Berlins Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) hat erstmals eingeräumt, eine falsche Angabe im Fall des schwulen Pädagogen Oziel Inácio-Stech gemacht zu haben. Der in Brasilien ausgebildete Lehrer, der als pädagogische Unterrichtshilfe an der Carl-Bolle-Grundschule in Berlin-Moabit Kinder mit Förderbedarf unterstützt, ist jahrelang von einer Kollegin gemobbt und von Schülern homophob beleidigt und beschimpft worden.

Der Rechtsanwalt des gemobbten Lehrers hatte in einem neunseitigen Brief, der der SZ vorliegt, die Bildungssenatorin darüber informiert, dass und wie sein Mandant gemobbt werde. Der Brief war als Einschreiben mit Rückschein persönlich an die Senatorin gesendet worden, auch vorab als E-Mail. Die CDU-Politikerin hatte am Freitagabend gegenüber der Nachrichtenagentur dpa frühere Aussagen korrigiert und erklärt, dieses Beschwerdeschreiben des Anwalts des Lehrers der Carl-Bolle-Schule habe ihr doch schon am 4. Dezember 2024 persönlich vorgelegen. Ob sie den Brief allerdings nach Vorlage auch gelesen oder einfach nur ungelesen weitergeleitet hat an den umstrittenen Leiter der Schulaufsicht Mitte, Detlev Thietz, darüber machte die Senatorin in ihrer Stellungnahme keine Angaben.

Bildungssenatorin Günther-Wünsch gibt zu, dass ihr das Schreiben des Anwalts doch „persönlich vorlag“

Bislang hatte sie behauptet, sie habe den Anwalts-Brief erst im Mai gelesen, nach dem Erscheinen des Artikels in der SZ. Als „Person des öffentlichen Lebens“ könne sie nicht jeden an sie adressierten Brief lesen, hatte Günther-Wünsch gesagt. In ihrem Statement, mit dem die massiv unter Druck geratene Senatorin nun frühere Aussagen korrigiert, teilte sie mit, eine „von mir erbetene nochmalige Prüfung der Akten“ habe ergeben, dass ihr das Schreiben des Anwalts doch „persönlich vorlag“. Sie bedauere, dass ihr das nicht mehr erinnerlich gewesen sei. Nach Informationen der SZ hat die Senatorin nun ein Anwaltsbüro beauftragt, das ab sofort alle Medienanfragen beantwortet.

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Obwohl Inácio-Stech sämtliche Vorfälle protokolliert und an die Schulleitung und an die zuständige Schulaufsicht gemeldet hatte, wurde ihm nicht geholfen, wie die SZ Ende Mai berichtete. Stattdessen zeigte die Schulleitung den Pädagogen an, mit Anschuldigungen, die eine Kollegin gegenüber der Schulleitung gemacht hatte.

Die Ermittlungen der Polizei wurden nach Befragungen von Schülern schnell eingestellt. Eine Schülerin hatte ausgesagt, die Lehrerin habe ihr gesagt, sie solle Vorwürfe gegen den Pädagogen in den Vernehmungen äußern. Der SZ liegt die Polizeiakte vor. Kolleginnen von Inácio-Stech hatten außerdem gegenüber dessen Anwalt in Erklärungen ausgesagt, die Kollegin, die ihn denunziert habe, konsumiere Drogen, trinke auch in den Unterrichtszeiten Alkohol und habe bereits schon einmal einen Kollegen „weggemobbt“.

Die Lehrerin hat jetzt ebenfalls einen Anwalt beauftragt, nachdem die SZ vor wenigen Tagen die Lehrerin direkt auf ihrem Handy kontaktiert hatte mit einer Textnachricht und einer Bitte um ein Interview. Ihr Potsdamer Anwalt schrieb der SZ am Montag eine Mail, in der er davor warnt, die Lehrerin zu identifizieren. Dies sei rechtswidrig.

Statt den Vorwürfen zum Lebenswandel und zum Umgang der Lehrerin mit Kollegen nachzugehen, haben Schulleitung und der Personalrat den homosexuellen Pädagogen darum gebeten, seine Homosexualität nicht zu thematisieren. In Protokollen dieser Gespräche, die der SZ vorliegen, sagt der Personalrat, mit Diversität könne es an der Schule schwierig werden, wegen der vielen Kinder aus „traditionellen Elternhäusern“. Inácio-Stech müsse vielleicht sein pädagogisches Konzept an die „sozialen Ausgangsvoraussetzungen“ anpassen.

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Inácio-Stech sagt, eine Entschuldigung der Senatorin allein reiche nicht

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Abgeordnetenhaus, Bettina Jarasch, kritisierte die Bildungssenatorin scharf und sagte, es zeuge „von schlechtem Stil“, dass Günther-Wünsch versuche, „ihr Versagen im Fall des gemobbten Lehrers Oziel Inácio-Stech mit zwei halbgaren Sätzen an die Medien auszuräumen“. Das Mindeste sei eine echte Entschuldigung an Inácio-Stech und ein „angemessener Umgang mit seiner Beschwerde“. Der Vorgang werfe Fragen zur Amtsführung von Katharina Günther-Wünsch auf. Es könne nicht sein, dass sich Berliner Lehrkräfte mit Problemen erst an Anwälte und die Öffentlichkeit wenden müssten, „um von der zuständigen Verwaltung Hilfe zu bekommen“.

Oziel Inácio-Stech sagte der SZ am Wochenende, eine Entschuldigung der Senatorin reiche ihm nicht aus. Er verlange eine Rehabilitierung, die ihm der Leiter der Schulaufsicht, Detlev Thietz, bis heute vorenthalte. Jeden Tag werde ihm „weiterhin Schaden an meiner Reputation und meiner Gesundheit“ hinzugefügt. Für das strukturelle Versagen mache er die Senatorin persönlich verantwortlich. „Sie hat im Ausschuss und im Parlament wiederholt gelogen. Das ist Fakt.“ Im Übrigen, fügte er hinzu, „kommt die Wahrheit immer ans Licht.“

Unterdessen werden immer mehr neue Details bekannt, die wiederum neue Fragen aufwerfen. Nach Informationen der SZ hat der Anwalt des Pädagogen ebenfalls Anfang Dezember eine Mail an die Bildungssenatorin gesandt, in der er sie persönlich in Kenntnis setzt über eine „Rüge der Befangenheit Ihres Mitarbeiters Thietz“. Auch auf dieses Schreiben hat die Senatorin bis heute nicht reagiert. Befangen sei er nach Einschätzung des Anwalts deshalb, weil er sich aktiv am systematischen Mobbing seines Mandanten beteiligt habe.

Aus Kreisen des Bildungssenats ist zudem zu erfahren, dass die Anzeige gegen Inácio-Stech auf Veranlassung des stellvertretenden Schulleiters Christoph Kremers in Zusammenarbeit mit dem Leiter der Schulaufsicht Detlev Thietz erfolgt ist, gegen den Willen der Schulleiterin. Diese verlässt die Carl-Bolle-Schule, wie die SZ bereits berichtet hat. Mehrere Lehrkräfte hatten sich in den vergangenen Tagen an die SZ gewendet und von einem unerträglichen Klima an der Schule berichtet.

Hinweis der Redaktion: Eine frühere Version dieses Artikels beschrieb missverständlich, wann die Senatorin den Brief gelesen hatte und wann er ihr vorlag. Diese Passage haben wir verständlicher formuliert.