Standdatum: 23. Juni 2025.
Autorinnen und Autoren:
Mario Neumann
Bild: Radio Bremen | Mario Neumann
Olha Melnyk lebt als Kriegswitwe in Bremen. Während sie als Kassiererin arbeitet und sich um ihren 15 Jahre alten Sohn kümmert, kämpft sie innerlich mit dem Verlust.
Am 24. Februar 2022 überfiel Russland die Ukraine. Bis dahin arbeiteten Olha und Oleksij Melnyk als Ingenieure für eine Lebensmittelfirma. Nur wenige Tage nach Kriegsbeginn sah sie ihren Mann zum letzten Mal. Der 47-Jährige meldete sich freiwillig zum Militär, um die Heimat zu verteidigen. Es ging alles sehr schnell, ihr damals 12-jähriger Sohn malte ihm zum Abschied noch rasch ein Bild. Mutter und Sohn flohen dann Anfang März 2022 nach Deutschland.
Am 29. August 2022 waren sie bereits in Bremen. Olha kam von einem Deutschkurs nach Hause. Ihr Mann Oleksij hatte zuvor angekündigt, dass er die nächsten drei Tage nicht erreichbar sei. Irgendwann merkte sie, dass etwas nicht stimmte: „Dann habe ich gemerkt, dass sein Kamerad wieder online war und ich habe schon etwas gespürt. Normalerweise hat mein Mann immer die Zeit gehabt, in Kommunikation zu treten, egal wie schwer die Lage war.“
Schließlich rief der Kamerad an und sagte, dass Oleksij gefallen ist. Er habe versucht, Olhas Mann vom Schlachtfeld zu ziehen, als er bereits verwundet war.
Obwohl ich wusste, dass es sich um die Wahrheit handelte, fiel es mir sehr schwer, das zu glauben.
Olha Melnyk, ukrainische Witwe
Als Kriegswitwe in Bremen
Olha hat viel geschrien, viel geweint, sich mit Freundinnen getroffen, telefoniert. Sie hat eine Telefon-Freundin, deren Mann auch im Krieg gefallen ist. Mit ihr zu sprechen tut gut, sagt sie, weil es ihr zeigt, dass sie normal ist. Bis heute sei es ihr eigentlich nicht gelungen, wieder frei durchzuatmen.
Ich sehe keine Zukunft.
Olha Melnyk, ukrainische Witwe
Olha Melnyk erfährt Hilfe durch viele Kontakte, die sie stabilisieren, durch den deutsch-ukrainischen Kulturverein „Unity-Center“, durch Treffen mit Landsleuten in der Markus-Gemeinde und den Chor Gloria, in dem sie gemeinsam mit ukrainischen Frauen singt. Auch wenn der Zusammenhalt stark ist, ist es nicht ohne, in einem fremden Land Kriegswitwe zu werden.
Für sie sei es beispielsweise schwer, deutsch zu sprechen, obwohl sie das für sehr wichtig hält: „Aber mein Kopf funktioniert nicht. Zu viel Stress. Ich will Deutsch lernen, aber ich kann nicht.“
Geholfen haben ihr auch Gespräche mit einer Psychologin aus der Ukraine, per Videotelefonie. Sie ist sehr dankbar, mit ihrem Sohn hier zu sein. Ein Halbtags-Job als Kassiererin lenkt sie ab. Außerdem hat ihr Mann als Kind drei Jahre in Deutschland gelebt.
Ein normales Leben für ihren Sohn
Olha ist sich sicher, dass ihr Mann vor seinem Tod noch an seine Familie gedacht hat.
Das ist das, was mich tröstet: Dass er auch bei seinem Tod wusste, dass wir an einem guten und sicheren Platz sind.
Olha Melnyk, ukrainische Witwe
Die beiden versuchen manches im Leben so zu gestalten, wie es damals auch mit dem Vater war. Mutter und Sohn sitzen beispielsweise regelmäßig abends zusammen, essen und reden über den Tag. Gleichzeitig sagt Olha Melnyk, dass sie am 29. August 2022 in eine Schockstarre verfallen ist, in der sie sich immer noch befindet. Ein Jahr später bekam sie das Handy ihres Mannes und entdeckt darauf die Videobotschaft eines Kameraden, der ein Bein verloren hatte.
Sie erzählt: „Er steht auf einem Laufband und läuft mit dieser Prothese. Er erzählt meinem Mann, dass wir Ukrainer sind: Wir sind tapfer, wir werden kämpfen. Und das ist das, was ich zutiefst bewundere.“
Dass die Menschen sich unter solchen Umständen tatsächlich noch Mut zusprechen können, ist für mich etwas Unbeschreibliches.
Olha Melnyk, ukrainische Witwe
Das Interview für das Porträt führte Mario Neumann für Bremen Zwei. Übersetzt aus dem Ukrainischen hat der Bremer Pastor Andreas Hamburg.
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Dieses Thema im Programm:
Bremen Zwei, Der Morgen, 23. Juni 2025, 08:36 Uhr