige Chance, die so schillernde wie problematische Figur der Evita Perón nicht ins Banale gleiten zu lassen. Katja Berg löst das mit Bravour. Dazu kommt ihr betörender Sopran, der in den luftigen Spitzentönen glöckchenhaft klingelt, ohne dabei schrill zu wirken. Mit Lächeln und Samt-Stimme verführt Evita den ersten Mann, den Tangosänger Agustín Magaldi. Gerhard Werlitz nimmt dessen Spitznamen „Die gefühlvolle Stimme von Buenos Aires“ ernst und unterlegt seine Melodien mit vokalem Schmelz und breitem Vibrato.

Hannes Staffler ist als Che nicht einverstanden mit Evitas Tod. Es folgt die Auferstehung.Hannes Staffler ist als Che nicht einverstanden mit Evitas Tod. Es folgt die Auferstehung. (Foto: Jan-Pieter Fuhr)

Der gesteigerte Erfolg befeuert Evita. So tritt Katja Berg mit jeder Gesangsnummer mehr aus sich heraus, entwickelt eine fast manische Bühnenenergie, die sich umsetzt in stimmliche Kraft und eine eigene flotte Choreografie. Die trägt ohnehin viel zum Show-Charakter bei, wenn Sebastiaan van Yperen die latinesken Zwischenspiele vital dirigiert und die Massen sich geschmeidig dazu bewegen.

Dem gegenüber fällt nur der Opernchor ab. Er ist zwar stimmlich präsent, wirkt als Akteur aber eher unbegeistert. Das ist hier besonders schade, denn das Musical hat zwei Glutkerne: Eva Duartes Ambitionen und die Verführbarkeit der Massen. Diese Massen möchte Juan Perón entfachen, was eigentlich kein Problem sein sollte, zumal mit Alexander Franzens dunkel strenger Stimme. Er verspricht Gerechtigkeit und Freiheit und lässt sich bald von seiner medienaffinen, publikumswirksamen Gattin darin unterstützen, die allmählich über ihren eigenen Ehrgeiz zu stolpern droht.

Man schließt die Truppe ins Herz, weil sie es so gut macht

So plätschert Lloyd Webbers Stück dahin, verfolgt Evitas Biografie, macht den Mythos der Macht zu eingängiger Musik. In Augsburg wird das Ganze angereichert durch eine etwas rätselhafte stumme Figur, eine junge Frau, La Vida, die so etwas wie Eva Duartes verlorene Unschuld symbolisieren könnte, aber dabei nicht unangenehm auffällt.

Durch die vielen erzählerischen Einschübe und den episodischen Aufbau des Stücks würde das leicht langatmig, wäre das Ensemble nicht so ansteckend dynamisch: Als Evita auf ihrem Bühnenbalkon nach vorne fährt, als stünde sie an der Reling der Titanic, und (wie alles: auf Deutsch) „Wein nicht um mich, Argentinien“ schmettert, hat man gestandene Ehemänner ihrer Frau einen Handkurs aufdrücken sehen.

Das berührt. Nicht unbedingt, weil Evita Perón in Augsburg über Gebühr romantisiert wird. Aber man schließt die Truppe ins Herz, weil sie es so gut macht. Der Schluss kommt entsprechend hart. Evita stirbt. Das Stück ist aus. Was für ein unterhaltsamer Zirkus, was für eine gelungene Show – denkt auch das Publikum und spendet reichlichen Beifall im Stehen.