„Schwul – na und?“, steht auf einem Transparent, das zwei Männer 1980 bei einer Demo durch München tragen. Hinter ihnen: rund 180 Menschen mit Plakaten, die für ihre Rechte auf die Straße gehen.
Es ist der 28. Juni 1980, der Tag der ersten „Stonewall-Demo“ in München – der Vorläufer des heutigen Christopher Street Day (CSD). Die Abendzeitung titelt damals: „Homosexuelle marschierten durch die Stadt“.
Die erste „Stonewall-Demo“ 1980 in der AZ.
© Archiv
Die erste „Stonewall-Demo“ 1980 in der AZ.
von Archiv
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Die Route führte durch die Innenstadt, über den Viktualienmarkt, Odeonsplatz bis zum Geschwister-Scholl-Platz. Anschließend wurde im Biergarten am Chinesischen Turm gefeiert. Startpunkt war das Sendlinger Tor.
Queere Stadtführungen: Auf den Spuren von Münchens LGBT-Geschichte
Genau dort beginnt heute Gregor Stawinski seine queeren Stadtführungen. Eigentlich arbeitet er als freiberuflicher Grafikdesigner – doch seine Leidenschaft gilt der queeren Geschichte Münchens.
Nur wenige Meter weiter liegt die nächste Station der Stadtführung: das Aids-Memorial. Eine blau geflieste Säule, wie sie vor der Renovierung die U-Bahn-Station zierte. Der Künstler Wolfgang Tillmans hat sie bewusst gewählt – als Zeichen, dass die Krankheit nicht länger im Untergrund verdrängt wird. Enthüllt wurde das Denkmal 2002, rund 20 Jahre nach dem ersten Aids-Todesfall in München.
Die meisten Opfer waren homosexuelle Männer, die lange stigmatisiert und ausgegrenzt wurden. Bis heute kennen viele Münchner das Denkmal kaum. Stawinski nutzt seine Tour, um die Geschichte dahinter sichtbar zu machen.
Kampf gegen das Vergessen: Das Bodendenkmal für NS-Opfer
Die Tour führt weiter ins Hackenviertel. Dort, an der Ecke Oberanger und Dultstraße, erinnert ein unscheinbares Bodendenkmal an die Verfolgung homosexueller Menschen im Nationalsozialismus. Ein pastellfarbenes Mosaik auf dem Gehweg markiert seit 2017 den Standort des ehemaligen Gasthauses Schwarzfischer, einer der ersten Schwulenbars der Stadt.
Viele laufen hier vorbei, jedoch fällt es wenigen auf: das Bodendenkmal für queere Opfer der Nationalsozialisten.
© Daniel von Loeper
Viele laufen hier vorbei, jedoch fällt es wenigen auf: das Bodendenkmal für queere Opfer der Nationalsozialisten.
von Daniel von Loeper
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Am 20. Oktober 1934 fand hier die erste großangelegte Razzia der Nationalsozialisten gegen Homosexuelle statt. „Das Denkmal kennt fast niemand“, sagt Stawinski. Dabei sei es ein wichtiger Ort der Erinnerung.
Um sich auf seine Stadtführerprüfung vorzubereiten, begann Stawinski im vergangenen Jahr, die Geschichten hinter diesen Orten zu recherchieren. Daraus entstand der Blog „Queer City Guide“, mit Artikeln zu den Stationen sowie Gastro- und Eventtipps.
„Ich habe überlegt, zu jeder Location noch etwas Queeres hinzuzufügen, also als queerer Mann meine Perspektive einzubringen“, sagt er. „Ich fand es dann total spannend, was für Geschichten sich teilweise hinter den Gebäuden oder Biografien verstecken.“
Gregor Stawinski zeigt bei seiner Stadtführung queere Orte in München.
© Bernd Wackerbauer
Gregor Stawinski zeigt bei seiner Stadtführung queere Orte in München.
von Bernd Wackerbauer
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Nicht überall gibt es dabei offensichtliche queere Bezüge. Beim Alten Peter etwa: „Dazu gibt es nichts Queeres, das ist streng katholisch, da ist wirklich nichts zu holen“, sagt er und lacht. Spannender sei dagegen das Alte Rathaus, wo seit 1996 die Rosa Liste als Partei für queere Menschen vertreten ist. Einmal im Jahr findet hier das Rathaus-Clubbing statt – eine der ersten Partys ihrer Art, wie Stawinski betont.
Karl Heinrich Ulrichs: Ein Pionier der LGBT-Rechte in München
Ein weiterer historischer Ort: das ehemalige Konzerthaus Odeon, heute Sitz des bayerischen Innenministeriums. 1867 forderte der Jurist, Journalist und Sexualwissenschaftler Karl Heinrich Ulrichs dort erstmals öffentlich die Straffreiheit gleichgeschlechtlicher Beziehungen.
Im Konzertsaal des Odeon forderte 1867 Karl Heinrich Ulrichs öffentlich die Straffreiheit gleichgeschlechtlicher Beziehungen.
© Staatsarchiv
Im Konzertsaal des Odeon forderte 1867 Karl Heinrich Ulrichs öffentlich die Straffreiheit gleichgeschlechtlicher Beziehungen.
von Staatsarchiv
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Er gilt als „der erste Schwule der Weltgeschichte“. Seine Forderungen blieben damals erfolglos, doch gilt er mit seinen Ideen als Vordenker der queeren Szene. In München erinnert heute der Karl-Heinrich-Ulrichs-Platz an ihn. „Aber wenn ich davon erzähle, sehe ich meist nur leere Gesichter“, sagt Stawinski.
Am Karl-Heinrich-Ulrichs-Platz steht heute das Rosa Stangerl, der queere Maibaum in München.
© ma
Am Karl-Heinrich-Ulrichs-Platz steht heute das Rosa Stangerl, der queere Maibaum in München.
von ma
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Deshalb setzt er bei seinen Führungen auf eine Mischung aus ernsten Themen, Geschichte, Kunst und Unterhaltung. „Ich habe mir auch angeschaut, was Leute über andere queere Touren sagen – das Feedback ist oft: ‘langweilig‘“, sagt Stawinski. „Ich weiß, woran das liegt: In der Innenstadt gibt’s viele schöne Kirchen, barocke Fassaden, Fresken – das ist visuell reizvoll.“ Bei queeren Orten, Bars oder Clubs etwa, sei es oft schwieriger, da diese Orte nicht mehr existieren. „Das ist schwer greifbar“, sagt Stawinski.
Das historische Pissoir am Holzplatz in München. Es war einst ein schwuler Treffpunkt. Heute zeigt es Porträts von prominenten ehemaligen Bewohnern der Isarvorstadt wie Freddie Mercury und Rainer Werner Fassbinder.
© Bernd Wackerbauer
Das historische Pissoir am Holzplatz in München. Es war einst ein schwuler Treffpunkt. Heute zeigt es Porträts von prominenten ehemaligen Bewohnern der Isarvorstadt wie Freddie Mercury und Rainer Werner Fassbinder.
von Bernd Wackerbauer
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„Ich bin ein visueller Mensch – ich liebe Kunst – also habe ich geschaut, dass alle Kunstwerke mit reinkommen: das AIDS-Memorial, das Bodendenkmal, das historische Pissoir“, sagt er. „Man braucht etwas zum Anschauen.“ Es funktioniere nicht gut, vor Gebäuden zu stehen und über Biografien der Personen zu sprechen, die dort gewohnt haben, „auch wenn es inhaltlich spannend wäre“, bedauert Stawinski.
Freddie Mercury in München: Ein Highlight der queeren Stadttouren
Seine Standard-Tour führt vom Sendlinger Tor ins Glockenbachviertel. Viele Stationen knüpfen an Queen-Frontmann Freddie Mercury an, der einige Jahre in München lebte. Etwa an die Paradiso Tanzbar, früher der Travestieclub „Old Mrs. Henderson“, wo Mercury seinen legendären 39. Geburtstag feierte – und das Musikvideo zu „Living On My Own“ drehte.
Der ehemalige Club „Old Mrs. Henderson“.
© ma
Der ehemalige Club „Old Mrs. Henderson“.
von ma
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„München war in den 80ern eine der vier wichtigsten Schwulenmetropolen weltweit – zusammen mit San Francisco, London und Amsterdam. Das ist heute schwer vorstellbar“, sagt Stawinski. „Freddy Mercury erinnert an diesen Glanz – deshalb hat er auf der Tour seinen Platz.“
Maßgeschneiderte Touren und noch viele Kapitel: Queere Stadtführungen in München
Gregor Stawinski am Aids-Memorial am Sendlinger Tor. Seit 2024 bietet er als „Queer City Guide“ Stadtführungen zu Münchens queerer Geschichte an. Dabei hat er auch alte Zeitungsausschnitte und Geschichten abseits der bekannten Fakten.
© Bernd Wackerbauer
Gregor Stawinski am Aids-Memorial am Sendlinger Tor. Seit 2024 bietet er als „Queer City Guide“ Stadtführungen zu Münchens queerer Geschichte an. Dabei hat er auch alte Zeitungsausschnitte und Geschichten abseits der bekannten Fakten.
von Bernd Wackerbauer
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Wer möchte, kann bei einer privaten Tour auch eigene Schwerpunkte setzen. Besonders während des Pride Months buchen viele Firmen maßgeschneiderte Touren. Standardmäßig dauert der Rundgang etwa zwei Stunden, auf Wunsch auch länger.
Stawinski sieht in München noch viele spannende Kapitel queerer Geschichte. Besonders begeistert ist er von der lebendigen Drag-Szene. „Vielleicht wird da mal eine Figur in die Geschichte eingehen“, sagt er. Grundsätzlich findet Stawinski: „München macht das ziemlich gut, wenn es darum geht, queere Geschichte zu würdigen.“
Unter www.queercityguide.com kann die queere Stadtführung gebucht werden, es gibt außerdem viele Gastro- und Veranstaltungstipps.